Was für ein Leben von der Kindheit als Jude in Nazi-Deutschland hin zu Spitzenpositionen in der Regierung der Supermacht USA: Heinz Alfred Kissinger, geboren am 27. Mai 1923 im fränkischen Fürth, wird 100 Jahre alt. Manchen gilt der gelernte Politikwissenschaftler und Friedensnobelpreisträger Henry Kissinger als weiser Staatsmann, anderen als skrupelloser Machtpolitiker.

2015 hat Kissinger in Hamburg bei den Trauerfeierlichkeiten für den einstigen Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) gesprochen, dessen Freundschaft ein "Pfeiler" in seinem Leben gewesen sei. "Politische Führer agieren im Schatten der Vergänglichkeit", sagte Kissinger. "Ihre Zeit im Amt ist gemeinhin kürzer als der Rhythmus der Geschichte."

Kissinger: Außenminister unter Nixon und Ford

Auch Kissingers Zeit im Amt war nicht lang. Von 1969 bis 1975 war er Nationaler Sicherheitsberater und zwischen 1973 und 1977 Außenminister in den Regierungen der Republikaner Richard Nixon und Gerald Ford. Seitdem hat er kein führendes Amt bekleidet.

Aber der Vater von zwei Kindern, der in zweiter Ehe verheiratet ist und im US-Bundesstaat Connecticut lebt, ist auch als Privatmann präsent: mit seiner Beraterfirma, bei Konferenzen, mit Vorträgen und in Interviews. Bücher hat er geschrieben über Themen der Weltgeschichte und seine Zeit in der Politik.

Kissinger setzt sich für eine internationale "Ordnung" ein, die US-amerikanischen Interessen dienen soll und damit angeblich auch anderen Nationen.

In dem Buch "Weltordnung" aus dem Jahr 2014 griff er zurück auf das Modell des Westfälischen Friedens von 1648, der den Dreißigjährigen Krieg beendet hat. Darin sei Ordnung und ein Gleichgewicht der Mächte angestrebt worden. Das Streben nach "Gleichgewicht", das bedeutete für Kissinger in seiner aktiven Zeit auch Verhandlungen mit der Sowjetunion zur Rüstungskontrolle sowie seine legendäre Reise in die Volksrepublik China 1971. Er bereitete dort den Besuch Nixons vor, den ersten eines US-Präsidenten.

Amerikanische Führung

Demokratische Politiker hören ebenfalls auf den Mann mit dem ausgeprägten deutschen Akzent. Die frühere Außenministerin Hillary Clinton schrieb in einer Rezension von "Weltordnung", Barack Obama und sie teilten Kissingers Überzeugung, "fortgesetzte amerikanische Führung im Dienst einer gerechten und liberalen Ordnung" sei unverzichtbar.

Lang ist aber auch die Liste der Kritiker. Das Buch "Die Akte Kissinger" (2001) des Autors Christopher Hitchens wirft Kissinger Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Er habe US-Interessen mit außerordentlicher Gewalt durchgesetzt.

Zu Beginn des von der Öffentlichkeit geheim gehaltenen und von Kissinger vorangetriebenen Bombardements von Kambodscha notierte Nixons Stabschef H.R. Haldeman in seinem Tagebuch im März 1969, Sicherheitsberater Kissinger sei mit einem Bericht über die "sehr produktiven" Angriffe strahlend hereingekommen. Die Folge des anhaltenden Flächenbombardements: viele Zehntausend Tote.

In einem Interview im Fernsehsender CBS anlässlich seines 100. Geburtstags war Kissinger irritiert über eine Frage nach Kambodscha. Das sei 60 Jahre her und das Bombardieren sei notwendig gewesen, antwortete er.

Demokratisch gewählten Präsidenten gestürzt

Nach der Wahl des Sozialisten Salvador Allende zum Präsidenten in Chile im Jahr 1970 sagte Kissinger, er sehe nicht ein, "warum wir zusehen sollen, wie ein Land kommunistisch wird". Die Forschungseinrichtung "National Security Archive" hat anhand von Geheimdokumenten gezeigt, wie auf Anordnung von Nixon und unter der Aufsicht von Kissinger der Geheimdienst CIA Chile im Vorfeld des Militärputsches von Augusto Pinochet 1973 destabilisiert hat.

Drei Jahre später, inmitten von Repression und Folter in Chile, versicherte Kissinger dem chilenischen Diktator, er habe "dem Westen einen großen Dienst erwiesen" mit dem Putsch.

In Deutschland erwähnen Kissinger-Porträts unweigerlich, dass er sein Leben lang der SpVgg Greuther Fürth treu geblieben sei, dem Fußballverein seiner Heimatstadt. Kissinger spricht nicht viel über seine Kindheit. Die jüdische Zeitung "the algemeiner" zitierte 2015 aus einem Interview, er habe "gewissermaßen ein deutsches jüdisches Mittelklasseleben" gehabt, bis 1933 die Nazis an die Macht gekommen seien. Danach sei es Hitlerjungen erlaubt gewesen, jüdische Jugendliche wie Kissinger zu verprügeln.

Friedensnobelpreis mit Beigeschmack

Im September 1938 ist die Familie in die USA geflohen. Laut Fachmagazin "Diplomatic History" sagte Kissinger über seine Ankunft in New York: "Als ich eine Gruppe von Jungen gesehen habe, fing ich an, auf die andere Straßenseite zu gehen. Und dann habe ich mich daran erinnert, wo ich war." Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er in Europa als Soldat gegen Hitlerdeutschland, machte dann an der Eliteuni Harvard eine akademische Karriere.

Kissinger hat den Friedensnobelpreis 1973 für seine Verhandlungen zur Beendigung des Vietnamkriegs erhalten, zusammen mit seinem vietnamesischen Gesprächspartner Le Duc Tho. Dieser lehnte den Preis ab. Der Krieg ging erst 1975 zu Ende. Die internationale Kritik war beträchtlich: Kissinger habe doch auch den Krieg in all seiner Grausamkeit vorangetrieben.

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