Ein Grund, warum das evangelische Beratungszentrum in München gerade viele Anfragen zum Thema Mobbing kommt, könnte sein, dass durch das viele Homeschooling in der Pandemie Schüler*innen und Schüler nicht viel Gelegenheit hatten, soziale Kompetenz zu lernen.

Grundsätzlich gilt: Wenn Eltern merken, dass ihr Kind in der Schule über eine längere Zeit drangsaliert, schikaniert oder womöglich angegriffen wird, dann sollten sie eingreifen. Worauf es dabei ankommt, erklärt Psychologin und Mobbing-Expertin Katharina Oßwald vom evangelischen Beratungszentrum in München im Gespräch mit dem Sonntagsblatt. Hilfsangebote für konkret von Mobbing Betroffene finden Sie weiter unten. 

Woran erkenne ich Mobbing überhaupt?

Katharina Oßwald: Es gibt bestimmte Kennzeichen, dazu gehört ein Kräfte-Ungleichgewicht, also dass sich mehrere gegen einen zusammentun, oder Ältere gegen Jüngere. Dann ist auch die Häufigkeit und die Dauer entscheidend. Ein einmaliger Vorfall ist nicht gleich Mobbing, sondern das muss wiederholt und regelmäßig stattfinden. Und was auch wichtig ist: Es muss sich konstant und gezielt gegen eine Person richten.

"Konfliktlösungs-Kompetenzen helfen bei Mobbing einfach nicht."

Wie reagiert man richtig, wenn diese Kriterien erfüllt sind?

Oßwald: Was wir immer abfragen: Gibt es andere Kinder, die das auch erleben mit diesem Jungen oder Mädchen? Oder betrifft das jetzt wirklich nur dich? Wichtig ist es, zu verstehen, dass keine Konfliktlösung möglich ist. Das heißt, dass der oder die Betroffene sich auch nicht selbstständig aus der Situation befreien kann. Konfliktlösungs-Kompetenzen helfen bei Mobbing einfach nicht.

Was können die Kinder dann machen?

Oßwald: Sie sollten sich Hilfe holen und auf keinen Fall versuchen, das irgendwie alleine zu lösen. Denn das wird nicht funktionieren. Sie sollten zuerst den Eltern Bescheid sagt, den engsten Vertrauenspersonen in der Schule, den Lehrkräften – sich also an Erwachsene wenden.

"Mobbing ist gekennzeichnet von einem Kontrollverlust. Und das wichtigste ist, dass Kinder, die davon betroffen sind, ihr Kontroll-Gefühl wiedererlangen."

Und wie sollten diese Erwachsenen dann am besten reagieren?

Oßwald: Das A und O ist tatsächlich, das Kind mit seinen Problemen ernst zu nehmen, auf keinen Fall versuchen, ihm irgendeine Schuld zuzuweisen. Dann braucht es Gespräche mit dem Kind, und ganz wichtig: Kein Verhör, kein offensives Ausfragen. Zeit mit dem Kind verbringen und ganz entspannt Raum dafür schaffen, dass das Kind erzählen kann. Man sollte ihm auch Mut zusprechen, sagen: Wir schaffen das, wir holen uns Hilfe – das ist nicht okay, was da mit dir gemacht wird. Also wirklich alles, was irgendwie das Selbstvertrauen stärkt. Mobbing ist gekennzeichnet von einem Kontrollverlust. Und das wichtigste ist, dass Kinder, die davon betroffen sind, ihr Kontroll-Gefühl wiedererlangen.

Welche Rolle kann Ihre Beratungsstelle dabei spielen?

Oßwald: Wir kommen häufig in dem Moment ins Spiel, wo Eltern  in komisches Bauchgefühl haben und noch nicht sicher sind: Ist es überhaupt Mobbing oder ist es einfach nur schwieriges Klassen-Klima? Und dann hängt es davon ab, wie das Kind dazu eingestellt ist, ob es ein längerer Begleitungsprozess wird, oder ob es schon reicht, ein bisschen über Mobbing und die Möglichkeiten, die man hat, aufzuklären. Das ist total unterschiedlich.

