Die junge Bäuerin Elß Rodamerin aus Sugenheim (Dekanat Neustadt an der Aisch) hatte sich 1592 mit einem fahrenden Gaukler aus Diespeck eingelassen. Das schmeckte ihrem Gatten Sebastian und der Großfamilie, in die sie 1585 eingeheiratet hatte, natürlich überhaupt nicht. Nicht nur wegen des offensichtlichen Bruchs des Gebots »Du sollst nicht ehebrechen«. Ohnehin stand die Familie Rodamer nämlich nicht in allzu gutem Ruf. Die alte Kunigunde Rodamer war bereits als »Trutte«, also als »Frau mit seltsamen Verhalten« bezeichnet worden, wie es sogar in alten Sugenheimer Kirchenbüchern überliefert ist.
Elß wurde angeklagt, und zwar nicht nur wegen ihrer Buhlschaft, sondern auch wegen des »verflichten zauberischen Hexen- oder Trudenwercks« befragt.
Scharfrichter Meister Mathes Zencker vom Schloss Schwarzenberg übernahm das Verhör. Zuerst wurde sie gütlich befragt. Elß musste Angaben zu den Vorwürfen machen und sich auch zu delikaten Fragen wie ihrem Sexualleben äußern, zudem auch über ihren mutmaßlichen Bund mit dem Teufel. Das gestand sie nicht. Daraufhin griff der Scharfrichter zu härteren Maßnahmen: der peinlichen Befragung, auch Tortur genannt, und letztlich eine Folter. Dabei wurden beispielsweise Beinschrauben mit eisernen Noppen angelegt und fest gezogen, Zwickzangen an den Brüsten angesetzt oder Gewichte an den Gelenken angebracht.
Geständnisse, die unter direkter Folter abgelegt wurden, galten nicht. Jedoch waren viele auf diese Weise Befragte irgendwann bereit, allein im Angesicht der Folterwerkzeuge alles Erdenkliche zu gestehen, nur um die nächste Tortur abzuwenden. So gab Elß Rodamer endlich auch alles zu, was man ihr vorwarf: Sie habe die Apfelblüte abgekehrt, in den Ställen Kälber und Kühe gedrückt, ihnen die Milch ausgemolken, außerdem ein totes, zu früh geborenes Kind zur Welt gebracht und gesotten. Zudem sei sie verantwortlich für den verfrühten Frost, der die Weinstöcke erfrieren ließ. Auf vielen Seiten ist ihr Geständnis überliefert.
Sie wurde am 27. Februar 1596 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Allerdings war sie dabei nicht alleine: Drei weitere Frauen hatte sie nach peinlicher Befragung ebenfalls als vermeintliche Teufelsanbeterinnen denunziert. Nach damaliger Meinung konnte niemand alleine solche Taten vollbringen, wie sie der Elß Rodamer angelastet wurden. Sie hinterließ zwei Kinder im Alter von fünf beziehungsweise sieben Jahren. Ihr Mann heiratete bereits am 7. Dezember wieder.
Es sollte rund 400 Jahre dauern, bis der Frau und ihren Schicksalsgenossinnen gedacht wurde: 2003 wurde eine kupferne Gedenktafel an der Außenwand der Friedhofshalle enthüllt. Sie listet zwölf Menschen auf, die zwischen dem 27. Februar und dem 12. Mai 1596 in Sugenheim als Hexen hingerichtet wurden, darunter mit Hans Rodamer auch ein Mann. Weitere drei Frauen waren am 14. Mai 1597 als Hexen beschuldigt und des Landes verwiesen worden. Eine weitere, Anna Dullin, verstarb im Gefängnis am 7. August 1596 – unter welchen Umständen, ist unklar.
Der Glaube an das Wirken des Teufels war allgegenwärtig
»Gegen das Vergessen« ist die Gedenktafel in Sugenheim betitelt. Genau darum geht es der 80 Jahre alten Erlanger Neu-Philologin Traudl Kleefeld schon seit Jahren, in denen sie sich mit den Schicksalen wegen Hexerei angeklagter und getöteter Menschen befasst und darüber schreibt oder Vorträge hält.
