Friedrich Merz ist Bundeskanzler, ich gehe fest davon aus, dass wissen viele. Aber, dass er jetzt auch noch unter die Städteplaner gegangen ist, nur wenige. Während andere Regierungschefs an sozialen Spannungen arbeiten, scheint Merz momentan in erster Linie als Chefästhet im Einsatz zu sein. Ein Mann, der Deutschland nicht als lebendige Gesellschaft, sondern als gestalterisch zu bereinigende Freifläche sieht.

Sein neuestes Werk: Die Diagnose, dass "das Stadtbild" ein Problem sei – wegen Migration. Nicht Armut, nicht Chancenungerechtigkeit. Nein. Das Bild. Die Optik. Die Unübersichtlichkeit. Deutschland in der Krise – und der Kanzler schaut auf die Fassade, nicht in die Tiefe.

Menschen als Gestaltungselemente

Was folgt, ist ein Bekenntnis zur politischen Stadtplanung nach Farben und Konturen. Menschen werden zu Gestaltungselementen – manche passen, andere stören die Harmonie. Und weil ein Kanzler selten allein monologisiert, hat Merz seinen treuen politischen Boutique-Planer zur Seite: Jens Spahn. Spahn macht sich sofort nützlich und liefert das Begleitprogramm: Rückführungen. Großflächig. Entschlossen. Als hätte man zu viele Figuren auf einem Diorama stehen und müsse dringend Überbestand abbauen. Spahn denkt dabei offenbar pragmatisch – wenn schon Abschieben, dann bitte auch gleich Osteuropäer mitnehmen. Eine bemerkenswerte Idee: erst jahrelang osteuropäische Pflegekräfte als soziale Notfalllösung glorifizieren, dann ihr Anrecht auf Sichtbarkeit in Innenstädten als Problem markieren.

Doch Merz wäre nicht Merz, hätte er nicht ein großes moralisches Etikett für sein Ordnungskonzept: Er tut das alles – selbstverständlich – "zum Wohl der Frauen". Der altbewährte rhetorische Trick: Wenn konservative Machtpolitik sich schmutzige Hände holt, schützt sie angeblich weibliche Sicherheit. Als gäbe es nur zwei Optionen: Entweder man stimmt einer restriktiven Abschottung zu oder man sei gegen Schutz für Frauen. Perfide wird suggeriert: Wer gegen Abschiebung argumentiert, spielt mit weiblicher Angst. Dass statistisch die meisten Gewalttaten gegen Frauen nach wie vor im nahen sozialen Umfeld verübt werden – geschenkt.

Kosmetik statt Integration

Damit wird nicht Integration gefördert, sondern Distanz institutionalisiert. Wer so redet, macht klar: Er spricht nicht mit Menschen, sondern über sie. Migration wird zum Entfernbarkeitsobjekt erklärt, nicht zum Teil einer Realität, die man politisch gestalten muss. Rückführung erscheint in dieser Logik nicht als ultima ratio, sondern als kosmetische Behandlung. Der Staat als Schönheitschirurg: Facelift fürs Stadtbild.

Und so entsteht das Schreckensbild einer zukünftigen Republik "Merzland": Eine Hauptstadt Merzhausen, in der Menschen sich optisch legitimieren müssen, bevor sie am Straßenrand existieren dürfen. Eine Fußgängerzone, in der ethnische Vielfalt nur dann willkommen ist, wenn sie sich farblich an die politische Innenarchitektur anpasst. Eine Gesellschaft, in der Herkunft nicht soziale Geschichte ist, sondern visuelle Bewertungseinheit. Verschiedenheit wird ertragen, solange sie nicht stört – und wenn sie stört, wird sie deportiert.

Das kranke Weltbild

Doch wie immer, wenn Politik beginnt, in Bildern statt in Menschen zu denken, verrät sich das eigentliche Problem: Nicht das Stadtbild ist krank, sondern das Weltbild, das es beurteilt. Hier wird nicht Ordnung geschaffen, sondern Ausgrenzung inszeniert. Hier wird nicht Sicherheit gestärkt, sondern Angst verwaltet. Hier wird nicht Zukunft gestaltet, sondern Vergangenheit nachgemalt.

Der gefährlichste Moment einer Demokratie beginnt dort, wo ihre Führung glaubt, Gesellschaft sei ein Ornament – und nicht ein organisches Gefüge, das nicht nach Reinheit schreit, sondern nach Gerechtigkeit. Und wer sortiert, hat vergessen, dass eine Stadt nicht schön ist, weil sie sauber ist, sondern weil sie lebt.