Was ist Mobbing?

Der Begriff "Mobbing" kommt aus dem Englischen und beschreibt die Umgangsform zwischen Personen. Grundsätzlich bedeutet er: jemanden bedrängen, belästigen, anpöbeln, schikanieren oder gar über ihn herfallen. Es handelt sich also um einen massiven, aggressiven Eingriff in das Leben und Handeln eines anderen Menschen. Mobbing passiert überall dort, wo sich Menschen in die Quere kommen können. Daher werden auch immer häufiger Kinder und Jugendliche in der Schule zum Opfer von Mobbing-Attacken.

Ist Mobbing eigentlich geschlechtsunabhängig oder gibt es da eine Tendenz?

Oßwald: Ich habe kürzlich eine Studie gelesen, die war allerdings von 2019. Dafür wurden Kinder in der Altersgruppe 2. bis 9. Klasse untersucht und da waren es deutlich mehr Jungs als Mädchen, die als Täter in Erscheinung traten. Aber grundsätzlich kann man sagen: Natürlich kommt es in beiden Geschlechtern vor. Es gibt allerdings tendenzielle Unterschiede. Mädchen sind eher die, die andere ausschließen, schlecht über sie reden und Gerüchte streuen. Jungs sind eher die, die schlagen, erniedrigen, beschimpfen, also wirklich vordergründig aggressiv sind.

"Mobbing ist ein systemisches Phänomen, was nicht von einem einzelnen abhängt, sondern in einem fehlerhaften System Frucht findet."

Gibt es denn bestimmte Voraussetzungen, die dazu führen, dass ein Kind andere mobbt?

Oßwald: Da muss man ganz arg vorsichtig sein. Mobbing ist ein systemisches Phänomen, was nicht von einem einzelnen abhängt, sondern in einem fehlerhaften System Frucht findet. Aber klar, es wurde schon untersucht, welche Eigenschaften bei Akteuren vorhanden sein können. Häufig sind es impulsiv-aggressive Kinder, die weniger Mitgefühl zeigen, oft auch Kinder, die körperlich überdurchschnittlich stark sind. Geringes Selbstwertgefühl spielt immer eine Rolle. Und häufig sind es tatsächlich Kinder, die früher selber von Mobbing betroffen waren. 

Gibt es auch bei den Eltern der Kinder bestimmte Muster?

Oßwald: Auch das. Es sind häufig überforderte Eltern, die sich ihren Erziehungsaufgaben nicht gewachsen fühlen. Oder die die besten Freunde ihrer Kinder sind und gar nicht so ein richtiges Eltern-Kind-Verhältnis pflegen. Auch entweder ganz autoritäres oder ein übertolerantes Verhalten kann eine Rolle spielen, also das Thema zu enge oder zu wenig Grenzen. Und Eltern, die möglicherweise einen starken Medienkonsum mit aggressiven Inhalten tolerieren. was dann wiederum zur Herabsetzung der Empathiefähigkeit führt.

Hilfe bei Mobbing

Hilfe und Unterstützung bei Mobbing finden Sie beispielsweise im Evangelischen Beratungszentrum in München. 

Jeden vierten Mittwoch im Monat findet außerhalb der Ferienzeiten zwischen 14.30 und 17.00 Uhr eine Sprechstunde statt für von Mobbing betroffene Schüler*innen und deren Eltern sowie Fachkräfte, die mit Mobbing unter Schüler*innen konfrontiert sind. Für einen Beratungstermin ist eine Anmeldung im JIZ unter (089) 550521 50 erforderlich.

Weitere Angebote in Ihrer Nähe finden Sie auf dieser Seite: Landkarte für Mobbing-Hilfe