Kindheitsmuster

Mein Gipfelbuch

Beim Aufräumen fällt mir ein kleines Büchlein in die Hand. Vokabelheftformat, mit steifem Einband aus weinrotem Karton. Auf die Vorderseite hat mein Vater in Großbuchstaben geschrieben: Elkes Gipfelbuch. Ich schlage es auf. Der erste Eintrag besagt: am 14. August 1964 war ich auf dem Rosskopf und auf dem Stümpfling. Neben dem Eintrag ein Stempel: Blecksteinhaus, Deutscher Alpenverein Sektion München. Ja, das Blecksteinhaus, eine dunkle Holzhütte, – dort waren wir untergebracht. Von dort aus habe ich wohl mit Eltern und Schwester meine ersten Gipfel bestiegen.

Ich war gerade mal 4 Jahre alt. Ich seh‘ uns mit Bergstiefeln und Regenmänteln wandern. Das Wetter war oft gar nicht sommerferiengemäß. Doch bei Regen war es auch spannend: wie viele Regenmacher sehen wir? In meiner Erinnerung konnten wir immer welche entdecken – schwarze Alpensalamander, die nur bei Regen ans Tageslicht kriechen.  Mit dem Gipfelbuch in der Hand staune ich: schon mit 4 Jahren Gipfeltouren. Damals bin ich vermutlich noch willig mitmarschiert – später dann, wenn es wieder einmal in die Berge ging in den Sommerferien, habe ich gemault. Können wir nicht auch mal ans Meer fahren wie meine Freundinnen?

Das ist keine Erholung, haben meine Eltern gesagt, am Strand liegen und in die Ferne schauen. Wer beruflich so viel am Schreibtisch sitzt wie dein Vater, hat meine Mutter gesagt, der braucht einfach im Urlaub Bewegung. Innerlich hab ich mir damals geschworen: Wenn ich mal erwachsen bin, fahr ich ans Meer! 

Es ist dann doch ganz anders gekommen.  

Kindheitsmuster, könnte man sagen, liebe Hörerinnen und Hörer. Gewohnheiten, Prägungen, die sich auswirken auf das ganze Leben. Kindheitsmuster, so heißt ein Roman, der mir vor vielen Jahren ein großes Lesevergnügen bereitet hat. Sein Titel hat sich mir fest eingeprägt: "Kindheitsmuster" – denn die gehören zu meinem Leben. Schon lange bin ich wie meine Eltern überzeugt: Erholung braucht Bewegung. Im Urlaub fahre ich immer noch am liebsten in die Berge und nicht ans Meer. Und es freut mich unbandig, wenn ich einen Alpensalamander oder eine Enzianwiese entdecke.

In meiner Begeisterung für Bergwandern und Naturbeobachtungen entdecke ich Kindheitsmuster. Und das wärmt mir das Herz. Ich werde dankbar, spüre die liebevolle Verbindung zu meiner Familie.

Ja, ich war gut aufgehoben in meinem Elternhaus. Meine Eltern waren verlässlich für mich da, haben viel mit uns Kindern unternommen. Die allermeisten Kindheitsmuster, die ich in meinem Leben erkenne, helfen mir zum Leben.

Kindheitsmuster, die ein Leben beschatten

Die Väter haben saure Trauben gegessen und den Kindern sind die Zähne stumpf geworden….  Ein altes Sprichwort, das wir in der Bibel finden. Auch das Sprichwort nimmt Kindheitsmuster in den Blick – aber nicht als gute Zutat fürs Leben, sondern als leidige Last.  Kinder, sagt uns das Bildwort von den sauren Trauben, Kinder werden es lebenslang spüren, was ihre Eltern getan oder versäumt haben. Wie ein Korsett wird sie das einschnüren und am Leben hindern.

