Mit der Verleihung ihres Menschenrechtspreises an die Chinesin Sayragul Sauytbay lenkt die Stadt Nürnberg den Blick auf Menschenrechtsverletzungen gegen Muslime in China.

Sauytbay, die im Asyl in Schweden lebt, erhielt die mit 15.000 Euro dotierte Auszeichnung an diesem Sonntag, den 15. Mai im Nürnberger Opernhaus. Am Samstag trug sie sich in das Goldene Buch der Stadt ein.

Für Umerziehungslager zwangsrekrutiert

Die 44-jährige Ärztin, kasachische Staatsbeamtin und frühere Leiterin mehrerer Vorschulen, decke die Verbrechen an Uiguren und Kasachen auf und setze sich "mit bewundernswertem Mut für die muslimischen Minderheiten in China ein", heißt es in der Begründung der Jury. Als die chinesische Regierung hart gegen uigurische und kasachische Minderheiten vorging, wurde sie 2017 als Ausbilderin in einem "Umerziehungslager" zwangsrekrutiert und dort festgehalten.

Sauytbay wurde 2018 unerwartet freigelassen, sollte aber als Gefangene ins Lager zurückkehren. Nach der Flucht nach Kasachstan drohte ihr die Auslieferung nach China. Eine Medienkampagne ihres Mannes habe die Abschiebung verhindern können, hieß es.

In Dankesrede: Berichte von grausamen Verbrechen

In ihrer Dankesrede im Nürnberger Opernhaus berichtete Sauytbay von den grausamen Verbrechen an den ethnisch-religiösen Minderheiten in den chinesischen Internierungslagern, denen sie als muslimische Kasachin selbst ausgesetzt war. Die willkürlich Inhaftierten "wurden mit unendlicher Grausamkeit gefoltert und schwebten ständig zwischen Leben und Tod”, erzählte Sauytbay, die 2019 nur durch starken zivilgesellschaftlichen und medialen Druck aus China fliehen konnte.

Die Aktivistin appellierte an das Versprechen der Vereinten Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg, dass sich solche Verbrechen nie wieder wiederholen dürften. Dieses Versprechen sei durch Chinas Völkermord "nach nur etwas mehr als 70 Jahre gebrochen worden.”

Sauytbay nahm in ihrer Rede auch Bezug auf Russlands Invasion in der Ukraine. Der Krieg sei nicht nur ein Krieg dieser beiden Länder, sondern auch "Chinas Krieg gegen die Weltdemokratie mithilfe von Russland”. Der Krieg sei ein "eklatanter Angriff”, während in China ein Krieg herrsche, "bei dem Menschen unbemerkt getötet werden”, betonte die Aktivistin. Im Anschluss an ihre Rede sang Sauytbay eine eigens komponierte Hymne über Frieden und Freiheit auf dieser Welt.

Jury-Mitglied Iris Berben würdigte in ihrer Laudatio den Mut von Sauytbay, das "Erlebte und die Situation in Xingjiang an die Öffentlichkeit zu bringen.” Sie führe den Kampf für "die Freiheit vieler Turkvölker”, genauso wie für viele Menschen, die "in der Ukraine für ihre Freiheit, ihre Sprache, ihre Kultur, ihre Selbstbestimmung bluten, sterben und ausgelöscht werden sollen”.

Die Öffentlichkeit durch den Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreis solle Sauytbay, trotz der immer wiederkehrenden Drohungen aus China, den nötigen Schutz bieten, ihre Arbeit "in Sicherheit fortsetzen zu können”.

Nürnberg sieht sich zu "ehrlicher Kritik" verpflichtet

Die Aktivistin werde für ihren Kampf für die ethnisch-religiösen Minderheiten geehrt, sagte der Nürnberger Oberbürgermeister Marcus König (CSU) als Vorsitzender der Jury bei der Bekanntgabe der Geehrten vor einem Jahr. Sauytbay ist in der autonomen Präfektur Ili Kazakh geboren, die Heimat vieler Turkvölker wie der Uiguren oder Kasachen ist. Sie erlebte selbst Folter und bekam während ihrer Inhaftierung einen Einblick in das Lagersystem.

Die Aktivistin stehe für das Schicksal von mehr als einer Million Muslimen in der Region Xinjang im Nordwesten Chinas, die gewaltsam in Lagern festgehalten würden und Gehirnwäsche, Folter und Vergewaltigung erlitten, sagte König.

Die Menschen in der Region Ostturkestan erlebten seit der Jahrtausendwende eine "kulturelle Assimilierung", die China als Umerziehung bezeichne, sagte König. Nürnberg sei mit dem chinesischen Volk über die Partnerstadt Shenzen freundschaftlich verbunden, sagte der Oberbürgermeister, man sehe sich daher auch zu ehrlicher Kritik verpflichtet.

Das Stichwort: Nürnberger Menschenrechtspreis

Der Internationale Nürnberger Menschenrechtspreis wird seit 1995 alle zwei Jahre verliehen. Im Jahr 1995 erinnerte man an die Verabschiedung der nationalsozialistischen Rassengesetze, der "Nürnberger Gesetze", 60 Jahre zuvor - und an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor damals 50 Jahren.

"Der Preis ist eine Antwort der Stadt Nürnberg auf die staatlich verordneten Menschenrechtsverbrechen jener Jahre und soll aller Welt ein Symbol dafür sein, dass von Nürnberg niemals mehr andere Signale ausgehen dürfen als solche des Friedens, der Versöhnung, der Verständigung und der Achtung der Menschenrechte", heißt es in der Satzung. Die Ehrung soll gefährdete Verteidiger der Menschenrechte schützen und andere ermutigen, sich für die Menschenrechte zu engagieren.

Die mit 15.000 Euro dotierte Auszeichnung wird an Einzelpersonen oder Gruppen verliehen. Eine international besetzte Jury unter dem Vorsitz des Nürnberger Oberbürgermeisters Marcus König hat über die Vergabe an die chinesische Aktivistin Sayragul Sauytbay im Jahr 2021 entschieden. Die 14. Verleihung des Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises findet wegen der Corona-Pandemie erst dieses Jahr am Sonntag (15. Mai) im Nürnberger Opernhaus statt. Die oder der Preisträger erhalten eine kleine Abbildung des Tors zur Straße der Menschenrechte in Nürnberg, die der Architekt Dani Karavan entworfen hat.

Erster Preisträger war 1995 der Russe Sergej Kowaljow, der für sein Engagement gegen den Tschetschenienkrieg geehrt wurde. Den Preis erhielt unter anderem die Ruanderin Eugénie Musaydire für ihre Versöhnungsarbeit zwischen den Volksstämmen der Hutu und Tutsi in ihrem Land. Inhaftiert ist in seinem Land Abdolfattah Soltani (Preisträger 2009), der als Rechtsanwalt im Iran für Menschenrechte eintritt.

Ungewöhnlich war die Vergabe des Preises im Jahr 2017 an die Gruppe "Caesar", die Fotos veröffentlichte, um systematische Folter und Massenmorde in Syrien an die Öffentlichkeit zu bringen. Der Preisträger blieb anonym. Der Preisträger 2015 war der Gewerkschafter Amirul Haque Amin (Bangladesch), ausgezeichnet für seinen Kampf für die Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter in der Textilindustrie. Kasha Jacqueline Nabagesera erhielt die Auszeichnung 2013 für ihren Einsatz gegen Homophobie und für sexuelle Selbstbestimmung in ihrer Heimat Uganda.