»Keine Atempause. Geschichte wird gemacht. Es geht voran.« Eine gefühlte Ewigkeit ist es her, als die Düsseldorfer Band »Fehlfarben« 1980 mit diesen Zeilen eher unfreiwillig ein Leitmotiv für die »Neue Deutsche Welle« schuf. Gern wird das Stück aus den Archiven gekramt, wenn es um die Begleitmusik für die jüngere Geschichte geht - nicht nur wegen seiner unbestreitbaren Ohrwurm-Qualität, sondern weil die Botschaft für die moderne Zeit allgemeingültig ist.
Keine Atempause. Kennzeichen der Gegenwart ist der anhaltende Krisenmodus: Schlagworte wie Finanzkrise, Flüchtlingskrise oder Demokratiekrise haben sich im medialen Dauerfeuer fast schon abgenutzt.
Die sogenannten »Krisenherde« in aller Welt sind längst nicht mehr überschaubar. Während die Kriege in Syrien, Afghanistan und im Irak die Schlagzeilen hierzulande beherrschen, sind die ebenso blutigen Konflikte etwa im Sudan oder in Nigeria selten im Blickfeld der Hauptnachrichten. Dass im Nahen Osten, besonders aber in Afrika die Kämpfe zunehmend von religiösem Extremismus, insbesondere durch islamistische Terrorgruppen wie Boko Haram, angeheizt werden, ist ein erschreckender Beweis für den Missbrauch von Religionen. Und für die Machtlosigkeit der Weltgemeinschaft.
Geschichte wird gemacht. Die Utopie einer freien, friedlichen und demokratischen Welt bleibt ein Traum, solange nationale Interessen uneingeschränkten Vorrang haben. Dass die Globalisierung nicht Wohlstand für alle, sondern in erster Linie Gewinnmaximierung für wenige gebracht hat, ist eine bittere Erkenntnis. Mit besorgniserregenden Folgen.
Weil die etablierte Politik nicht mit dem Tempo aller - manchmal unwägbaren - Entwicklungen und Erwartungen mithalten kann, wenden sich immer mehr Menschen von ihr ab und lassen sich die eigenen (Vor-)Urteile bevorzugt in der »Echokammer« von Facebook & Co. nur noch bestätigen.
Profiteure sind jene, die für komplexe Probleme einfache Lösungen versprechen. Abgrenzung und Fremdenfeindlichkeit gehören zu den mehr als fragwürdigen Rezepten, mit denen Populisten erfolgreich auf Stimmenfang gehen und dabei auch vor Lügen nicht zurückschrecken.
Der Ruf nach autoritären Führungspersönlichkeiten wird lauter - ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass unkontrollierte Macht eine Vorstufe zur Diktatur ist. Demokratie mag anstrengend sein, vielleicht träge und in ihren Kompromissen manchmal sogar unbefriedigend und ärgerlich. Aber sie ist zu wertvoll, um sie leichtfertig aufs Spiel zu setzen.
Es geht voran. Wir stehen an der Schwelle zum Jubiläumsjahr der Reformation. Ein Kernanliegen Luthers war sein lebenslanges Ringen um die Wahrheit. Ohne Wahrheit ist jedes Tun zum historischen Scheitern verurteilt. Das Vorbild des Reformators bleibt Ansporn und Auftrag. Erst recht in unseren »postfaktischen« Zeiten.
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