Belastende Kindheitsmuster wirken lange nach. Kinder, die in Armut aufwachsen, sind davon besonders betroffen. Ein junger Mann erzählt in seiner eigenwilligen Autobiografie, wie schwer es ihm fällt, sich helfen zu lassen. Sein Kindheitsmuster ist: Ich muss es allein schaffen. Seine Eltern waren überfordert. Sie haben‘s nicht geschafft, ihren Alltag in den Griff zu bekommen, eine Arbeitsstelle zu finden, ihre Kinder zu betreuen oder das wenige Geld sinnvoll einzuteilen, über das sie verfügen konnten. Ganz alltägliche Schwierigkeiten sind ihnen über den Kopf gewachsen, z.B. einen Antrag auszufüllen oder zum Jobcenter zu gehen, wenn sie dort einen Termin hatten. Selbst wenn man ihnen einen Teil des Geldes gestrichten hat, sobald sie den Termin versäumt haben. Sie waren einfach überfordert. Ihr Leben war in eine Sackgasse geraten und das hat sie in die Flucht geschlagen. Sein Vater hat sich in eine psychische Krankheit geflüchtet, war immer wieder für Wochen nicht ansprechbar. Seine Mutter wurde erst laut und aggressiv, irgendwann ist sie dann einfach für eine Weile verschwunden, hat irgendwo das letzte Geld verzockt beim Glücksspiel. In der irren Hoffnung auf einen Millionengewinn. Was die Eltern nicht geschafft haben, hat ihr Sohn übernommen. Er kauft ein, geht zum Geldautomaten, macht morgens den Bruder für die Schule fertig. Er ist es schließlich, der die leidige Post vom Amt öffnet, die die Eltern einfach beiseitelegen. Er ist grad mal ein Grundschulkind. Ganz früh schon muss er alles allein schaffen und das prägt sich ihm tief ein.

Das Kindheitsmuster "früher Verlust"

Auch die Bibel erzählt ganz nebenbei von Kindheitsmustern, von frühen Prägungen, die lange nachwirken –  so wie der Ausfall elterlicher Fürsorge. Ein folgenreicher Mangel – so das erste Buch Samuel. Dort verliert ein kleiner Junge seine Eltern. Nicht durch frühen Tod, Unfall oder Überforderung. Nein, ganz planvoll wird Samuel in die Hand eines Priesters gegeben – unmittelbar nachdem ihn seine Mutter abgestillt hat. Samuel ist vermutlich grad mal drei Jahre alt, als er vom Elternhaus in den Tempel gebracht wird. Denn Hanna, seine Mutter, hat in einem verzweifelten Moment Gott versprochen:

Solltest Du mir doch noch ein Kind schenken, auf das ich schon so lange vergeblich hoffe, dann will ich es dir weihen und dem Tempel übergeben. Als es endlich soweit ist, fühlt Hanna sich an ihr Gelübde gebunden. Selbst wenn ihr das das Herz bricht. Deswegen darf sie ihren Sohn nur kurze Zeit herzen und küssen, ihm Schlaflieder singen und Kosenamen ins Ohr flüstern. Nach dem Abstillen muss sie ihn hergeben. Sie legt sein Schicksal in die Hand von Eli, dem Priester in Silo. Hanna wird ihren Sohn nur noch selten sehen. Einmal im Jahr geht sie mit ihrem Mann nach Silo, um dort ein Opfer zu bringen. Immer hat sie ein Geschenk für Samuel dabei. Ein kleines Hemd, an dem sie wochenlang genäht hat. 

Vom den seltenen Besuchen bleibt dem kleinen Jungen nur das handgenähte Kittelchen. Es riecht nach daheim, doch der heimatliche Geruch entschwindet nach und nach genauso wie das Lachen des Vaters und die Umarmung der Mutter. Nun lebt der kleine Samuel bei Eli, einem in die Jahre gekommenen Priester und seinen Söhnen. Und die verwandeln Silo in eine Räuberhöhle. Sie bedrohen und bestehlen die Pilger, die ins Heiligtum kommen. Schwer vorstellbar, dass dort dem kleinen Samuel jemand abends den Rücken krault vorm Einschlafen oder "heile heile Segen" singt über einem aufgeschürften Knie.

