Low-Carb-Diät, Glyx-Diät, Optifast-Diät: Christian Spließ hat so ziemlich alle Diäten ausprobiert. Seit seiner Jugend drängten ihn seine Eltern dazu abzunehmen. Denn er ist mehrgewichtig. Diesen Ausdruck zieht Christian dem Begriff "übergewichtig" vor. Der Zusatz "über" beschreibe immer etwas abseits der Norm, sagt er. Außerdem werde in diesem Zusammenhang "über" mit krankhaft gleichgesetzt.
Keine der bisherigen Diäten brachte Christian einen langfristigen Erfolg. Sie bewirkten nur eines, nämlich dass er sich unwohl fühlte, wie er heute erzählt.
Der 49-jährige Duisburger ist in der Evangelischen Kirche im Rheinland aktiv. Im Hauptamt als Organist, ehrenamtlich als Presbyter. Das heißt, er leitet die Kirchengemeinde mit. Außerdem kümmert er sich um den Gemeindebrief und leitet zwei Chöre. Durch und durch engagiert. Sein eigentliches Herzensthema aber ist der Kampf gegen gewichtsbezogene Diskriminierung. Heute wird dabei oft von "Body Shaming" gesprochen. Das werde in der Kirche stiefmütterlich behandelt, beklagt sich Christian, der sich selbst als "Fett-Aktivist" bezeichnet.
"Das Ideal der Gesellschaft ist nach wie vor ein schlanker Körper"
Auf seinem Instagram-Account wirbt er für Body Positivity, also für die Abschaffung unrealistischer und diskriminierender Schönheitsideale. Obwohl "Diversity", also Vielfalt gerade im Trend liegt und inzwischen etwa auch Plus Size, also kurvigere Models, Chancen auf Erfolg haben, sagt Christian: "Das Ideal der Gesellschaft ist nach wie vor ein schlanker Körper". Wer diesem Ideal nicht entspreche, werde ausgegrenzt. "Wobei es Frauen noch einmal schwerer haben", meint Christian.
Aber auch er hat als Mann leidvolle Erfahrungen machen müssen. Vor allem in der Schulzeit wurde er wegen seines Gewichts gemobbt. Im Sportunterricht wurde er immer als Letztes in die Mannschaft gewählt, beim Schwimmen hänselten ihn seine Mitschülerinnen und Mitschüler mit Sprüchen wie: "Fett schwimmt oben." Und auch heute spüre Christian die Blicke, wenn er in der Öffentlichkeit zum Beispiel einen Burger mit Pommes esse.
Solche Situationen gebe es auch im kirchlichen Raum, erzählt Christian. So habe er es etwa beim Kaffee nach dem Gottesdienst schon erlebt, dass Gemeindeglieder über Diäten sprachen und ihn fragten, ob das nicht auch etwas für ihn wäre.
Während Kirche um das Thema Mobbing allgemein bemüht sei, fehle ihm der Fokus auf mehr-gewichtige Menschen
Seit einiger Zeit versucht Christian deshalb, das Thema in die Gemeinden zu bringen. Bislang mit mäßigem Erfolg, wie er berichtet. So richtig scheint das Interesse nicht da zu sein. Dabei sei "Body Shaming" gerade bei Jugendlichen allgegenwärtig. Zum Beispiel mit Blick auf Social Media: Dort sind junge Menschen ständig mit schlanken und durchtrainierten Frauen- und Männerkörpern konfrontiert, erklärt Christian. Während Kirche um das Thema Mobbing allgemein bemüht sei, fehle ihm der Fokus auf mehr-gewichtige Menschen.
Auf Veranstaltungen wie kürzlich dem Diversity-Tag in der rheinischen Kirche versucht Christian also, das Thema zu platzieren, Kontakte zu knüpfen, Ideen einzubringen. Und die hat er: Christian wünscht sich etwa ein Barcamp, z. B eine Tagung zum Thema Gewichtsdiskriminierung. Auch in Predigten sollte das Thema vorkommen. Im Idealfall von Pfarrerinnen und Pfarrern, die selbst mehr-gewichtig seien. Am liebsten hätte der Duisburger einen eigenen Ansprechpartner für diese Art von Mobbing im Kirchenkreis.
Mit seinem Gewicht hat Christian inzwischen Frieden geschlossen. Diäten sind für ihn kein Thema mehr, er ernährt sich intuitiv. Er isst also das, worauf er gerade Lust hat, hört auf die Hungersignale seines Körpers. Es gibt keine Regeln mehr, sondern nur Leitlinien. So nehme er nicht weiter zu.
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