Von Großwerken wie Mendelssohns "Elias" über hunderte eigene Kinderlieder bis zu coronapolitikkritischen Youtube-Statements wie "Vorsicht! Ich bin Chorsänger!": Das Schaffen des Münchner Kirchenmusikdirektors und Komponisten Andreas Hantke ist enorm. Der Evangelische Pressedienst (epd) traf den Kantor der Christuskirche in Neuhausen-Nymphenburg zum Gespräch vor seinem Ruhestand. Andreas Hantke verabschiedet sich am 25. Juni um 18 Uhr in der Christuskirche am Dom-Pedro-Platz mit einem großen Kinderliederfestival. Am 26. Juni wird in der Christuskirche Felix Mendelssohn Bartholdys ELIAS unter seiner Leitung präsentiert.

 

Herr Hantke, mit Leidenschaft machen Sie sich seit Jahrzehnten fürs Singen mit Kindern stark. Warum eigentlich?

Hantke: Gemeinsames Singen und Musizieren verbessert das Sozialverhalten und fördert die emotionale Intelligenz - zwei Faktoren, die in einer Welt von Egoisten schon bei Kindern gefördert werden sollten. Aber das ist nicht wirklich der Hauptgrund. Singen macht den Kindern Spaß - und Singen mit Kindern macht Spaß! Und Zuhören sowieso.

Im Studium habe ich gemerkt, dass es damals viel zu wenige kindgerechte Lieder und Musicals gab. Und dass ich offensichtlich ein Händchen für genau diese Musik habe. Denn meine ersten kleinen Liedchen wurden mit Begeisterung angenommen. Auch bei den Texten habe ich wohl die richtige Sprache gefunden, die Kinder ernstnimmt, ohne erwachsen zu wirken und flott und fröhlich genug ist, ohne platt herüberzukommen. So habe ich in der Folgezeit viele Lieder und Musicals geschrieben.

Wie und wann sind Sie selbst zur Musik gekommen?

Hantke: Ich habe recht früh gemerkt, dass mich die Musik interessiert. Aber meine Eltern konnten das wohl nicht einschätzen, außerdem musste ich meine Jugend im unterfränkischen Niemandsland zubringen. Deshalb wurde ich erst spät, nämlich nach Abitur und Wehrdienst, mit dem Einstieg ins Studium in Bayreuth wirklich gefördert und gefordert. Hier bin ich aufgeblüht: Durfte ich doch endlich das machen, was ich liebte - und das ist bis heute so geblieben.

Seit mehr als 40 Jahren sind Sie als Kirchenmusiker und Komponist aktiv - was waren für Sie Höhepunkte?

Hantke: Ich war nie an Karriere interessiert; der wichtigste Lohn ist immer die Anerkennung des Publikums. Und von den Mitmusizierenden die Liebe zur Musik zu spüren und den gemeinsamen Drang, mit Hirn und Herz zu musizieren.

Nichtsdestotrotz gibt es Schritte, die einen erfüllen: Für mich war das meine erste Aufführung der Bachschen H-Moll-Messe, des Opus Summum nicht nur von Bach, sondern meines Erachtens der gesamten Kirchenmusik. Außerdem die Beherrschung und umjubelte Aufführungen von Großwerken wie Mendelssohns "Elias", Brahms' "Requiem" oder Verdis "Missa da Requiem". Auch zu merken, wie "Hantkesche Kindermusicals" im gesamten deutschen Sprachraum aufgeführt werden, hat mir gezeigt, dass es der richtige Weg ist.

Und was waren Tiefs?

Hantke: Ich bin und war immer "himmelhochjauchzend zu Tode betrübt":

Die Hochs und Tiefs im Leben eines Musikers liegen so nah beieinander wie Moll und Dur, Konsonanz und Dissonanz, laut und leise, presto und adagio. Ohne zu philosophisch zu werden: Jedes Hoch impliziert sofort ein Tief und jedes Tief hat schon ein Hoch in sich.