Auch Samuel lernt, für sich selbst zu sorgen. Er wird ein harter Mann, der viele Jahre das Volk Israel führt, als Richter und Feldherr. Als er alt wird, fordert das Volk einen König, etwas Unerhörtes, etwas noch nie Dagewesenes im alten Israel. Denn Samuels Söhne taugen nicht zur Nachfolge. Ähnlich wie sein Lehrer Eli hat Samuel keine glückliche Hand bei ihrer Erziehung gehabt. Auch seine Söhne nehmen Bestechungsgelder und beugen das Recht. Samuel wird deswegen widerwillig Saul zum König salben, ihn aber im entscheidenden Moment hängen lassen. Samuels Hartherzigkeit – Folge der früh verlorenen Elternliebe? Die Bibel legt diese Vermutung nahe.

Kindheitsmuster – der Roman

Kindheitsmuster – Prägungen, denen wir nicht entkommen können, im Guten wie im Bösen. Davon handelt auch der Roman, dessen Titel mich mit dem Begriff "Kindheitsmuster" vertraut gemacht hat. "Wie sind wir so geworden, wie wir heute sind?" Im Roman unternimmt eine Schriftstellerin 1971 eine Reise in ihre schlesische Heimatstadt, die nun in Polen liegt. Sogleich steigen Erinnerungen auf: Kinderspiel, erste Freundschaften, kleines Glück, aber auch erste Erfahrungen mit Lüge, Scham und Verstellung. Da gab es das Tabu, am Familientisch über Nazis oder Juden zu reden, zugleich die ideologische Indoktrination in der Schule und beim Bund Deutscher Mädel. Dennoch ist sie irgendwann selbst eine begeisterte BDM-Führerin, die für Hitler schwärmt. Es bleibt offen, ob Christa Wolf eigenes Erleben erinnert, wenn sie die Erlebnisse ihrer Hauptfigur schildert, Nelly Jordan, einem Mädchen ihres Alters. An ihrer Verehrung für Adolf Hitler hält Nelly bis zuletzt fest – bis ihr nach Kriegsende langsam klar wird, dass sie in einer Diktatur gelebt hat, die verantwortlich ist für schlimme Verbrechen.

Christa Wolfs Buch ist ein Leseabenteuer, für manchen vielleicht auch ein Verwirrspiel, denn sie verwebt in ihrem Buch drei Erzählstränge: den Reisebericht aus dem Jahr 1971, die Erinnerung an die Kindheit zwischen 1933 und 1946, und die Zeit Mitte der 70er Jahre, in der sie das Buch darüber schreibt und gleichzeitig wahrnimmt, was in der Welt geschieht: Vietnamkrieg-Putsch in Chile. Man spürt das Anliegen der Schriftstellerin: Solange wir uns nicht erinnern und aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, wird sich die Geschichte wiederholen. Deswegen muss erinnern umfassend geschehen. Unserer Schande, unserer Scham nicht auszuweichen. Weder persönlich noch gesellschaftlich. Dazu ermuntert Christa Wolf. 1976 war es in der DDR unerhört, etwas über die Vertreibung der Schlesier durch die sowjetische Armee zu schreiben. Das passte einfach nicht in das offizielle Bild der Sowjets als Befreier. Die Schriftstellerin hat es trotzdem gewagt.

Biblische Lösungsmuster

Wer im Internet in einer Suchmaschine "Kindheitsmuster" eingibt, wird viele Angebote finden, die versprechen "Kindheitsmuster aufzulösen". Prägungen loszuwerden, die am Leben hindern. Die Last abzulegen, die aus der eigenen Geschichte mit den Vorfahren herrührt. Dieser Ansatz ist nicht neu, wir finden ihn bereits in der Heiligen Schrift. Denn das Sprichwort von den sauren Trauben und den stumpfen Zähnen überliefert die Bibel nicht als immer gültige Lebensweisheit, im Gegenteil. Der Prophet Jeremia und der Prophet Ezechiel haben der traurigen Lebensweisheit deutlich widersprochen.

