"Wer hat denn heute Tafeldienst?", fragt Miriam Herrmann und stellt ihre Tasche aufs Lehrerpult. Eilfertig springt ein Schüler auf, schnappt sich Lappen und Sprühflasche und wässert mit so viel Showtalent das Whiteboard, dass die Jungs in der ersten Reihe feixen. Zwei Schülerinnen schwätzen, ein Junge wartet still darauf, dass es endlich losgeht, ein Nachzügler rutscht ins Klassenzimmer und murmelt unter strengem Blick der Lehrerin eine Entschuldigung.

Es ist eine Unterrichtsszene, wie es sie in Bayern tausendfach gibt. Nur dass die insgesamt 320 Schüler der SchlaU-Schule München allesamt vor Krieg und Gewalt aus ihren Heimatländern geflohen sind – aus Afghanistan, Irak, Syrien, Somalia, Eritrea und anderen Krisengebieten in Afrika. "Der Großteil von ihnen ist ohne Eltern in Deutschland", sagt Schulleiterin Herrmann.

Die meisten der Jugendlichen zwischen 16 und 24 Jahren können zu Schulbeginn noch kein Deutsch, und manche haben nie Lesen und Schreiben gelernt – das holen sie in den drei SchlaU-Alphabetisierungsklassen nach. Stolz ist Miriam Herrmann darauf, dass 90 Prozent ihrer Schüler innerhalb von zwei bis vier Jahren den Mittelschulabschluss schaffen. Ebenso viele bekommen im Anschluss einen Ausbildungsplatz oder gehen auf weiterführende Schulen.

Lehrerin mit Schülerinnen beim Mathe-Unterricht.
Lehrerin mit Schülerinnen beim Mathe-Unterricht.

Möglich wird das alles durch ein Unterrichtskonzept mit kleinen Klassen, sozialpädagogischer Betreuung, vielen Nachmittagskursen und Nachhilfe durch Ehrenamtliche, für das die Schule 2017 den Münchner Schulpreis bekommen hat. Nur 16 Schüler pro Klasse büffeln in dem schulanalogen Unterricht – daher der Name "SchlaU" – die Kernfächer des Mittelschullehrplans.

Schüler haben traumatische Erlebnisse hinter sich

Zusätzlich zu den Lehrkräften gibt es Sozialpädagogen, die sich um den "biografischen Rucksack" der Jugendlichen kümmern. "Viele haben ihre Eltern seit Jahren nicht gesehen, sie haben harte Fluchterfahrungen hinter sich, wohnen in Gemeinschaftsunterkünften, können zum Teil nur zwei Stunden pro Nacht schlafen, essen nicht genug, und leben in ständiger Angst vor der Abschiebung", zählt Sara Pfau von der Schulsozialarbeit auf. Dass die Schüler trotzdem jeden Tag die Motivation aufbringen, zum Unterricht an die beiden Standorte in Hauptbahnhof-Nähe zu kommen, sei eine große Leistung.

Reibungslos läuft der Alltag in der SchlaU-Schule nicht immer ab. "Pro Klasse haben wir vier bis fünf Herkunftsländer, natürlich gibt es da auch Ressentiments", sagt Miriam Herrmann. Darüber hinaus hätten gerade die jungen Männer manchmal daran zu knabbern, dass die Mädchen sich mit neu gewonnenem Selbstbewusstsein behaupteten. Was hilft gegen das Knirschen im Schulalltag? "Wir reden einfach miteinander", sagt Sara Pfau achselzuckend. Der gute Betreuungsschlüssel schaffe Vertrauen zwischen Lehrkräften und Schülern. Grundsätzlich seien die Jugendlichen offen und interessiert an den Fragen des Zusammenlebens – Ethik und Sozialkunde gehören bei vielen zu den Lieblingsfächern.

Die SchlaU-Schule hat 2017 den Münchner Schulpreis gewonnen.
Die SchlaU-Schule hat 2017 den Münchner Schulpreis gewonnen.

60 Prozent des SchlaU-Haushalts kommt von Stadt und Staat, die restlichen 40 Prozent sind Stiftungsmittel und Spenden. Ende 2018 zieht der Trägerkreis Junge Flüchtlinge e.V., der das SchlaU-Konzept seit dem Jahr 2000 aufgebaut hat, um: Dann werden Schule und Fortbildungs-Werkstatt zum Herzstück des Jungen Quartiers Obersendling, dem neuen Integrationsprojekt der Stadt München. Junge Menschen mit und ohne Fluchthintergrund, aus München, Deutschland und der Welt sollen dort gemeinsam wohnen, lernen, Freizeit gestalten.

Integration statt Ausgrenzung, das ist das Stichwort für Christian Stegmüller. Der politische Referent des Trägerkreises Junge Flüchtlinge e.V. zitiert Studien, die gezeigt hätten, dass Flüchtlinge sich absondern und eher straffällig werden, wenn sie keine Perspektive hätten. Deshalb hat die SchlaU-Schule zusammen mit 17 weiteren Organisationen einen Offenen Brief an die bayerische Staatsregierung geschrieben. Darin fordern die Unterzeichner einen Perspektivwechsel in der Flüchtlingspolitik: Weg von Abschiebequoten, wieder zurück zu mehr Integration.

"Das Problem, vor dem wir Angst haben, schaffen wir uns sonst letztlich selbst: Indem wir Flüchtlinge so ausgrenzen, wie es derzeit vielfach getan wird", sagt Christian Stegmüller.