Frau Schmidt, stellen Suchterkrankungen bei Menschen mit geistiger Behinderung eine neue Problematik dar?

Sabine Schmidt: Dass die Problematik gewachsen zu sein scheint, liegt daran, dass wir durch die UN-Behindertenrechtskonvention aus dem Jahr 2009 anders mit Menschen mit einer Beeinträchtigung umgehen. Sowohl durch die Behindertenrechtskonvention als auch durch das Bundesteilhabegesetz wurde mehr Selbstbestimmung durchgesetzt. Das bedeutet, dass Menschen mit einer Beeinträchtigung nun mehr Rechte und mehr Freiheiten haben. Ein Mensch mit geistiger Behinderung, der in einer Einrichtung lebt, hat heute selbstverständlich die Freiheit, in den Discounter zu gehen und sich Alkohol zu kaufen. Durch den Zuwachs an Freiheiten haben sich auch die Risiken erweitert.

Wie schaut es denn in Ihrer Dillinger Suchtfachambulanz aus? Haben Sie dort viele Klientinnen und Klienten mit geistiger Behinderung und einer Suchterkrankung?

Schmidt: Wir haben in Dillingen große Einrichtungen für Menschen mit Behinderung und bilden seit ungefähr zehn Jahren Mitarbeitende in der Behindertenhilfe aus. Sie lernen zum Beispiel, wie sie Bewohner früh ansprechen, wenn sie ein auffälliges Verhalten beobachten. Dazu gehört ja Mut.

2023 hatten wir insgesamt 360 Klienten mit geistiger Beeinträchtigung in unserer Suchtfachambulanz, 60 davon waren Angehörige. Unter den von einer Suchtgefährdung Betroffenen waren vielleicht fünf bis zehn Menschen mit geistiger Behinderung aus einer stationären Einrichtung. Meist kommen sie wegen Alkohol, daneben spielt Cannabis eine Rolle. Wir hatten aber auch schon Amphetamine als Beratungsgrund. Grundsätzlich wird das Kriterium "Geistige Beeinträchtigung" bei uns nicht statistisch erfasst. Unter unseren Klienten gibt es Menschen mit besonderem Förderbedarf, mit Entwicklungsstörungen oder Lernschwierigkeiten.

Vermutlich gehen Sie mit geistig beeinträchtigten Klienten anders um als mit anderen Ratsuchenden. Was machen Sie denn in der Beratung konkret anders?

Schmidt: Meist ist es so, dass der Klient zur ersten Beratung zusammen mit seiner Betreuungsperson kommt. Bei diesem ersten Termin versuchen wir, gemeinsam herauszufinden, wie denn der Entwicklungsstand des Klienten ist. Beim nächsten Mal kommt der Klient in der Regel alleine. Wir versuchen, ihn in leichter Sprache zu beraten. Meine Erfahrung ist, dass der Beratungsprozess meist nicht allzu lange dauert. Manchmal kommt es nur zu drei bis fünf Gesprächen. In diesen Gesprächen versuchen wir, Informationen über Gefahren und Risiken des Konsums mitzugeben.

Die eigentliche pädagogische Arbeit wird dann von den von uns geschulten Betreuerinnen und Betreuern in der Einrichtung geleistet. Es stellt sich etwa die Frage, wie man Hausregeln in Bezug auf Suchtgefahren so formulieren könnte, dass sie von allen angenommen werden. Zum Beispiel könnte geregelt werden, dass in Gemeinschaftsräumen kein Alkohol getrunken wird, damit andere nicht in Versuchung geführt werden.

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