Es dürfte etwa ein halbes Jahr vor meiner Konfirmation gewesen sein: Ich war im Gottesdienst, um anschließend meine Unterschrift für den Konfipass zu erhalten. Von diesen Pflichtgottesdienstbesuchen meiner Jugend weiß ich nicht mehr viel, außer dass ich mich vor allem über den Segen freute. Dann war das Ende des Gottesdienstes absehbar.
In diesem einen Fall war es jedoch anders: "Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!" wurde gelesen und ich wusste sofort, das soll mein Konfirmationsspruch werden. Mit Glauben hatte ich zu dieser Zeit noch nicht viel am Hut und doch war ich fasziniert von dem, was ich hörte. Von Jesus, seinen Taten, seiner Auferstehung. Aber konnte ich dem glauben? Beweise für Gott gab es keine, so sehr ich mir als Jugendlicher das vielleicht gewünscht hätte – da sprach mir dieser Satz mitten ins Herz: "Selig sind, die nicht sehen und doch glauben."
Die Ostergeschichte und Auferstehung
Erst später habe ich verstanden, dass dieser Ausspruch Jesu aus der Ostergeschichte stammt. Jesus sei auferstanden, sagen die Freunde. Thomas ist nicht dabei - und kann sich nicht vorstellen, dass Jesus auferstanden sein soll.
"Solange ich ihn nicht gesehen und seine Wunden berührt habe, kann ich nicht glauben, dass er lebt!"
Eine Woche später erscheint Jesus den Freunden erneut und Thomas ist anwesend. Ihm hält Jesus die Hand hin. Er darf das Unglaubliche im wahrsten Sinne des Wortes begreifen. Thomas darf den Beweis der Auferstehung fassen und in seinen Händen halten.
Und jetzt folgt das Unglaubliche: Wir lesen nicht, dass er Jesus tatsächlich berührt hätte. Wir wissen nicht, ob Thomas die Hand in die Wunden legte. Doch ich bin davon überzeugt, er brauchte es nicht mehr zu tun. Durch die innere Begegnung mit Jesus wird der äußere Beweis zweitrangig. Nicht er berührt, sondern er wird berührt. Allein die Anwesenheit des Auferstandenen verändert Thomas.
‚Selig‘ heißt übersetzt ‚glücklich‘. "Glücklich sind, die nicht sehen und doch glauben." Glücklich, wer keine Beweise hat und dennoch glauben kann. Thomas ist glücklich in seinem Herzen – auch, ohne dass er Jesus berührt hätte.
In meinen ersten Jahren als Gemeindepfarrer musste ich von unserer damaligen Mesnerin Abschied nehmen, die mir zur Freundin geworden war. Mit knapp siebzig Jahren hatte sie eine besondere Form von Krebs bekommen, die sie auch im Alltag stark einschränkte. Sie konnte das Haus kaum mehr verlassen.
Als ich sie besuchte, war uns beiden bewusst, dass wir uns vermutlich nicht mehr häufig sehen würden. "Schau‘ nicht so traurig", sagte sie zu mir, "ich weiß, wo ich hingehe…". Der Anruf, dass sie verstorben war, kam mitten während eines Gottesdienstes. Trauer und Hoffnung am Sonntagmorgen – beides zugleich. In der Trauerfeier später waren wir sichtbar mit Tod und Vergänglichkeit konfrontiert. Im Herzen durften wir aber glauben und auf die Auferstehung hoffen. Ich war dankbar, in aller Trauer ihre Worte der Hoffnung im Ohr zu haben. Glücklich diejenigen, die nicht sehen und doch glauben können.
Muss ich an die Auferstehung glauben? Ist es sinnvoll, an sie zu glauben?
Es gibt nicht wenige Tage, an denen ich mir wie Thomas wünschen würde, mit meinen Händen Jesus zu greifen und einen Beweis seiner Auferstehung in Händen zu halten. Aber an mindestens ebenso vielen Tagen darf ich erleben, wie die Hoffnung auf die Auferstehung Menschen verändert. So wie Thomas den Beweis nicht mehr in Händen halten muss, sondern durch die spürbare Nähe Jesu verändert wurde.
Die Auferstehungshoffnung verändert Menschen und Situationen, das durfte ich immer wieder erleben. Am Sterbebett eines Menschen, um das sich die ganze Familie versammelt und gemeinsam schweigt und mitgeht. Am offenen Grab auf dem Friedhof, an dem die Ehefrau beim Abschiednehmen laut "Möge die Straße uns zusammenführen" singt. In der Osternacht, in der das Licht äußerlich und innerlich die Dunkelheit vertreibt. Der Zweifel kommt immer wieder – die Auferstehungshoffnung auch.
Selig, wer nicht sieht und dennoch glauben kann.
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