»Bekenntnis«, »Bildung«, »Freiheit«, »Musik« - einige reformatorische Grundanliegen waren bereits Jahresthemen der »Lutherdekade«, mit der sich Staat und evangelische Kirchen in Deutschland seit 2008 auf das Reformationsjubiläum 2017 einstimmen.

Mit dem Thema »Bild und Bibel« biegt dieser Aufgalopp schon 2015 in die Zielgerade, weil dann die Reformation als mediales Ereignis, ja als eine gewaltige Medienrevolution in Erinnerung gerufen wird: Hatte doch der um 1450 von Johannes Gutenberg erfundene Buchdruck mit beweglichen Lettern gerade erst die Voraussetzung dafür geschaffen, dass die vehementen publizistischen Auseinandersetzungen, die Martin Luthers Veröffentlichung seiner 95 Thesen zum Ablass der römischen Kirche am 31. Oktober 1517 auslöste, überhaupt geführt werden konnten.

Die neue Technik ließ die Zahl der Publikationen förmlich explodieren. Dass in der Reformationszeit in einer nie da gewesenen Weise und über alle Schichten der Gesellschaft hinweg theologisch diskutiert wurde, hatte nicht nur Luthers biblisch begründete Entdeckung des »Priestertums aller Getauften« eröffnet; im Zentrum dieser Medienrevolution stand auch das »Bild« und seine Reproduktion - und damit die prägende Manufaktur der protestantischen Bildproduktion: die Cranach-Werkstatt.

Die reformatorische Erkenntnis, dass jeder einzelne Christ seinen Glauben selbst verantworten muss und darf, dass jeder einzelne Christ fähig ist (oder jedenfalls zu befähigen), die Heilige Schrift zu lesen und zu verstehen, um dann gemeinsam über deren Auslegung und die Fragen des Heils zu ringen - sie sorgte nicht nur für eine lebendige Vielfalt der Meinungen, sondern auch für eine Blüte des Druckergewerbes.

Es ist kein Zufall, dass zum Firmenimperium des Lucas Cranach auch eine Druckerei und ein Buchhandel gehörten.       

Die bisher ungekannte Geschwindigkeit und Breite, mit der nun publiziert wurde, ist nur vergleichbar mit der digitalen Revolution seit Ende des 20. Jahrhunderts. Die Reformation ergriff diese mediale Chance mit beiden Händen, und die Cranachs waren mittendrin in diesem Geschehen. Sie wurden die »Medienagentur« der Reformation - allerdings ohne sich als Anbieter auf diesen konfessionellen »Kundenkreis« festzulegen.

Die Biographie Lucas Cranach d.Ä.

Das Leben des LUCAS CRANACH d.Ä.

  • 1472/1475 geboren in Kronach
  • 1505 Berufung zum Hofmaler nach Wittenberg durch den sächsischen Kurfürsten Friedrich III. den Weisen (1463-1525)
  • 1508 Verleihung eines Wappenbriefs: geflügelte Schlange mit Rubinring im Maul
  • ca. 1512/1513 Heirat mit Barbara Brengbier (ca. 1485-1540) und Geburt des Sohns Hans (†  1537 in Bologna)
  • 1515 Geburt des Sohns Lucas
  • 1519-1544/1545 Ratsmitglied in Wittenberg (mit Unterbrechungen)
  • 1525 Trauzeuge bei der Heirat von Martin Luther und Katharina von Bora
  • 1525 Hofmaler des neuen Kurfürsten Johann des Beständigen (1468-1532)
  • 1532 Hofmaler des neuen Kurfürsten Johann Friedrich I. des Großmütigen (1503-1554)
  • 1537-1543/1544 Bürgermeister von Wittenberg (mit Unterbrechungen)
  • 16. Oktober 1553 Tod in Weimar

LUCAS CRANACH d.J.

  • 4. Oktober 1515 geboren in Wittenberg
  • 1537/1538 Neue Führungsrolle in der Werkstatt, Wandel des Cranach-Signets
  • 25. Dezember 1540 Tod der Mutter Barbara
  • 20. Februar 1541 Heirat mit Barbara Brück (geb. 1518; vier Kinder)
  • 1549-1566 Ratsherr (mit Unterbrechungen) und 1565 Bürgermeister in Wittenberg
  • 10. Februar 1550 Tod seiner Frau Barbara
  • 24. Mai 1551 Heirat mit Magdalena Schurff, einer Nichte Melanchthons (fünf Kinder)
  • 1573 Cranach der Jüngere gehört zu den sechs reichsten Bürgern Wittenbergs.
  • 25. Januar 1586 Tod in Wittenberg, Beerdigung in der Stadtkirche zwei Tage später

Wie Lucas Cranach und sein gleichnamiger Sohn zur Bilderschmiede der Reformation wurden lesen Sie in unserem wunderschön bebilderten THEMA-Magazin.