Ihr Aufgabenspektrum war ja sehr vielseitig. Gibt es einen Bereich, den sie am liebsten gemacht haben?

Hantke: Alles, was ich mit Menschen geprobt und aufgeführt habe, hat für mich denselben Wert: Der begeisterte Blick eines Dreijährigen beim Singen ist ebenso wunderbar wie der dankbare einer 90-jährigen Konzert-Besucherin. Das Eins-Werden mit einem erfahrenen Solisten mitten in einem großen Oratorium ist genauso ergreifend wie der lebensbejahende Gesang eines Seniorenchores.

Wie hat sich die Kirchenmusik in den letzten Jahrzehnten gewandelt?

Hantke: Die Kirchenmusik wird lange nicht mehr ausschließlich von Kirchenmusikern und Kirchenmusikerinnen gemacht, sondern zu einem großen Teil außerhalb der Kirchen. Der Beruf des Kirchenmusikers ist zur Professionalität gebracht worden, wird aber in der letzten Zeit wieder durch übertriebene kirchliche Sparmaßnahmen abgebaut. Musikalisch sind wir aus einer romantisierenden Nachkriegszeit über einen oft übertriebenen Historizismus wieder zu einer Ausgewogenheit der Stile gekommen.

Was wünschen Sie der Kirchenmusik für die Zukunft?

Hantke: Die Kirchenmusik wird niemals untergehen. Aber leider wird der Wert, den sie im Leben vieler Aktiver und von Zuhörern hat, nicht hoch genug geachtet. Wichtig ist, dass sich immer genügend Menschen aktiv in Chören und Instrumentalgruppen beteiligen, an Orgeln und Dirigierpulten. Und dass der Geist von oben auch immer der ist, der die "Be-Geist-erung" erzeugt. Als Vermittler dafür sind Kirchenmusiker notwendig.

Zu Beginn der Pandemie haben Sie sich kritisch mit Stücken wie "Vorsicht! Ich bin Chorsänger!" oder "Corona-Frisur" zu den geltenden Maßnahmen geäußert. Was hat die Pandemie mit der Musik gemacht?

Hantke: Es ist noch nicht abzusehen, was Corona beziehungsweise die oft übertriebenen Maßnahmen kaputt gemacht haben. Ich habe das rechte Maß vermisst: Die Musik wird lange daran zu knabbern haben, dass die Politik alles sehr hart geregelt hat.

Man hat gut gesehen, welche Sparten Politikern wichtig sind - und dass leider Musik mit anderen Bereichen wie bildende Kunst, Literatur, Kino und anderen nicht systemrelevant sind.

Doch das ist zu vordergründig gedacht: Wenn diese Bereiche vernachlässigt werden, fehlt es der Gesellschaft an allem, was für den Menschen jenseits von Geld und Besitz wichtig ist - und das sind die wesentlichen Elemente.

Dass es um Sie nun still wird, kann sich keiner vorstellen - was planen Sie für die Zukunft?

Hantke: Ich glaube daran, dass sich alles so ergeben wird, wie es für mich am besten ist. Planen ist etwas, von dem ich froh bin, entlastet zu sein. Pläne machen musste ich über Jahrzehnte - jetzt werde ich vielleicht gerade noch meine Reisen planen.

Freuen Sie sich also auf Ihren Ruhestand?

Hantke: Ich werde auch in den nächsten Jahren noch aktiv sein, leite mindestens einen Chor weiter. Ich freue mich darauf, nur noch das zu machen, was ich auch will. Ich glaube, der 66. Geburtstag ist ein gutes Datum, um aus dem Hamsterrad welches Berufes auch immer auszusteigen. Nur müsste von Politik und Gesellschaft noch mehr getan werden, um diesen Übergang zu begleiten. Er kann für viele zu einem Loch werden. Dieses Loch hatte ich schon beim ersten Lockdown - jetzt bin ich besser vorbereitet.