Ezechiel berichtet:

Und des HERRN Wort geschah zu mir: Was habt ihr unter euch im Lande Israels für ein Sprichwort: "Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden"? So wahr ich lebe, spricht Gott der HERR: Dies Sprichwort soll nicht mehr unter euch umgehen in Israel. Denn siehe, alle Menschen gehören mir; die Väter gehören mir so gut wie die Söhne…  Der Sohn soll nicht tragen die Schuld des Vaters, und der Vater soll nicht tragen die Schuld des Sohnes (Ez 18, 1 – 4b.20b) 

Wir hören es klar und deutlich: Gott selbst befreit aus ererbter Schuld, er löscht die Kindheitsmuster, die das Leben verwüsten. Bei Gott gibt es keinen schicksalshaft vorprogrammierten Lebenslauf. Das wird zum Maßstab, wie wir mit unseren Prägungen umgehen sollen, wie wir freiwerden können von Kindheitsmuster, die uns beschämen und behindern.

Armut beschämt, so erinnert sich der junge Mann aus seinen Kindertagen in einem chaotischen Elternhaus und weicht seiner eigenen Scham nicht aus.

Durch die Armut ist seine ganze Familie abgeschnitten vom normalen Leben. In der Schule gehört er irgendwie nicht dazu. Er kann keine Freunde zu sich einladen, seine Eltern wollen das nicht, weil niemand mitbekommen soll, wie es bei ihnen daheim zugeht. Er wird fast nie zu Kindergeburtstagen eingeladen. Wenn es doch mal geschieht, muss er sich schämen, er hat ja kein Geschenk dabei.  Und dann besitzt er auch nur ein Paar Schuhe: seine Füße müffeln, und wie. Peinlich. Also ist er dauernd damit beschäftigt, seine Füße oder gleich sich selbst zu verstecken.  

Als er 11 Jahre alt ist, kommt der Tag, an dem er merkt: er kann nicht mehr, er kann nicht zwei Eltern ersetzen. Zu groß, zu schwer die Verantwortung, die er so schon lang für seine gebeutelte Familie trägt.

Er wendet sich ans Jugendamt. Und wird sofort in einer Wohngruppe des SOS-Kinderdorfs aufgenommen. Endlich gibt es Menschen, die sich für ihn interessieren. Er gehört bald gut dazu – er will lernen und das wird belohnt: wer gut seine Hausaufgaben macht, verdient Punkte, Punkte für die ganze Wohngruppe. Wenn genug Punkte gesammelt sind, machen alle zusammen einen Ausflug. Kino oder Schwimmbad – so was hat es daheim bei ihm nie gegeben.

Mit viel Fleiß arbeitet er sich hoch, macht Abitur, erlangt ein Stipendium und ist heut Student. Ein Weg, der allen offensteht? Der junge Mann wehrt ab.

Wenn einer es schafft der Armut zu entkommen "wird der falsche Schluss gezogen, dass dieser Weg jedem offensteht. Aber wenn es nur mit so großer Anstrengung geht, ist es ein Zeichen dafür, dass politisch und gesellschaftlich viel zu wenig passiert. Ich befürchte, dass die Armut meiner Eltern an meinen Bruder weiter vererbt wird, das belastet mich schwer."[1]

Jeremias Thiel heißt der junge Mann. Er will die Situation armer Kinder verbessern. Er engagiert sich politisch und hat ein Buch geschrieben:

"Kein Pausenbrot, keine Kindheit, keine Chance. Wie sich Armut in Deutschland anfühlt und was sich ändern muss."  

Dort hat er verschiedene Ideen niedergeschrieben, wie die Situation armer Kinder zu verbessern ist. Er denkt zum Beispiel an Kinder, deren Eltern arbeitslos und suchtkrank sind. Die Eltern beziehen Harz IV, Grundsicherung. Das langt nie und nimmer zum Kauf der Suchtmittel. Also wird in vielen Familien das Kindergeld nicht für die Kinder, sondern für Alkohol oder Drogen ausgegeben. Wer armen Kinder aus solchen Familien helfen will – so Jeremias Thiel – der soll das Kindergeld nicht auszahlen, sondern stattdessen Angebote finanzieren, den Kinder aus armen Familie außer Hauses helfen durch Ganztagsschule oder Tagesbetreuung.