Ohne die Cranach-Werkstatt hätten wir kein Bild von Martin Luther, seiner Frau Katharina, seinen Eltern (oben rechts) und von vielen anderen Protagonisten der Wittenberger Reformation, wie Philipp Melanchthon links vom Mittelbild, das den Meister persönlich zeigt: Lucas Cranach d.Ä., wie er sich im Jahr 1531 malte.
Ohne die Cranach-Werkstatt hätten wir kein Bild von Martin Luther, seiner Frau Katharina, seinen Eltern (oben rechts) und von vielen anderen Protagonisten der Wittenberger Reformation, wie Philipp Melanchthon links vom Mittelbild, das den Meister persönlich zeigt: Lucas Cranach d.Ä., wie er sich im Jahr 1531 malte.

Die neuzeitliche Beschleunigung ist für Lucas Cranach bereits vor Beginn der Reformation greifbar: Dem Nürnberger Humanisten Christoph Scheurl, den er 1509 auch porträtierte, verdankt Lucas aus Kronach den ehrenvoll gemeinten Titel des Schnellmalers - »Pictor Celerissimus« - der auch seinen Grabstein in Weimar ziert. Die von ihm begründete und von seinem gleichnamigen Sohn fortgeführte Werkstatt war tatsächlich unglaublich produktiv. Mehr als 5000 Bilder sollen in der Wittenberger Bilderschmiede entstanden sein. Mindestens 1000 sind bis heute erhalten.

Cranach, wie er sich nach seiner Geburtsstadt nannte, war ein Aufsteiger, der in der väterlichen Malerwerkstatt die Grundlagen des Handwerks gelernt hatte. Nach Lehr- und Wanderjahren, die ihn um 1501 für mehrere Jahre nach Wien führten, begann seine steile Karriere so richtig, als der sächsische Kurfürst Friedrich III. der Weise den inzwischen etwa 30-Jährigen 1505 zu seinem gut bezahlten Hofmaler machte.

Unter dem »Logo« der geflügelten Schlange, das ihm sein Fürst 1508 verlieh, lieferte die Cranach-Werkstatt ein »Markenprodukt«. Ihre Bilder entstanden arbeitsteilig und möglichst mit verlässlich gleichbleibender Qualität. Nicht individueller künstlerischer Ausdruck war das Ziel, sondern eine erkennbare Werkstatt-Identität. Das macht es den Kunsthistorikern trotz aller raffinierten Analysemöglichkeiten bis heute schwer, die »Hände zu scheiden«, die Bilder oder Bildteile schufen.

Lucas Cranach hat sein Angebot an Bildmotiven früh standardisiert. Während der Nürnberger Kollege Albrecht Dürer - ganz Renaissance-Genie und deshalb von den Kunsthistorikern geliebt - unreproduzierbare Einzelstücke schuf, bot die Wittenberger Werkstatt ihren Kunden ein Repertoire an Standardbildern. Mit viel unbekleideter weiblicher Haut, wenn gewünscht: ­Lucrezia oder das Urteil des Paris, Venus (samt Amor) oder Eva (samt Adam) - nichts hat Cranach berühmter gemacht als seine weiblichen Akte mit ihren überlangen, stilisierten Körpern.

Das gleiche Bild für Vater und Sohn: Der Holzschnitt links (1543) zeigt Lucas Cranach d.Ä. als Bürgermeister mit pelzgefütterter Schaube und Malerpalette. Gut 40 Jahre später wurde das Bild zu Ehren des 70. Geburtstags des jüngeren Lucas Cranach wiederverwendet.
Das gleiche Bild für Vater und Sohn: Der Holzschnitt links (1543) zeigt Lucas Cranach d.Ä. als Bürgermeister mit pelzgefütterter Schaube und Malerpalette. Gut 40 Jahre später wurde das Bild zu Ehren des 70. Geburtstags des jüngeren Lucas Cranach wiederverwendet.

Klassische Mythologie, Genre-Motive und selbstverständlich unzählige biblische Motive: Richtige Cranach-Kataloge mit Vorschaugrafiken gab es. Der Preis hing auch davon ab, wie viel Hand der Meister selbst anlegte, oder wie viel Blau vermalt werden sollte.

Für branchenfremde Geschäftsmänner war es zwar damals nicht unüblich, als Geldanlage in eine Apotheke zu investieren, doch im 16. Jahrhundert rechnete man Farben und Malmittel zu den »Apoteckischen Simplicien und Compositen«. Für Lucas Cranach ergaben sich daher große organisatorische und finanzielle Vorteile, wenn er (neben pharmazeutischen Waren) ab 1520 über seine Apotheke auch die Grundstoffe für seine Malerwerkstatt auf den Messeplätzen von Frankfurt am Main und Leipzig en gros einkaufen konnte: mineralische, pflanzliche und tierische Pigmente, Öle, Gummi und vieles andere mehr.

