Wie hat sich das Islambild im öffentlichen Diskurs in den letzten beiden Jahrzehnten verändert?

Rainer Oechslen: Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 sind die Themen Islamismus und Terrorismus ungleich stärker geworden. Die Attentate der letzten Jahre in Frankreich, Brüssel, Madrid oder London haben die Wahrnehmung des Islam in Europa nochmal sehr viel kritischer werden lassen. Und dazu kam dann die große Zahl von Muslimen, die durch die Flüchtlingsbewegung der Jahre 2015 und 2016 zu uns gekommen sind. Im Zuge dessen haben sich die öffentlichen Diskussionen über den Islam und die Diskussionen über die Flüchtlingsbewegung immer mehr miteinander vermischt.

 

Was ist in der deutschen Politik im Umgang mit dem Islam schiefgegangen?

Durch die allerjüngste Politik, durch die AfD und durch die Annäherung der CSU an die AfD ist das Bild, dass alle Religionen gleichberechtigt sind, fast verloren gegangen.

Rainer Oechslen, Islambeauftragter der bayerischen Landeskirche

Welche Verantwortung tragen die Medien dabei?

Oechslen: Ich glaube, sie tragen eine sehr große Verantwortung. Die Titelbilder zum Beispiel, die "Der Spiegel" unter Stefan Aust gebracht hat, sind fast alle islamophob. Oder wenn ich an die kürzlich ausgestrahlte Talkshow von Sandra Maischberger denke, die im Anschluss an die Verfilmung des hochironischen Romans "Unterwerfung" von Michel Houellebecq stattgefunden hat: Da fielen Kommentare, die unter aller Kritik waren, etwa von dem Journalisten Jan Fleischhauer. Polemisch gegen den Islam, aber auch gegen die Kirchen. Die häufig in Talkshows eingeladene Necla Kelek hat eine besondere Rolle gespielt. Aus ihrer persönlichen Verletzung durch islamische Erziehungspraktiken in ihrer Kindheit und Jugend hat sie ein islamfeindliches Lebenswerk herausgearbeitet, mit zum Teil unerträglichen Äußerungen. Und in solchen Konstellationen sitzen sie dann zusammen und reden über den Islam. Gott sei Dank hat der Deutsche Presserat diese Talkshow scharf kritisiert. Allerdings hätte meiner Meinung nach solche Kritik schon sehr viel öfter kommen müssen.

 

Wie können Kirchen und Gemeinden dazu beitragen, Muslime in Deutschland von Vorurteilen zu befreien?

Es ist ganz erstaunlich, wie viele Menschen eine Meinung über den Islam haben, aber keinen einzigen Muslim persönlich kennen, geschweige denn muslimische Freunde haben.

Rainer Oechslen, Islambeauftragter der bayerischen Landeskirche

Oft wird von Muslimen eine Distanzierung von extremen Strömungen im Islam und religiös begründeten Gewalttaten erwartet. Muss das sein?

Oechslen: Ich bin Christ und distanziere mich trotzdem nicht ununterbrochen von allem, was in der Christenheit geschieht. Ich distanziere mich nicht von der Lord’s Resistance Army in Westafrika, obwohl das die größte Terrorbewegung der Welt ist. Ich distanziere mich nicht vom Einmarsch der USA in den Irak, der von der Bush-Regierung als Kreuzzug dargestellt wurde und von allen möglichen anderen Maßnahmen, die mit dem Christentum in Verbindung gebracht werden, distanziere ich mich auch nicht. Ich distanziere mich nicht von Präsident Donald Trump, obwohl es in den USA Kreise gibt, die sagen, er sei der erste Präsident seit vielen Jahren, der an die Macht des Gebets glaubt. Von all dem distanziere ich mich nicht, weil ich da drüber stehe, ich muss mich nicht davon distanzieren.

Vonseiten der muslimischen Verbände kommen übrigens nach jedem Terroranschlag scharfe Verurteilungen, auch von ganz konservativen. Allerdings nehmen die in unserer Presse entweder gar keinen oder nur einen ganz kleinen Raum ein. In meiner Funktion als Islambeauftragter lese ich Zeitungen natürlich anders und nehme solche Artikel stärker wahr. Bei meinen Vorträgen merke ich dann, wie wenig Menschen diese Artikel erreichen. Sei es, weil niemand die ganze Zeitung komplett liest, sie nicht im Gedächtnis behält oder jeder nur das anschaut, worauf sein persönliches Interesse gerichtet ist. Mit den Bildmedien ist das nichts anderes. Und das bedeutet meines Erachtens nach, dass wir ganz klar sagen müssen: Die muslimischen Verbände können nicht mehr tun als Gewalt zu verurteilen. Was sich ändern kann und muss, ist die öffentliche Wahrnehmung ihrer Distanzierung.