München (epd). Laut dem kirchlichen Experten Matthias Pöhlmann versuchen Rechtsextreme in einigen Teilen Deutschlands, die Corona-Proteste gezielt für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. "Die Einladungen zu den Spaziergängen werden in rechtsesoterischen Online-Gruppen geteilt, etwa von der Anastasia-Bewegung oder der Freilerner-Bewegung. Sie rufen dort zum Widerstand gegen das System auf", sagte der Beauftragte für Sekten- und Weltanschauungsfragen der bayerischen evangelischen Landeskirche im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Donnerstag. Teilweise liefen auch bekannte Rechtsextreme, etwa Vertreter der Partei "Der Dritte Weg" bei den Protesten mit. Pöhlmann hat im Oktober ein Buch mit dem Titel "Rechte Esoterik" (Herder Verlag) veröffentlicht.

Pöhlmann beobachtet eine sehr heterogene und lokal unterschiedliche Szene bei den Corona-Spaziergängen. Menschen, die Angst vor einer Impfpflicht hätten, liefen dort neben Wissenschaftsskeptikern, Verschwörungsgläubigen oder Esoterikern. Kontaktbeschränkungen und Existenzsorgen hätten bei vielen Menschen zu einem Gefühl von Kontrollverlust und Ohnmacht geführt. "Sie haben das Gefühl, dass Medien, Politik und Wissenschaft ‚unter einer Decke stecken‘ und dass sie niemandem mehr trauen können", sagte Pöhlmann. Dadurch seien sie anfälliger für Feindbilder, einfache Antworten und Hass auf "das System" geworden.

Auch wenn Pöhlmann eine weitere Radikalisierung einzelner Menschen für möglich hält, sieht er die Demokratie insgesamt nicht in Gefahr. "Es ist eine lautstarke Minderheit, aber immer noch eine Minderheit, die sich hier Gehör zu verschaffen versucht." Es sei wichtig, die Stimme gegen Rechtsextremismus, Hass und Gewalt zu erheben. Gegendemonstrationen und kritische Stellungnahmen, etwa vom Bündnis "München ist bunt", oder Friedensgebete der Kirche wie in Schweinfurt seien gute Beispiele dafür. "Ein Eintreten für Solidarität und gegen die Tendenz der Entsolidarisierung finde ich ganz wichtig." Im privaten Umfeld solle man versuchen, mit Corona-Leugnern im Gespräch zu bleiben, aber gleichzeitig auch rote Linien ziehen, etwa bei Themen wie Antisemitismus oder Gewalt.