Kinder schützen und fördern

Mich sprechen die Ideen von Jeremias Thiel an. Ich bin dankbar, dass er mir einen Blick gestattet in das Leben von Kindern, die in Armut aufwachsen.  Ebenso für seine Ideen, die Situation dieser Kinder zu verbessern. Ich bin sicher: wir Christen sind hier gefordert.

Heut hab‘ ich über Kindheitsmuster nachgedacht. Ich wünsch mir, dass jedes Kind im Erwachsenenalter Kindheitsmuster in sich entdeckt, die das Leben fördern. Ich halte das für eine Aufgabe, die Jesus uns vorgelebt hat. Ich sehe ihn erstaunlich offen und freundlich auf Kinder zugehen. Ihn - einen Mann aus alter Zeit, in der Kinder noch nicht viel gegolten haben. Werd doch erst mal groß, dann kann ich dich für voll nehmen, so hat es in der Antike gegolten und manch betagter Menschen hat es ähnlich gesagt bekommen als Kind.  

Die Evangelien-Erzählungen der Kindheit Jesu lassen vermuten: ein von seinen Eltern behütetes Kind, das gesucht wird, wenn es verloren geht, das bejubelt ja regelrecht angebetet wird bei seiner Geburt, wird ein Mann mit einem großen Herzen für die Menschen, ja für die ganze Welt.

Dieser Mann weiß es, er spürt es: es stärkt, es tröstet, berührt oder geherzt zu werden. Jesus wehrt sich gegen seine Jünger, die die Leute mit den Kindern vertreiben möchten, nein er fühlt sich überhaupt nicht belästigt durch Kinder. Lasst sie zu mir, lasst sie an euch heran, schaut hin! Wer sich an ihnen kein Bespiel nimmt, wird nichts von Gottes neuer Welt erfahren. Und dann herzt er sie und legt ihnen die Hand auf.

Jeremias Thiel erinnert sich an die Menschen, die ihn aus Scham und Unsicherheit herausgeholt haben:

ein paar besondere Lehrer, die Erzieherinnen in der Wohngruppe. Sie haben ihren Dienst gemacht und ein bisschen mehr. Sie haben nicht nur ihrem Dienstauftrag gemäß gehandelt, sondern auch ein emotionales Band zu ihm geknüpft. Er hat ihn ihnen so etwas wie eine zweite Familie gefunden.

Erwachsene haben eine Aufgabe: Kindern das Feld zu bereiten zum Einsammeln guter Erfahrungen – aus denen hilfreiche Kindheitsmuster werden können. Das ist nicht nur eine Aufgabe für Leute mit Kindern und Enkelkindern. In der Nachbarschaft oder in dem Hotel, wo ich Urlaub mache, komme ich mit Kindern in Berührung und kann etwas für sie tun.  Es fängt vielleicht klein an mit einem freundlichen Blick oder einem gutgelaunten Wort, mit Interesse für das, was ein Kind tut. Kinder zu schützen ist ebenso eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die engagierte Menschen braucht: was muss getan werden, dass Kinder heil durch die Corona-Krise kommen? Kinder, die nachhaltig verstört sind durch die Monate der Isolation oder durch den fehlenden Schulbesuch, durch Zukunftsangst oder häusliche Gewalt.

Für meine frühe Kindheit war ganz entscheidend die Freundlichkeit einer betagten Nachbarin. Damals habe ich mit meiner Familie in einer kleinen Mansardenwohnung ohne Balkon gelebt. Die Nachbarin hatte in der gleichen Straße ein Grundstück, unbebaut, ein Stück Erde, auf dem eine Art Dschungel entstanden war aus Obst- und Laubbäumen, aus Büschen und Stauden, aus Brennnesseln und Disteln. Ein Kinderparadies. Viele Stunden haben wir dort gespielt – dank der kinderfreundlichen Nachbarin. Lasst die Kinder zu mir kommen – ein Jesus-Satz, der uns ins Herz geschrieben sei.

[1] Zitiert aus Publik Forum "Ich habe mich immer geschämt" Nr.10/2020 S. 21