Im Umgang mit den Betroffenen gibt es häufig Unsicherheit, Hilflosigkeit und Ohnmacht. Die Erste-Hilfe-Kurse wollen dagegen angehenn. Gefördert wird das Projekt vom bayerischen Gesundheitsministerium. Der Regensburger Mediziner Jakob Klein hält solche Kurse und begleitet sie wissenschaftlich.

Herr Klein, kann man Ihr Seminar mit einem Erste-Hilfe-Kurs vergleichen, wie man ihn beispielsweise vom Roten Kreuz kennt?

Jakob Klein: Genau. Wie man beim Erste-Hilfe-Kurs beispielsweise das Reanimieren bei Kreislaufstillstand lernt, möchten wir bei seelischen Nöten und Krisen die Teilnehmenden sensibilisieren und stärken – mit unserer konkreten Handlungskette "Hinschauen, Sprechen, Netzwerken" oder auch HSN genannt. Der Ansatz ist emotionsbasiert: Vor allem Trauer, Ärger und Angst sind hoch assoziiert mit seelischen Nöten.

Wir versuchen herauszuarbeiten, wo uns diese Nöte begegnen, welche Grundemotion ihnen zugrunde liegt, wenn ich zur Person und Situation schaue, aber immer auch zu mir selbst als dem Ersthelfenden. Im nächsten Schritt geht es darum, wie man die Person ansprechen und herausfinden kann, was sie braucht. Zu betonen ist, dass wir keine Therapeuten ausbilden, deswegen ist das Netzwerken auch so wichtig. Es gibt viele Fälle im Alltag, die man selber klären kann, aber in manchen Fällen braucht man professionelle Hilfe.

Welche Krankheitsbilder lernt man in dem Kurs kennen?

Wir haben am Anfang des Kurses eine Aufstellung, in der man verschiedene Szenarien durchspielt, damit man sich der Vielfalt und Individualität einer seelischen Not bewusst wird. Im Laufe des Kurses wird eine ganze Bandbreite zusammen mit den Teilnehmenden interaktiv erarbeitet. Das muss nicht immer der psychiatrische Notfall oder die Suizidalität sein. Es geht um einen individuellen Leidensdruck.

Von außen kann man schlecht sagen, was schlimm ist und was nicht. Wenn eine Person es für sich als seelische Krise wahrnimmt, dann ist das so und dem muss Raum gegeben werden. Die soziale Kompetenz, dabei zu helfen, haben wir alle. Wir möchten das bestärken und den Helfercharakter betonen, damit man sich auch traut. Wir klären aber auch auf über Suizidalität.

Viele Menschen trauen sich nicht, das anzusprechen, weil sie glauben, dass ihr Gegenüber dann erst recht auf "dumme Gedanken" käme – was aber nicht der Fall ist. Die meisten Leute kündigen es an, bevor sie sich das Leben nehmen. Die Warnsignale wahrzunehmen, ist sehr wichtig.

Warum bieten Sie den Kurs für über 60-Jährige an?

Wir wollen den Ersthelfer-Charakter herausstellen. Zusätzlich wollen wir auch herausarbeiten, welche seelischen Nöte in dieser Altersgruppe besonders vorkommen: Einsamkeit, Altersarmut, erhöhte Suizidalität, Multimorbidität, die sich im Alter zeigt. Meine Erwartung ist, dass das mehr aufkommt in einem Kurs, der sich auf diese Altersgruppe bezieht. Das schließt ja nicht aus, dass Teilnehmende der Ü60-Kurse unsere Handlungskette "Hinschauen, Sprechen, Netzwerken" genauso für ihre Enkelkinder anwenden können, sollte es diesen einmal schlecht gehen.

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