Mehr Zeit statt mehr Dokumentation: Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) hat das Ausmaß von Kontrollen im Pflegebereich kritisiert. Man habe, verstärkt durch die Corona-Pandemie, bei der Regulierung der Pflege "Maß und Mitte verloren", sagte Holetschek bei einer Diskussionsveranstaltung der Evangelischen Stadtakademie München.
Er habe manchmal den Eindruck, "dass die Hand am Kugelschreiber wichtiger ist als die Hand am Bett". Die Veranstaltung war Teil der ökumenischen "Woche des Lebens", deren Schwerpunkt dieses Jahr das Thema "Demenz" ist.
Holetschek mahnt Pflegereform an
Politik und Gesellschaft dürften jetzt den Zeitpunkt nicht verpassen, um die Pflege neu aufzustellen, forderte Holetschek. Nötig sei eine Reform, "die von den Bedürfnissen der Menschen her denkt, und nicht von den Abrechnungsmodalitäten". Auf Pflegeskandale dürften nicht reflexhaft noch mehr Regeln und Kontrollen erfolgen.
Statt dessen müsse man bestehende Gesetze besser umsetzen und sich fragen, "warum bestimmte Mechanismen nicht funktionieren". Deshalb wolle das Gesundheitsministerium 17 Millionen Euro bereitstellen, um in jedem Regierungsbezirk Anlaufstellen für Pflegekräfte einzurichten, die Supervision und Resilienzförderung anbieten sollen, kündigte Holetschek an.
Demenz verschärfte Probleme in der Pflege
Das Thema "Demenz" verschärfe vielerorts die Probleme in der Pflege, stellte der Gesundheitsminister fest. Der 2020 beschlossene bayerische Demenzpakt wolle das Thema in die Gesellschaft tragen und dafür sorgen, dass mehr Menschen für die Bedürfnisse von demenziell Erkrankten sensibilisiert würden.
Erfahrungen damit sammelt derzeit die Caritas mit dem Projekt "Demenzfreundliche Gemeinde" in Oberschleißheim. "Wenn Menschen sich demenziell verändern, muss das ganze Umfeld damit umgehen - auch die Nachbarn, die Bäckereiverkäuferin und der Busfahrer", sagte Gabriele Stark-Angermaier, Vorständin des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising. Solche Projekte kosteten zunächst Geld, "aber sie schonen langfristig unsere Krankenkassen".
Im Pflegebereich forderte die Caritas-Vorständin zusätzliche Mittel für den Einsatz von Gerontologie-Fachkräften. "Wenn jemand die Zeit hat, die Bedürfnisse der Menschen aus ihrer Biografie heraus zu verstehen, entlastet das auch die Pflegekräfte und die Angehörigen", erklärte Stark-Angermaier.
Angehörige brauchen auch Betreuung
Einen weiten Blick auf die Pflege wünschte sich auch Dorothea Bergmann von der Fachstelle "Spiritualität - Palliative Care - Ethik - Seelsorge" der Diakonie München und Oberbayern. "Zur Pflege gehört nicht nur eine Berufsgruppe", sagte die Pfarrerin. Wenn beispielsweise ein Sozialdienst die Angehörigen betreue, kehre oft auch Ruhe für Bewohner und Pflegekräfte ein.
Darüber hinaus forderte Bergmann eine andere gesellschaftliche Haltung zum Altern und mehr Wertschätzung für die Leistung von Menschen mit Demenz:
"Diese Menschen wissen, in welchem Krankheitsbild sie stecken, und es ist großartig, wie sie damit zurechtkommen und ihre eigenen Lösungen finden."
Die Veranstaltung präsentierte außerdem mit dem "Demenzguide" eine neue App, die von den Fachstellen für Altenseelsorge der evangelischen und der katholischen Kirche entwickelt worden ist. Die App soll Angehörigen im Pflegealltag Unterstützung und Zuspruch bieten. Seit ihrem Start im Februar sei die App bereits 13.000 mal heruntergeladen worden, teilten die Verantwortlichen mit.