Herr Kopp, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ist von vielen Seiten unter Druck. Sind Sie besorgt, dass die extremen politischen Ränder aus der Bundestagswahl gestärkt hervorgehen?
Christian Kopp: Jeder, der unsere Demokratie achtet, muss da im Moment besorgt sein - spätestens, wenn man den Blick in andere, auch europäische Länder richtet. Wir haben aus ganz verschiedenen Gründen in vielen Teilen der Welt Entwicklungen, die Parteien mit radikalen Positionen stärken. Zahlreiche Menschen sehnen sich nach eindeutigen und einfachen Lösungen. Aber wir leben nun einmal im Zeitalter der Mehrdeutigkeiten.
"Einer der großen Schätze der parlamentarischen Demokratien ist die Suche nach Kompromissen"
Wir sehen in Österreich, was passiert, wenn Parteien der Mitte sich nicht einigen. Für wie sinnvoll halten Sie es, dass demokratische Parteien untereinander schon vor der Wahl eine Zusammenarbeit ausschließen?
Einer der großen Schätze der parlamentarischen Demokratien ist doch die Suche nach Kompromissen, nach einem gemeinsamen Nenner, einer Basis für die Zusammenarbeit. Das ist mühsam. Wir brauchen Politikerinnen und Politiker, die gezielt Kompromisse suchen. Bürgerinnen und Bürger interessieren sich für gute Lösungen und nicht, welche Parteien jetzt gut miteinander können und welche nicht.
In den USA hat man ja aber gesehen, dass die Wählerinnen und Wähler offenbar durchaus für Politiker wie Donald Trump zu begeistern sind, die eben keine Kompromisse suchen …
Einfache Antworten sind verführerisch, und Donald Trump bedient genau diese große Sehnsucht nach vermeintlich einfachen Lösungen. Den Wählern wird es nichts nutzen, sollte Grönland wirklich einmal zu den USA gehören. Dass er trotzdem gewählt wurde, daran könnte man zwar verzweifeln, aber was ändert das? Wir müssen eben weiter für Freiheit und Vielfalt eintreten.
Kirche macht keine Parteipolitik, aber sie ist doch politischer Akteur. Wie kann sich beispielsweise die bayerische Landeskirche für unsere Demokratie starkmachen?
Die Landeskirche war 2005 Gründungsmitglied des Bayerischen Bündnisses für Toleranz, weil sie sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung insgesamt bewusst ist. In diesem Bündnis erheben wir unsere Stimme zusammen mit anderen Institutionen. Vor der Bundestagswahl wollen wir als Kirche dafür werben, überhaupt zur Wahl zu gehen - und dafür, Politiker und Parteien zu wählen, die für das Gemeinwohl einstehen.
"Die Kirchen haben aus den Erfahrungen der beiden Weltkriege gelernt"
Die Kirche war in ihrer Geschichte nicht gerade ein Wegbereiter oder Förderer der Demokratie. Weshalb ist der christliche Blick auf die Politik im Westen inzwischen so pro-demokratisch?
Es ist leider richtig, dass die Kirchen in Deutschland lange Zeit abhängig von den jeweiligen Herrschenden waren und da gut gelebt haben. Aber die Kirchen haben aus den Erfahrungen der beiden Weltkriege gelernt. Die Demokratie, die seit 1949 in Deutschland aufgebaut wurde, ist ein so hohes Gut und engstens mit christlichen Werten verknüpft: Alle, die diese Demokratie abschaffen wollen, müssen mit unserem Widerstand rechnen!
Können Sie diese christlichen Werte, die ganz konkret mit der Demokratie als Staatsform verknüpft sind, konkret benennen? Und wo ist die Grenze, wann der Boden der Demokratie verlassen wird?
Das christliche Doppelgebot der Liebe bedeutet als zentraler ethischer Wert auch den Respekt vor jedem Leben - und das ist fundamental im Artikel eins unseres Grundgesetzes verankert. Wir erleben aber trotzdem derzeit etliche Menschen, die diese gemeinsame Grundlage verlassen und über Menschen gehässig und hetzend sprechen. Dieser Entwicklung müssen wir weiter vehement entgegentreten.
Kirche und Diakonie haben zuletzt immer mal wieder erklärt, sie könnten "Verständigungsorte" für die politische Debatte bieten. Was genau ist damit gemeint?
Kirchliche und diakonische Orte waren immer schon Verständigungsorte: Gemeindehäuser etwa, in denen sich Seniorinnen und Senioren zum Kaffee treffen, oder auch Kindergärten, in denen Eltern mit ganz unterschiedlichen Lebensentwürfen zusammenkommen. Gesamtgesellschaftlich wird aber immer weniger mit-, dafür aber mehr übereinander geredet. Deshalb wollen Kirche und Diakonie zum Austausch einladen!
"Man darf nicht unterschätzen, wie viele Menschen Sehnsucht nach Kontakt haben"
Sie wollen also Menschen dazu motivieren, sich auszutauschen, miteinander zu reden. Aber man hat doch zunehmend den Eindruck, viele Menschen wollen gar keinen Dialog mehr...
Man darf nicht aufhören, zum Gespräch einzuladen. Und man darf nicht unterschätzen, wie viele Menschen Sehnsucht nach Kontakt haben. Unsere Hoffnung ist, dass wir auch die Menschen erreichen, die sich aus verschiedenen Gründen abgehängt fühlen. In der Geschichte unserer Kirche gab es immer wieder Situationen, wo wir integrierend wirken mussten. Jetzt ist wieder so eine Situation: Lasst uns miteinander reden!
