"Bällebad forever" heißt das aktuelle Programm von Müller und Gámez Martin, das die beiden Vollblutmusikerinnen kürzlich im Kur- und Kongress Center Bad Windsheim vorstellten. Der ideale Ort für beiden, über das Thema Altersdiskriminierung – oder auch "Ageism" – genannt im lauschigen Kurort humorvoll in eine rund zweistündige Show einzuleiten, in der keine Gefangenen gemacht werden.

Müller und Gámez Martin wirken manchmal derb, wenn sie sich wie männliche Prolls gebärden, nehmen dabei aber so manches Klischee auf die Schippe, das Künstlerinnen insbesondere und Frauen im Allgemeinen so anhaftet. Nicht zuletzt heißt ihr bekanntester Song "Wir sind genauso scheiße wie ihr", eine Persiflage auf vermeintlich der Männerwelt vorbehaltene Abgründe wie Trinken, Fremdgehen oder Völlerei.

In Zeitungskritiken sei schon oft geschrieben worden, Suchtpotenzial nehme kein Blatt vor den Mund. Ariane Müller hat sogar eines dabei und beweist in einer Spielpause das Gegenteil. Subtiler Humor trifft auf brachialen – wenn die Damen in "Selbst ist die Frau" über alle möglichen Formen der Selbstbefriedigung singen und im nächsten Moment zu gesellschaftskritischen Themen wechseln. Das Ganze aber herrlich unaufgeregt. So wird über deutsche Dialekte, Sprachfallen bei Genderversuchen gewitzelt. Das Lachen bleibt in "Früher war alles besser" dann aber mit ein bisschen Kirchenkritik zu Moral und alltäglichem Antisemitismus dann aber teilweise im Hals stecken.

Musik und Gesang von Jazz bis Belcanto

Die musikalische Darbietung der Frauen ist grandios – Ariane Müller hat von Jazz bis Klassik sämtliche Stilarten drauf und beherrscht den Flügel. Julia Gámez Martin singt vom knarzigen Rock bis zum opernhaften Belcanto – und beherrscht nicht nur den gesanglichen Spagat, sondern auch den mit den Beinen. Zwei Stunden lang gibt es humoristischen Geschichtsunterricht mit dem Lied über "Waltraud von der Vögelweide", Superhelden-Klamauk bei "Supersuchtis retten die Welt", Leibesübungen beim "Fuck-you-Yoga" und immer wieder mitreißende Wortgefechte.

Die Bravour, mit der die Frauen ihr Programm meistern, ist auch den Jurys renommierter Wettbewerbe aufgefallen: Suchtpotenzial haben unter anderem 2018 die "St. Ingberter Pfanne" und 2020 den "Deutschen Kleinkunstpreis" in der Kategorie "Chanson/Lied/Musik" erhalten. Im Interview beweisen die Beiden aber Bodenhaftung.

Ihre Texte sind oft von harscher Umgangssprache und unverblümten Formulierungen gekennzeichnet. Wie schwierig war es, sich mit dieser Lyrik durchzusetzen und dabei ernst genommen zu werden?

Müller und Gámez Martin: Dank unserer Umgangssprache werden wir gut verstanden und ernst genommen zu werden ist uns als Komikerinnen gar nicht so wichtig. Uns ist wichtiger, dass die Leute lachen. 

Aus Ihren Songs spricht meist die pure Lebensfreude. Welche Themen gehen Sie aber bewusst mit Fingerspitzengefühl und Hintergründigkeit an?

Gerade Ariane als Pianistin geht alle Songs mit Fingerspitzengefühl an. Haha. Nein, tatsächlich gehen wir die Themen auf der Bühne direkt und mit Humor an, oder gar nicht. Zum Glück sind wir nicht verpflichtet, alle Themen zu behandeln. 

Gerade das weibliche Publikum feiert Ihre selbstbewussten Texte. Haben Sie manchmal das Gefühl, gerade Männer fühlen sich angesichts starker Frauenpersönlichkeiten eingeschüchtert?

Im Internet haben wir viele männliche Hater, da könnte eine fragile Männlichkeit natürlich vorliegen. Aber die Männer, die zu uns ins Theater kommen, lachen laut und singen mit. Davon gibt es zum Glück genug!

Sie sind beide auch hervorragende Musikerinnen. Welchen Stellenwert hat die musikalische Umsetzung in Ihrer Lyrik?

Danke! Tatsächlich ist uns das das wichtigste. Unsere Songs proben wir und arbeiten akribisch daran. Der Rest ist albern und oft improvisiert. Gerade dieser Kontrast zwischen abgecheckter Musik und lockerem Gelaber ist unsere Spezialität. 

Wenn man das erste Instrument erlernt oder in seinem ersten Ensemble spielt oder eine Band gründet, spielt sich das oft in einem kirchlichen Rahmen ab. Haben Sie in dieser Hinsicht auch Erfahrungswerte?

Julia hat in der Kirche gesungen wegen der guten Akustik, und Ariane hat bei Ten Sing mitgespielt, weil die das beste Gras hatten. 

Für welche gesellschaftlichen Belange würden Sie auch mal das komödiantische Selbstverständnis beiseitelegen und ernstere Töne anschlagen? 

Je ernster das Anliegen, desto mehr greifen wir zur Ironie! Denn Humor ist unser schärfstes Schwert. 

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden