Limoni, Paradiesapfel, Himbsels Rambur - im Supermarkt sind Äpfel mit solchen Charakternamen nicht zu finden. Ganz zu schweigen von jenen 250 Arten, die das Projekt "Apfel.Birne.Berge" der sechs oberbayerischen Landkreise zwischen Berchtesgaden und Weilheim seit 2019 als vergessene Sorten identifiziert hat. In Rohrdorf im Landkreis Rosenheim wurde am Freitag - nach Traunstein und Berchtesgadener Land - der dritte oberbayerische Sorten-Erhaltungs-Garten angepflanzt.

Das Ziel: "Die gefundenen Sorten nachzüchten und in großer Zahl in die Streuobstwiesen der Region ausbringen", sagte Projektleiterin Eva Bichler-Öttl. Nicht nur, weil somit altes Kulturgut erhalten bleibt. Sondern vor allem, weil die alten Apfelbäume genetisch interessant sind: für Allergiker verträglich, gegen Krankheiten oft resistent oder unempfindlich gegen den Klimawandel. "Diesen Genpool müssen wir erhalten", erklärt die Landschaftsarchitektin.

Projekt "Apfel.Birne.Berge" legt "Sorten-Erhaltungs-Gärten an

Doch bevor man etwas findet, muss man es erst mal suchen. Mithilfe der Gartenbauvereine und Zeitungsanzeigen baten Bichler-Öttl und die Fachberater der Landkreise darum, Obstbäume zu melden, die schon seit 1950 oder länger auf den Wiesen der Bauern und Gärtner stehen. Vielversprechende Funde untersuchte der Pomologe des Projekts, Georg Loferer, vor Ort. Alles, was der Apfelexperte nicht zuordnen konnte, wurde im "Kompetenzzentrum Obstbau" am Bodensee analysiert. Was danach noch unklar war, kam als Blattprobe in ein Schweizer Labor. "Dort hat der Computer im Abgleich mit Datenbanken errechnet, mit welchen Sorten dieser Apfel Ähnlichkeiten haben könnte", erklärt Bichler-Öttl.

In 250 Fällen waren die so gering, dass die Leute bei "Apfel.Birne.Berge" diese Bäume als vergessene Sorten einstuften. Davon gibt es eine Menge: 2.292 Apfel- und 1.658 Birnensorten hat es in Bayern mal gegeben, so das Fazit einer Studie von 2015 - heute sind noch 647 Apfel- und 285 Birnensorten erhalten.

Für die Nachzucht nehmen die Fachleute einen bleistiftdünnen, etwa 30 Zentimeter langen Ast des "vergessenen Baums". Dieses sogenannte Edelreis pfropfen sie dann auf eine Wurzelunterlage. Manche Apfelbäume können bis zu sieben, manche Birnen sogar bis zu 18 Meter hoch werden. "Ertragreiche Ernte erhält man dann nach etwa 20 Jahren", sagt Eva Bichler-Öttl. Deshalb werden die alten Sorten im Projektgarten auch auf schwach wachsende Unterlagen gepflanzt, deren Bäume am Ende nur zwei bis drei Meter hoch sind. "Da erntet man schon im zweiten Jahr Früchte, kann damit experimentieren und sie bewerben", erläutert die Landschaftsplanerin.

Denn ganz so einfach ist es nicht mit den alten Sorten. Regelmäßige Ernte übers Jahr zum backen, einwecken, mosten, lagern und dörren war für Menschen früher ein wichtiges Konzept der Selbstversorgung. Aber wer heute im Laden einen Apfel kauft, erwartet eine knackig-süßsäuerliche Frucht mit Standardmaßen. Und wer seine Streuobstwiese nutzen will, pflanzt am liebsten Früchte, die alle zur gleichen Zeit erntereif sind. Solchen Effizienzgedanken entziehen sich aber viele der alten Sorten: Sie reifen zwischen Juli und November, haben sämtliche Formen, Farben und Aromen. Viele sind nicht zum Sofort-Verzehr und manche sogar nur zum Dörren oder Brennen geeignet.

Alte Obstsorten verarbeiten

So schmeckt der Winterrambur erst, wenn er zwei Monate lang im Keller lag. Und aus Dörr-Birnen wie der regionaltypischen Embirl werden nach 36 Stunden Dörrzeit die "Kletzen" oder "Hutzeln", die man im Advent für das "Kletzenbrot" braucht. Eva Bichler-Öttl kennt eine "vergessene Birne" aus ihrem Projekt, die frisch vom Baum sauer und bitter schmeckt. "Aber später wird sie sehr süß und entwickelt ein ganz besonderes Aroma, nach Zimt und Weihnachten", schwärmt Bichler-Öttl. Eine gedörrte Williamsbirne aus dem Supermarkt? Kein Vergleich.

Also wollen die Leute von "Apfel.Birne.Berge" die alten Sorten nicht nur bestimmen, nachzüchten und verbreiten, sondern auch Nutzungskonzepte entwickeln. Eva Bichler-Öttl strotzt vor Ideen: Edelbrand, Sportriegel, Fruchtschnitten, Kletzenpralinen, Birnenmehl als Zuckerersatz - "es gibt ganz viele moderne Verwertungsformen für unsere Sorten", ist sie sicher. Hoffnung machen ihr andere Feldfrüchte wie Kartoffeln, Linsen oder Tomaten, die ein ähnliches Schicksal hinter sich haben: "Vor 20 Jahren gab es genau eine Sorte Tomaten im Supermarkt", sagt die Fachfrau. Heute seien die Konsumenten wieder an einer Bandbreite interessiert - von Ochsenherz bis Johannisbeertomate. Für extravagante Apfelsorten die nötigen Produzenten zu gewinnen, sei deshalb die Herausforderung für das Nachfolgeprojekt von "Apfel.Birne.Berge".

Fürs erste aber geht es darum, die vergessenen, oft über 100 Jahre alten Bäume zu sichern, neu zu pflanzen, zu verbreiten und ihnen Namen zu geben, die dann in den Listen der Pomologen Eingang finden. Eva Bichler-Öttls Lieblingsapfel ist da schon dabei: Der Rheinische Bohnapfel sei als Saft sehr aromatisch, zudem ertragreich und zuverlässig, sagt sie. Zusätzlicher Pluspunkt: "In Zeiten des Klimawandels reift diese Sorte in unserer Region immer besser aus."