Was müsste eine künftige Bundesregierung aus Ihrer Sicht tun, damit sie diese vermeintlich "abgehängten" Menschen wieder erreicht?
Wir brauchen eine Politik, die glaubwürdig den Ausgleich sucht. Ein solcher Ausgleich ist schwer zu erreichen, wenn sich manche Regierungspartner immerzu profilieren wollen, wie wir es in der Ampel-Koalition zuletzt erlebt haben. Die Wählerinnen und Wähler wollen, dass jemand einen klaren Kurs vorgibt und den dann auch vier Jahre umsetzt. Das würde ich mir auch persönlich wünschen.
Aber offenbar ist es ja sowohl im politischen Alltagsgeschäft als auch jetzt im Wahlkampf viel einfacher und auch erfolgreicher für Parteien, auf Abgrenzung statt auf Kompromisse zu setzen...
Meine Antwort darauf ist ein Appell an die Politikerinnen und Politiker: Täuscht euch nicht, die Wähler und Wählerinnen sind nicht dumm. Spätestens wenn große Versprechungen gemacht und nicht eingehalten werden können, rächt sich das. Das wird, da bin ich ziemlich sicher, auch bei US-Präsident Donald Trump und anderen Populisten passieren. Wir brauchen eine Regierung, die auf Ausgleich und Fairness setzt.
"Wir müssen mit weniger zurechtkommen, auch mit Blick auf Umwelt und Klima"
Trotz Kriegen und Krisen geht es den meisten Menschen in Deutschland noch mehr als gut - weshalb haben trotzdem so viele Menschen Verlustängste?
Es ist nun einmal so, dass es in Deutschland viele Jahrzehnte immer nur eine Richtung gab: aufwärts. Immer bessere Jobs, immer bessere Wohnstandards, immer mehr Geld. Aber inzwischen wollen auch andere Länder auf dieser Welt ihren Anteil vom Kuchen - und der ist nicht unendlich groß. Wir müssen uns letztlich eingestehen: Wir müssen mit weniger zurechtkommen, auch mit Blick auf Umwelt und Klima.
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Ich trage die Sorgen unseres…
Ich trage die Sorgen unseres Landesbischofs mit. Wahlversprechen kann man an den Leistungen und Taten der vergangenen Jahre der Parteien der Mitte messen. Sie alle versprechen jetzt Sachen, die sie in den letzten 10 Jahren nicht gemacht haben. Der Focus liegt auf wiedergewählt werden, statt auf Probleme lösen. Die Bürokratie ist wichtiger als die Wahrheit und die Tatsachen. Das hatten wir schon mal, und davor wird mir Angst. Die Politik heute regiert wie Cäsar vor 2000 Jahren: Brot und Spiele.
Und Hitler nutzte die Prpaganda geschickt aus, Minderheiten hatten keine Chance, und das Beamtentum, sowie die Staatsanschaften und Richter drückten das Ganze durch, weil jeder um sich selbst Angst hatte, bzw sich in diesem Regime einen Vorteil ausrechnete. Für mich erschreckend.
Und in Deutschland dreht ich alles ums Geld, ich denke, wir sind da bei der Spitze auf der Welt dabei. Das zeigt sich auch bei den Bundestagsabgeordneten, wenn nur 17 % der Abgeordneten (irgendeiner) Kirche angehören, gebe ich die Hoffnung schon fast auf, dass alles wieder besser wird.
AFD und BSW können Deutschland nicht regieren, aber wenn die anderen Parteien die Probleme des kleinen Mannes nicht ernst nehmen und zumindest versuchen zu lösen, dann werden eines Tages die Extremen an die Macht kommen.
Ein paar Beispiele:
Kleinselbständige haben keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung oder bezahlten Urlaub.
Landwirte haben keinen Anspruch auf die Mindestrente, weil die Beitragsjahre in die LKK als Pflichtrentenkasse nicht angerechnet werden.
Bei geringfügiger Beschäftigung werden vom 1. Euro an pauschale Sozialbeiträge abgezogen, währen Großverdiener wie zB die Bahnvorstände, die zuletzt ca 4 Mio € Jahresgehalt hatten, wegen der Beitragsbemessungsgrenze für unter 0,1 Mio € Sozialversicherungbeiträge leisten und für 3,9 Mio € von der Sozialversicherung befreit sind.
Rentner müssen für alle Einnahmen Krankenkassenbeiträge leisten.
Wir subventionieren das Flugbenzin jährlich mit 7 Mrd Euro, der kleine Arbeiter muss für (grad auf dem Land) Steuern für KFZ und Sprit bezahlen.
Deutschland ist in vielen Punkten zu einem unsozialen Staat geworden, der besserverdienende belohnt, deshalb geht ja die Schere zuw Arm und Reich in Deutschland immer weiter auseinander.
Gleichzeitig werden wir immer egoistischer, einschließlich unserer Abgeordneten. Dieses egoistische Denken fördert die Extremen.
Das schlimmste aber ist der Vertrauensverlust in die Politik.
Jahrelang konnte dieser schleichende Vertrauensverlust mit dem "Gießkannenprinzip" ausgeglichen werden. Leider sind die Kassen in Berlin, den Ländern, Bezirken und Komunen leer, und land auf, land ab müssen sich die Politiker Gedanken machen, wie kann man die Grundversorgung zB an der Infrastruktur, am Krankenhaussytem, an den Ärzten allgemein, am Pflegesystem etc sicherstellen. Das problem, der Geldbeutel der Masse der Deutschen ist auch leer. Bleibt nur die Erhöhung der Beiträge. So leicht sollte man es sich nicht machen.