Dabei findet Kleefeld Parallelen zur Gegenwart: »Die Hinrichtungsstätte ist nicht mehr der Scheiterhaufen, sondern Twitter und Facebook. Mit Mobbing oder Shitstorms werden heute ungeliebte Menschen nicht mehr direkt getötet, sondern in den Tod getrieben«, sagt die Autorin. Menschen wegen ihres Anderseins oder wegen ihrer bloßen Herkunft zu verurteilen und zu töten, das habe es in der Geschichte immer gegeben. Man denke an den Holocaust oder den Terror des IS. »Gemeinsam ist, dass sich die Täter in ihrer Zeit und ihrer Gesellschaft offensichtlich keines Verbrechens schuldig machen, aber einer pervertierten Ideologie oder Theologie nachgehen. So war das damals auch schon«, erklärt Kleefeld.
Denn keinesfalls waren die Hexenprozesse eine Erscheinung, die vor allem in kirchlichen Kreisen respektive in katholischen stattfanden, wie dies häufig zu hören ist. Zwar fanden in den Bistümern Bamberg oder Würzburg nachweislich mit die schlimmsten Hexenjagden in ganz Europa statt, doch auch in lutherischen Regionen gab es sie. Zum Beispiel im Herrschaftsbereich des Markgrafen Georg-Friedrich des Fürstentums Brandenburg-Ansbach, der bis zu seinem Tod im Jahr 1603 rund 100 Menschen auf dem Scheiterhaufen verbrennen ließ. Darunter auch in Langenzenn, wo erst vor wenigen Wochen eine Gedenktafel bei der Kirche angebracht wurde.
Kaum einer konnte sich der Wirkung der gütlichen wie peinlichen Befragung entziehen. Maria Holl aus Nördlingen schaffte es aber beispielsweise, ab 1593 ganze 62 Folterungen zu überstehen, ohne ein erpresstes Geständnis abgelegt zu haben. Ohnehin war sie nur durch die Beschuldigung einer anderen der Hexerei angeklagten Frau ebenfalls ins Visier der Scharfrichter gerückt. Nach fast einem Jahr der Tortur wurde sie schließlich in die Freiheit entlassen, musste aber dafür unterschreiben, zu Recht in Haft gesessen zu haben und sich auch nicht am Nördlinger Rat rächen zu wollen.
»Es ist wichtig zu begreifen, dass es immer weltliche Gerichte waren, die Urteile über sogenannte Hexen gesprochen und vollstreckt haben«, erklärt Traudl Kleefeld. Der Glaube an Zauberkunst und an das Wirken des Teufels auf ganz gewöhnliche Menschen sei lange Zeit allgegenwärtig gewesen.