Schließlich war die Herstellung von hochwertigen Farbstoffen eine geradezu alchemistische Wissenschaft, die perfekt in ein Apothekenlabor passte: »Reb­schwarz« aus der Kohle von Weinreben war noch leicht zu bekommen, aber »Blau« war die große Herausforderung der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Malerei. Blaue Farbpigmente wurden aus dem Halbedelstein Lapislazuli (»Blaustein«) gewonnen, der teilweise bis aus Persien und Afghanistan importiert werden musste. Das war nicht nur weit weg, hier herrschte auch der Islam. Der schwierige Bezugsweg machte Blau mitunter teurer als Gold.

Bis zu zehn Gesellen und noch mehr Mitarbeiter grundierten Tafeln und kopierten die Vorlagen mit Schablonen und Kohlenstaub, arbeiteten aus und polierten - stets überwacht und wo nötig korrigiert von den Werkstatt-Meistern, die bei Gesichtern und wichtigen Details selbst Hand anlegten oder den letzten Schliff gaben.

Die »Cranach-Story« ist viel zu vielfältig, um alle Aspekte auch nur ansatzweise ausleuchten zu können. Wesentlich bleibt die Begegnung des älteren Cranachs mit Martin Luther. Die Freundschaft zwischen ihnen und ihren Familien wurde später zwar überhöht, aber es gab sie: Cranach bat Luther, einer der Taufpaten seiner 1520 geborenen Tochter Anna zu werden. Als Martin Luther am 13. Juni 1525 Katharina von Bora heiratete, war Cranach Trauzeuge. Und als ein Jahr später das erste Kind der Luthers, Sohn Johannes (oder Hans), geboren wurde, war wiederum Lucas Cranach einer der Taufpaten.

Auch wenn er seine zahlreichen altgläubigen Kunden nicht vernachlässigte - Lucas Cranach und seine Werkstatt standen im Zentrum, als die Reformation ihr ganz eigenes Bildprogramm entwickelte und als Qualitätsprodukt unter dem Schlangensignet über Jahrzehnte hinweg erfolgreich vermarktete.

Lange ist Lucas Cranach der Jüngere deswegen als eigenständiger Künstler übersehen worden. Es dauerte ein halbes Jahrtausend seit seiner Geburt, bis man ihm nun erstmals eine eigenständige Ausstellung widmet: die Wittenberger Schau »Cranach der Jüngere 2015 - Entdeckung eines Meisters«, die im Sommer in der Lutherstadt zu sehen ist.

Der Schriftsteller und Theologe Kurt Marti hat den Beitrag der Reformation zur Kunstgeschichte einmal als »die Befreiung der Künste zur Profanität« beschrieben. Auch wenn die berühmten Reformationsbilder aus der Cranach-Werkstatt eher für eine theologisch-didaktische Vereinnahmung des Bilds zu stehen scheinen - nun ist in der Welt, was am Ende bis in die Moderne führt: die Freiheit und die Verantwortung des Betrachters.

Lucas Cranach der Jüngere ist mit eigenen Bildfindungen, mit neuer, »realistischer« Farbigkeit und vor allem mit seiner Porträtkunst diesen Weg in eine neue Zeit weitergegangen.

Doch nach seinem Tod versank das Herz Europas erst einmal in einem blutigen Religionskrieg - in der Apokalypse des Dreißigjährigen Kriegs. Nicht, dass in Europa zwischen 1618 und 1648 keine große Kunst entstanden wäre: Da waren Velázquez in Spanien und Bernini in Rom, da waren Rubens und van Dyck in Flandern, Rembrandt in den Niederlanden. Nur in den deutschen Ländern, von denen aus die Cranach'sche »Bilderwerkstatt der Reformation« der Welt ein großartiges Erbe hinterlassen hat, »verstummte« die bildende Kunst für fast ein Jahrhundert.

Mehr zur Malerwerkstatt der Reformation lesen Sie in unserem wunderschön bebilderten THEMA-Magazin.

Nackte in Serie: Diese Darstellung von Adam und Eva (1533, Gemäldegalerie Berlin) ist nur eine von unzähligen ähnlichen, die die Cranach-Werkstatt verließen.
Nackte in Serie: Diese Darstellung von Adam und Eva (1533, Gemäldegalerie Berlin) ist nur eine von unzähligen ähnlichen, die die Cranach-Werkstatt verließen.