Der Berliner Organist Jakub Sawicki wird die Partie, die ab 21 Uhr live aus Hamburg übertragen wird, in der Münchner Christuskirche auf der Rieger-Orgel mit ihren 3.124 Pfeifen und dem Zimbelstern begleiten. Worum es dem Improvisationskünstler geht, der das Fach in Berlin und Basel lehrt, und wie er sich vorbereitet, erklärt der 40-Jährige im Sonntagsblatt-Gespräch.
Herr Sawicki, Orgelmusik zum Fußballspiel - wie kommen Sie denn auf diese Idee?
Jakub Sawicki: Das ist die Urfunktion der Orgel: Seit sie im 3. Jahrhundert vor Christus erfunden wurde, hat sie die Spiele der Römer und der Griechen begleitet - auch im Circus Maximus. Sie war einfach das lauteste Instrument, das auch gegen den Lärm von tausenden Besuchern ankam, und sollte die Massen psychologisch begleiten. Die Idee hat sich bis in die 1920er-Jahre gehalten, als in den USA bei Hockeyspielen oder beim American Football in vielen Arenen ein Stadionorganist gespielt hat, um - je nachdem - die Stimmung anzuheizen oder zu beruhigen. Wenn das eigene Team gewonnen hatte, bekam er übrigens auch einen Preis. In die Kirchen gelangte die Orgel erst im 8. Jahrhundert nach Christus durch den byzantinischen Kaiser Konstantin V., der Kaiser Karl dem Großen ein Instrument schenkte.
Wenn Sie ein Fußballspiel auf der Orgel begleiten, ist dann der Fernseh-Ton abgeschaltet?
Ja, das ist ein echtes Stummfilmereignis: Das blanke Spielerlebnis, ganz ohne nervige Moderatoren. Wir sind ja gewöhnt, dass immer irgendjemand reinquasselt und uns Zusatzinformationen liefert, wenn im Spiel mal gerade nichts passiert. Es ist ein dramatisches Erlebnis und man ist auf einer ganz anderen Aufmerksamkeitsebene, wenn mal keiner redet, sondern das Spiel nur durch die Orgelimprovisation begleitet wird.
Worauf kommt es Ihnen dabei an?
Es gibt zwei Möglichkeiten: Man kann jedes Detail interpretieren, also schief spielen bei einem Foul oder ganz laut zum Torjubel. Das hat aber etwas von Slapstick und Zirkusdarbietung. Ich begleite lieber das manchmal nervenzerreißende Drama, das sich über die 90 Minuten Spielzeit aufbaut, nehme die Emotionen der Zuschauer auf, heize an, wenn die Mannschaft schwächelt oder beruhige in dramatischen Momenten. Beim Gegentor muss die Orgel auch mal trösten. Dabei kommt mir meine Ausbildung als Musikpsychologe zugute. Die Forschung zeigt, dass bestimmte neuronale Prozesse ablaufen, wenn viele Menschen in einem Raum sich auf ein gemeinsames Objekt - in diesem Fall das Fußballspiel - fokussieren. Sie schwingen sich aufeinander ein, fühlen dasselbe. Diesen Effekt kann man mit Musik noch verstärken. Viele, die so ein Orgel-Fußballspiel schon erlebt haben, sagen hinterher, dass das eine ganz intensive Erfahrung war.
Wie tröstet man denn mit der Orgel, wie klingt das?
Das weiß ich vorher auch nie. Das ist der Clou bei der Improvisation: Man kann nicht vorhersehen, wo man hinkommt, wenn man anfängt zu trösten. Das ist ein einmaliger Prozess. Natürlich habe ich als Musiker tausende Möglichkeiten im Kopf, auf die ich zurückgreifen kann. Aber welche genau in dem Moment passiert, weiß ich vorher nicht - ich bin ja mittendrin, schaue selbst das Spiel, bade in der oft vollen Kirche voller Emotionen und reagiere spontan darauf. Hinterher bin ich selbst völlig erledigt. 90 Minuten lang zu spielen, konzentriert das Fußballspiel zu verfolgen, die Stimmung aufzunehmen und in Musik zu übersetzen - das braucht Kondition und ist gewissermaßen auch eine sportliche Leistung.
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