Auch Martin Luther war überzeugt von Teufelspakten und befürwortete die gerichtliche Verfolgung von Zauberern und Hexen. Die Aussage aus dem 2. Buch Mose »Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen« bildete auch für ihn die theologische Rechtfertigung. In einer Predigt vom 6. Mai 1526 sagte Luther: »Es ist ein überaus gerechtes Gesetz, dass die Zauberinnen getötet werden, denn sie richten viel Schaden an, was bisweilen ignoriert wird, sie können nämlich Milch, Butter und alles aus einem Haus stehlen … Sie können ein Kind verzaubern … Auch können sie geheimnisvolle Krankheiten im menschlichen Knie erzeugen, dass der Körper verzehrt wird … Schaden fügen sie nämlich an Körpern und Seelen zu, sie verabreichen Tränke und Beschwörungen, um Hass hervorzurufen, Liebe, Unwetter, alle Verwüstungen im Haus, auf dem Acker, über eine Entfernung von einer Meile und mehr machen sie mit ihren Zauberpfeilen Hinkende, dass niemand heilen kann … Die Zauberinnen sollen getötet werden, weil sie Diebe sind, Ehebrecher, Räuber, Mörder … Sie schaden mannigfaltig. Also sollen sie getötet werden, nicht allein weil sie schaden, sondern auch, weil sie Umgang mit dem Satan haben.«
Schnell waren vorwiegend Frauen als Hexe gebrandmarkt, durch üble Nachrede oder durch falsche Beurteilung von Äußerlichkeiten und Wesenszügen. Gründe gab es viele: einer der häufigsten: Missernten. Auffällig ist, dass durch extreme Witterungsverhältnisse ab etwa 1560 die Ernten allerorts zu gering ausfielen. Fachleute sprechen im Nachgang tatsächlich vom Beginn einer »Kleinen Eiszeit«. Diesem Natur-Phänomen wusste man nicht mit wissenschaftlichen Erklärungen beizukommen – schuldig waren schnell die, denen man ohnehin gerne etwas in die Schuhe schieben wollte. Hexen sollen daher als Helfershelferinnen des Teufels solches bewirkt und – da man sowieso das Ende der Welt nahe wähnte – auf diese Weise Unheil über ihre Mitmenschen gebracht haben.
Eine nicht geringe Rolle spielten dabei manche Theologen und Prediger in katholischen und lutherischen Kirchen, die Menschen in solchen Vorstellungen bestärkten und sie veranlassten, Sündenböcke ausfindig zu machen. Vielfach forderte die Bevölkerung die Obrigkeit auf, tätig zu werden und verdächtigen Personen den Prozess zu machen.
Auch die Kriege im 16. Jahrhundert, später der Dreißigjährige Krieg, ließen mit Brandschatzungen und Plünderungen die Bevölkerung verarmen. Immer wieder trat damals auch die Pest auf, die ebenfalls als Strafe Gottes beziehungsweise Teufelswerk angesehen wurde.
Nicht zu vergessen: Die Einführung der neuen lutherischen Lehre verunsicherte viele Menschen in ihrem Glauben und erzeugte Zwiespalt.
Ab 1430 kam es in der Westschweiz zu den ersten Hinrichtungen von Frauen als Hexen, die man wie Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannte. Zum wahren Verfolgungswahn wurde das Ganze ab 1500. Nach den Klimakrisen in den Jahren 1585/87 breiteten sich die Verfolgungswellen über Schwaben nach Franken aus und führten auch in evangelischen Gebieten zu Hexenverbrennungen.
In Würzburg setzte Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn die Gegenreformation durch und trieb dabei ab 1590 auch die Jagd nach Hexen voran. Unter Johann Gottfried I. von Aschhausen, der die Hochstifte Würzburg und Bamberg regierte, gingen die Verfolgungen weiter und fanden schließlich ihren Höhepunkt unter Philipp Adolph von Ehrenberg in Würzburg und Johann Georg II. Fuchs von Dornheim, der als »Hexenbrenner von Bamberg« traurige Berühmtheit erlangte. Erst durch das Eingreifen des Reichshofrats und den Einmarsch der Schweden 1630/1631 kam es zu einem Stillstand.
Dennoch lebte der Glaube an Hexen weiter und führte schließlich noch 1749 in Würzburg zur Hinrichtung der Ordensfrau Maria Renata von Singer-Mossau.
Spätes Gedenken in den christlichen Kirchen
Die Aufarbeitung der Hexenprozesse und das Gedenken an die Opfer ist bis heute nur ein Randthema. Mit den zwölf Schauplätzen, denen Traudl Kleefeld in ihrem Buch jeweils ein Kapitel widmet, sind zumindest ein Dutzend der Orte in Franken genannt, an denen sich die Gemeinden ihrer Hexen-Vergangenheit besonnen und ein sichtbares Zeichen gesetzt haben.
