Darauf allein will er nicht festgelegt werden: dass er im Jahr 1983 bei einer so symbolträchtigen Aktion ein Schwert zur Pflugschar hat umschmieden lassen. Der Aufnäher "Schwerter zu Pflugscharen" sollte daraufhin zum Markenzeichen der Friedensbewegung in der DDR werden; eine prophetische Losung, mit der sich die Wende bereits ankündigte. Freilich ahnte das noch niemand.
Pfarrer Friedrich Schorlemmer war damals Studienleiter am Evangelischen Predigerseminar in Wittenberg, seiner Stadt, die er, inzwischen 75 Jahre alt, jüngst einer Gruppe des Evangelischen Bildungszentrums Alexandersbad zeigte. Eine herkömmliche Stadtführung kann dies nicht sein. Und Schorlemmer, Friedensbuchpreisträger, zweimaliger Ehrendoktor und Mitherausgeber der Blätter für deutsche und internationale Politik, ist auch mehr als nur ein Stadtführer.
Netzwerker und Beweger
Er hat wortmächtig und klug den Freiraum der Kirche genutzt, hat die Stasi-Spitzelei ins Leere laufen lassen, die Ausreisewilligen zum Bleiben bewegt. Heute weiß er: Es war der Ausreisedruck, bedingt durch die Öffnung der ungarischen Grenze, der letztlich die Wende beschleunigte. Vor Hunderttausenden traf er auf dem Alexanderplatz in Berlin die Stimmung, als im November 1989 sich die Welt vor Überraschung die Augen rieb. Später dann hat er Kirchentage befeuert, war Netzwerker und Beweger – ein würdiger Nachfolger auf der Kanzel in der Wittenberger Marienkirche, wo auch Luther regelmäßig predigte.
Dorthin führt er auch seine Besucher gern, zeigt ihnen die berühmte Abendmahlszene von Lucas Cranach am Altar, führt sie auch zu dem Reformationsbild in der Apsis, wo Luther mit Melanchthon und den anderen Reformatoren den Weinberg bestellt, während die katholischen Würdenträger faul nur den Lohn einfordern.
Er bleibt wachsam und kämpferisch
So mag sich vielleicht auch Schorlemmer heute fühlen. Er hat gerackert, Ideen produziert, Bücher geschrieben, Kontakte geknüpft, das Predigtpublikum gefesselt und mit seiner politischen Meinung nie hinterm Berg gehalten, keinem Streit aus dem Weg gegangen; doch hat es ihm seine Kirche gedankt? Wohl eher nicht. Aufs Altenteil hat man ihn geschoben. Devise: Schreib weiter Bücher, aber störe unsere Kreise nicht (mehr).
Er lässt sich die Enttäuschung nicht anmerken, bleibt wachsam und kämpferisch. Zeigt den Gästen natürlich auch die umstrittene Judensau, jene mittelalterliche Schmähung der Juden an Kirchen und öffentlichen Gebäuden. Sie müsse an ihrem Ort, hoch oben am Sims der Marienkirche, bleiben, als Mahnung vor Diskriminierung und Rassismus. In diesen Tagen zumal. Da ein neuer Ungeist sich breitmacht. Schorlemmer nimmt auch diesen Kampf auf. Zunächst jedoch noch in den Cranachhof. Besuch beim Meister, dem Marketingchef Luthers. Lucas Cranach der Ältere sitzt in Bronze gegossen da und zeichnet den jungen Luther.
Ein Mann des Wortes
Danach, beim Abendessen in der Alten Canzley, wird deutlich, was Schorlemmer bedrückt. Er nennt es nicht so, aber es sind die Lernunfähigkeit, die Rückkehr des Nationalismus und Rechtsextremismus, die islamfeindlichen Pegida-Wanderer und AfD-Wähler. Warum so wenig Dankbarkeit nach 30 Jahren, in denen der Wohlstand wuchs, die Straßen ausgebaut und die Lebensverhältnisse sich angepasst haben?
Schorlemmer spricht von Demütigungen, von Menschen, die ihren Lebenssinn verloren haben, die das Gefühl nicht loswerden, vom reichen Westen übernommen worden zu sein. Keinen Steinwurf entfernt von der Wittenberger Schlosskirche, wo ein Bronzetor vom Thesenanschlag Martin Luthers kündigt, plädiert Schorlemmer für Gewaltlosigkeit und er erinnert an die große Demonstration in Wittenberg nach der Bankrott-Erklärung des Regimes. Damals haben er und ein paar der Gemeindemitglieder die Stadtführung davor bewahrt, von der aufgebrachten Menge verprügelt worden zu sein. "So ein Hass!" Und er zitiert Luther, der gesagt hat "Lasset die Geister aufeinanderplatzen, aber die Fäuste haltet stille".
Friedrich Schorlemmer ist und bleibt ein Mann des Wortes. Seine Devise: den Mächtigen die Wahrheit sagen. Aber bitte ohne Gewalt. Schwerter zu Pflugscharen.
INFO
Vom 22. bis 24. November wird Friedrich Schorlemmer die Tagung "Vorwärts – und schnell vergessen? 30 Jahre Einigkeit und Recht und Freiheit" im Evangelischen Bildungszentrum Bad Alexandersbad mitgestalten.