Der brasilianische Präsident Luiz Inácio "Lula" da Silva ist seit Januar erneut Präsident des größten südamerikanischen Landes. Er konnte sich gegen den rechten Jair Bolsonaro durchsetzen, der auch "Tropen-Trump" genannt wurde. Zuvor hatte Lula von 2003 bis 2011 regiert, eine Zeit, die ebenso von umfassenden Sozialreformen geprägt war, wie von einem unendlich erscheinenden Korruptionssumpf.

Der Brasilienkenner Andreas Nöthen zeichnet in seinem vor der Wiederwahl erschienen Buch "Luiz Inácio Lula da Silva. Eine politische Biografie" die jüngere Geschichte Brasiliens nach und schafft damit ein umfassendes Panorama der Politik, aus dem sich auch eine Einschätzung für die neue Amtszeit des 77-Jährigen Lula ziehen lässt.

Lula hat Brasilien geprägt

Kein Präsident Brasiliens hat das Land seit seiner Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1985 so geprägt wie der aus armen Verhältnissen stammende Lula. Als siebtes von acht Kindern im ärmlichen Nordosten Brasiliens geboren, musste Lula sich früh allein durchschlagen. Sein Vater hatte eine neue Familie in São Paulo gegründet, der Junge eine Zeitlang als Schuhputzer gearbeitet bis er Dreher wurde und über die Gewerkschaft zur Politik fand.

Noch während der Militärdiktatur gründete Lula die Arbeiterpartei Partido dos Trabalhadores (PT) und stieg zu ihrem Anführer auf. Dreimal musste er sich in Wahlkämpfen stellen, bis er schließlich 2003 in den Präsidentenpalast einziehen konnte.

Elite wurde durch Arbeiterpräsident abgelöst

Dabei musste Lula sich zunehmend von seiner Partei abheben, die radikaleren Kräfte isolieren und mit Pragmatismus und Netzwerken einerseits die Wirtschaft, andererseits die ärmsten Brasilianerinnen und Brasilianer für sich gewinnen, paradoxerweise auch aus seiner ursprünglichen Heimat, dem armen Nordosten. Dabei gelang ihm fast schon Revolutionäres: die seit der Unabhängigkeit des Landes stets die Macht unter sich aufteilenden Eliten wurden erstmals von einem Arbeiterpräsidenten abgelöst.

Während seiner Amtszeiten erlebte Brasilien dann eine wirtschaftliche Blüte, Lulas Politik half Millionen Menschen aus bitterster Armut. Die Sozialreformprogramme wie "Null Hunger" oder die Familiengrundsicherung "Bolsa Familia" halfen Millionen Menschen, eine neue Mittelschicht entstand und Brasilien stieg zum Global Player auf. Aber, einst als moralische Alternative zum Parteienfilz angetreten, verlor die Arbeiterpartei ihren ethischen Kompass. Um ihre Macht abzusichern, Reformen voranzubringen, also überhaupt regieren zu können, schuf sie einen umfassenden Bestechungsapparat.

Partei kaufte Abgeordnete

Nur durch Bündnisse mit Zentrums- und Rechtsparteien konnte sich die PT im brasilianischen Kongress die nötige Mehrheit sichern. Die Partei kaufte Abgeordnete mit lukrativen Posten und Bestechungsgeldern. Ein umfassendes System schwarzer Kassen wurde gebildet und flog auf. Das Land kam vor Korruptionsskandalen nicht mehr zur Ruhe, wurde polarisiert und Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff sogar mit einem Amtsenthebungsverfahren gestürzt. Lula selber saß am Ende selber kurze Zeit in Haft. Zwar konnten ihm die direkte Verwicklung in die großen Korruptionsskandale nie nachgewiesen werden, aber er stolperte am Ende über kleinere Delikte.

Andreas Nöthen gibt faszinierende Einblicke in die knapp 38 Jahre brasilianischer Politik seit der Demokratisierung. Aber er zeichnet mehr die jüngere Geschichte Brasiliens nach, anstatt sich auf Lula zu fokussieren. Manchmal verliert er sich in Köpfen, Namen, Details und überlädt die Biografie mit Seitenaspekten. Die Erzählung über Lula bleibt dabei oberflächlich.

Ernüchternde Bilanz

Nicht oberflächlich sind hingegen die Schilderungen der Korruptionsskandale, allen voran des "Mensalão" und des "Lava Jato" einschließlich der Erörterung einer der zentralen Fragen: war die Korruption angesichts des verkrusteten politischen Systems Brasiliens unausweichlich?

Ebenso umfassende und differenzierte Fallstudien liefert Nöthen zu Lulas Indigenenpolitik, zum Schutz des Amazonaswaldes und der Unterstützung der Landlosenbewegung. Dabei kommt der freie Journalist, der einige Jahre in Brasilien gelebt hat, zu einer sehr ernüchternden Bilanz.

Lula hat mit seiner dritten Amtszeit eine wohl letzte Chance bekommen, das Land zu gestalten, zu versöhnen und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Ob ihm dies gelingen wird? Mit Nöthens Biografie können wir zurück nach vorn schauen.

 

Andreas Nöthen: Luiz Inácio Lula da Silva. Eine politische Biografie. Mandelbaum Verlag, Wien 2022. 256 Seiten, 20 Euro.

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