In den christlichen Kirchen fand das Gedenken spät statt: Im November 1996 erkannte die Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern in Freising als erste verfasste Kirche in der Kirchengeschichte überhaupt offiziell an, dass »die Kirchen der Reformation an der Hexenverfolgung mitschuldig geworden sind durch Anstiftung zur Hexenverfolgung, durch Beteiligung an der Hexenverfolgung, durch die theologische Legitimierung dieser Hexenverfolgung. … Es ist an der Zeit, sich der Frage der Schuld in einer Schuldanerkenntnis und einem Schuldbekenntnis zu stellen, das dort ans Ziel kommt, wo wir uns für Gegenwart und Zukunft in die Verpflichtung nehmen lassen, aus dem erkannten Unrecht, aus erkannten falschen Einschätzungen und falschem Umgang mit dem Phänomen von »Hexerei« Konsequenzen für unsere gegenwärtige Theologie, kirchliche Verkündigung und kirchliche Praxis zu ziehen.«
Das Erzbistum Bamberg und Erzbischof Ludwig Schick verurteilten 2007 anlässlich der Begehung von 1000 Jahren Erzbistum den Hexenwahn und die Verfolgung und Tötung unschuldiger Menschen. »Katholische Amtsträger und andere Kirchenmitglieder haben Unrecht begangen. Den Opfern und ihren Familien ist Furchtbares geschehen. Die Prozesse, die geführt wurden, sind nach unserem heutigen Rechtsverständnis Unrecht und die Urteile deshalb null und nichtig.« Aufgabe der Kirche sei es heute, mitzuwirken, dass sich so etwas nicht wiederhole. »Als Christen lehnen wir jede Folter und Gewalt ab und können die Todesstrafe nicht akzeptieren«, betont Erzbischof Schick.
Der Hexenhammer
NACH DEM ERLASS DER »HEXENBULLE« im Jahre 1484 durch Papst Innozenz und dem Erscheinen des »Hexenhammers« (Malleus Maleficarum), 1487, aus der Feder des Dominikanerpaters Heinrich Kramer, fanden weitreichende Hexenverfolgungen päpstlicher Inquisitoren in Südwestdeutschland statt. Im Jahr 1487 wurde das Buch zum ersten Mal gedruckt. Bezugnehmend auch auf Schriften früherer Gelehrter und auf weit zurückreichende magisch-abergläubische Vorstellungen in der Bevölkerung, auch in der Theologie, macht er darin zunächst deutlich, dass es verwerflich und ketzerisch sei, die Existenz von Hexen zu leugnen.
Er beschreibt ausführlich, woran Hexen zu erkennen seien. Sein Augenmerk zielt dabei ausschließlich auf Frauen: »Also schlecht ist das Weib von Natur aus, da es schneller am Glauben zweifelt, auch schneller den Glauben ableugnet, was die Grundlage für die Hexerei ist.« Schließlich nennt er auch Hilfsmittel zum Schutz gegen Zauberei und Hexerei, wie beispielsweise Weihwasser.
In einem dritten Teil beschreibt er ausführlich die Durchführung eines Hexenprozesses, die Art und Weise einer gütlichen und peinlichen Befragung und die Voraussetzungen für ein Urteil. Versehen mit der päpstlichen Bulle und einem Gutachten von Theologen der Fakultät Köln erlebte dieses »Handbuch« für Hexenverfolgung in lateinischer Sprache nach Veröffentlichung 1487 weitere 28 Auflagen bis ins 17. Jahrhundert hinein.
In dem wenig später abgefassten Nürnberger Hexenhammer (1491 n. Chr.), einem selbstständigen, auf dem Malleus aufbauenden Rechtsgutachten Kramers im Auftrag der Reichsstadt Nürnberg, übergibt der Verfasser die Hexenverfolgungen voll an die weltliche Justiz.
BUCHTIPP
Traudl Kleefeld: Wider das Vergessen. Hexenverfolgung in Franken – Stätten des Gedenkens. J.H.Röll Verlag, Dettelbach, 2016. ISBN 978-3-89754-484-0, 19,90 Euro.