Den Toten zu Gedenken ist vermutlich eine der ältesten Traditionen der Menschheitsgeschichte. Klassischerweise bewahren Hinterbliebene die Erinnerung an Verstorbene durch Fotos, Tagebücher oder persönliche Gegenstände auf.
Mit dem digitalen Wandel sind jedoch neue Formen des Gedenkens entstanden. Angefangen mit digitalen Fotoarchiven oder Videos bahnen sich nun auch QR-Codes ihren Weg. Der Unterschied: Durch Scannen des QR-Codes hat jede*r Zugriff auf eine individuell gestaltete Gedenkseite, die Fotos, Videos und Anekdoten der Verstorbenen enthält.
Möglich ist dies durch Unternehmen wie beispielsweise e-Memoria. Diese bieten Hinterbliebenen die Möglichkeit, durch Scannen des QR-Codes zu persönlich gestalteten Seiten zu gelangen. Während diese Innovation anfangs als exotisch galt, hat sie sich mittlerweile als Nischenangebot etabliert.
KI-basierte Kommunikation mit Verstorbenen
Jetzt geht das ganze jedoch einen Schritt weiter: Neben QR-Codes gibt es mit dem Voranschreiten von KI-Systemen die Möglichkeit, digital mit Nachbildungen Verstorbener zu kommunizieren. Es klingt wie eine Art moderne Séance, doch anstatt den Geist anzurufen, wird die Computertastatur zum Ouija-Brett.
Diese sogenannten "Deadbots" oder "Griefbots" imitieren die Kommunikationsweise der Verstorbenen und bieten Hinterbliebenen die Möglichkeit, virtuelle Gespräche mit ihnen zu führen. So bietet Project December für 10 Dollar im Monat einen Chatbot an, welcher auf Basis von Textnachrichten, Sprachnotizen und anderen digitalen Hinterlassenschaften eines Verstorbenen trainiert wurde.
Was zunächst nach der Möglichkeit für ein ewiges Leben klingen mag, ist jedoch mit Vorsicht zu genießen. Ethiker wie Tomasz Hollanek und Katarzyna Nowaczyk-Basińska von der Universität Cambridge warnen vor den Risiken und Manipulationsmöglichkeiten dieser Technologie und äußern Bedenken hinsichtlich der sogenannten "digitalen Nachleben-Industrie".
Sie argumentieren, dass Deadbots soziale und ethische Fragen aufwerfen, welche vor einer breiteren Vermarktung und Verbreitung zur Debatte gestellt werden sollten. Diese Fragen drehen sich nicht nur um die psychologische Wirkung auf die Hinterbliebenen, sondern auch um den Besitz der Daten einer Person nach ihrem Tod.
Ein seelsorgerliches Debakel?
Auch für die Seelsorge stellt sich ein neues Problem: Während einige Hinterbliebene Trost in der digitalen Interaktion finden könnten, besteht auch die Gefahr, dass der Trauerprozess verlängert oder erschwert wird. Zudem könnten emotionale Abhängigkeiten von digitalen Repräsentationen entstehen, die den natürlichen Abschiedsprozess behindern.
Auch die Vorstellung, ein zweites Mal Abschied nehmen zu müssen, wenn man die KI wieder deaktiviert, bereitet ein mulmiges Gefühl. Für Seelsorger*innen und Therapeut*innen eröffnet sich dadurch ein ganz neues Themenfeld, das aber gerade erst im Entstehungsprozess ist.
Wohin führt das Ganze?
Hart gesagt kann dieser neue Umgang mit dem Tod zu weitgreifenden Problemen führen. Viele Fragen sind ungeklärt: Was passiert mit den Daten, wenn man den Bot abschalten möchte? Wer haftet, wenn die KI-Bots missbraucht werden? Wenn die Daten im Netz landen und keine Hinterbliebenen mehr da sind, wer entfernt die Daten aus dem Netz? Die Verstorbenen können wohl schlecht ihre Daten selbst einklagen.
Microsoft hat bereits jetzt ein Patent angemeldet, um aus sozialen Daten KIs für die Ewigkeit zu erstellen. Es ergibt sich aber auch ein theologisches Debakel: Die imitierte Interaktion mit den Toten wirkt schon fast wie eine Kommunikation mit dem Jenseits – aber effektiv ist es doch nur eine Erinnerung, welche durch Algorithmen menschlich wirken soll.
So real die KI auch wirken mag, schlussendlich ist die verstorbene Person nicht ersetzbar. Der Glaube offenbart uns an dieser Stelle ja, dass nach dem Tod das irdische Leben zwar vorbei ist, aber die Seele weiterlebt. Aber wie steht dann die KI dazu? Schafft die KI wirklich eine Art Reinkarnation der Seele oder ist es doch bloß ein interaktives Video einer verstorbenen Person? Wo liegt die Grenze? Diese Frage ist theologisch noch umstritten, jedoch warnen Theologen wie Rainer Anselm bereits jetzt vor der möglichen Technologie. Technische Möglichkeiten, den Tod zu umgehen, sei nun nicht kongruent zu dem christlichen Verständnis vom Tod und dem ewigen Leben danach.
Es bleibt also abzuwarten, wie sich diese Technologie weiterentwickelt und oder ob sich schlussendlich durchsetzt. Aktuell wirft sie jedoch mehr Fragen und Probleme auf als sie beantwortet.
Kommentare
Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.
Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.
Anmelden