Herr Barrenstein, als Beauftragter des Rates der EKD für das Thema "Führen und Leiten" und Aufsichtsrat der Führungsakademie für Kirche und Diakonie entwickeln Sie derzeit ein neues Programm für kirchliche und diakonische Führungskräfte. Wird in Kirche und Diakonie schlecht geführt und geleitet?

Peter Barrenstein: Das Thema Führen und Leiten in kirchlichen und diakonischen Einrichtungen ist sehr verbesserungswürdig. Das hat zwei Gründe: Es wird nicht systematisch gelehrt. Und es fehlen oft kontinuierlich vorhandene Rollenmodelle, wie es sie in der Wirtschaft gibt. In kirchlichen Einrichtungen agieren die Pfarrer zu häufig autark und allein ohne die tagtäglichen Beispiele guter Vorgesetzter. Das mag für den Einzelnen kurzfristig angenehm sein, ob es aber der langfristig positiven eigenen Weiterentwicklung dient, scheint mir sehr die Frage zu sein…

Was kann man dagegen tun?

Barrenstein: Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind die einzige wesentliche weltliche Ressource, die wirklich relevant ist für unsere Kirche. Deren Potenzial zu erkennen und zu fördern, muss eine ganz wichtige Aufgabe sein. Und die wird bislang oft nicht so wahrgenommen, wie eigentlich erforderlich. Auch natürlich weil von Seiten der zu führenden Theologen selbst gewisse Widerstände kommen. Viele Pfarrerinnen oder Pfarrer sagen: 'Ich kann das alleine, ich brauche keinen, der mir etwas sagt.' Das ist ein Dilemma, mit dem viele Führungskräfte in der Kirche zu tun haben.

Als Mitglied der EKD-Synode habe ich das in etwas anderem Kontext erlebt bei einer so starken intellektuellen Führungskraft wie dem damaligen Ratsvorsitzenden, Bischof Wolfgang Huber. Wenn Huber vor der Synode gesprochen hat, war ein Teil der Synodalen von vorneherein skeptisch - nur ahnend, was er tatsächlich sagen würde. Starke Persönlichkeiten mit dann auch noch eigener Meinung werden in unserer Kirche oft nicht allzu gerne gesehen. Und sich von anderen etwas sagen lassen, mag man noch viel weniger.

Sollten Pfarrer und Dekane wie Manager ausgebildet werden?

Barrenstein: Zunächst einmal: Kirche ist in weiten Bereichen anders als ein Wirtschaftsunternehmen. Bezogen auf den Bereich des Führens und Leitens - Führen meint dabei die personale Seite, Leiten die institutionelle - gilt aber auch hier, dass der Führende das Potenzial der Mitarbeitenden erkennen sollte und helfen muss, dieses maximal auszureizen. Daneben gilt es für die Führungskraft, anspruchsvolle Ziele zu definieren und den Mitarbeitenden dabei zu helfen, diese Ziele erreichen können. In beiden Dimensionen, der persönlichen Führung wie der Zielformulierung und -erreichung, tut sich Kirche oft sehr schwer.

Dabei muss jeder Veränderungsprozess in der Kirche heute vorhandene Strukturen und Prozesse berücksichtigen. Und hier spielen synodale Entscheidungsbefugnisse eine wichtige Rolle. Und so sinnvoll diese Partizipationsmodelle auch sind, so wenig effizient, effektiv und zielführend sind sie eben auch manchmal. Ich habe den Eindruck, dass manche Synoden bei der einen oder anderen Personalentscheidung eher kurzfristigen emotionalen Gefühlen oder gar Zufallsauftritten der Kandidaten folgten, als fundierten vordiskutierten langfristigen Entscheidungskriterien. Das muss nicht immer zu letztlich falschen Entscheidungen führen, aber das Risiko, dass das passiert, ist natürlich da.

Peter Barrenstein im Redaktionsgespräch

Und was muss sich im Bereich Führen und Leiten verändern?

Barrenstein: Ich bin im Auftrag der EKD zur Vorbereitung des Themas "Führen und Leiten" einige Zeit durch Deutschland gereist und habe mit zwanzig Führungskräften von sieben ausgewählten Landeskirchen gesprochen - also mit dem Bischof, den leitenden Juristen und den Präsides der jeweiligen Synoden. Ich habe diese Menschen gefragt, ob sie das Thema Führung/Leitung für wichtig erachten, und nachdem ich erklärt habe, worum es ging, war unisono viel Zustimmung da. Bezogen auf eigene Potenziale und auf Verbesserungsmöglichkeiten für unsere Kirche als Ganzes.

Was sind die Ziele?

Barrenstein: Realistischerweise wird es uns natürlich nicht gelingen, innerhalb von wenigen Jahren das Führungsverhalten in der Kirche grundlegend zu verändern - auch darin unterscheidet sich Kirche von einem Wirtschaftsunternehmen. Darüber hinaus wollen und können wir die Führungskräfte und auch die Mitarbeiter nicht zu etwas zwingen. Wir möchten im Ideal eine Situation erreichen, in der die Führungskräfte uns fragen, ob sie endlich auch einmal einen Kurs in der Führungsakademie besuchen dürfen. Führungskräfte sollten sich nicht "im Geheimen" treffen müssen, um darüber zu reden, warum sie ihre Strategien nicht umgesetzt bekommen und was denn gute Veränderungsschritte sein könnten.

Was bedeutet das in Bezug auf die Ausbildung von Pfarrerinnen und Pfarrern?

Barrenstein: Mein Gefühl ist, dass bei dem jetzigen Reformprozess viele theologische Professoren zu wenig eigene konstruktive Vorschläge oder konkrete Anregungen liefern. Das würde ich mir wünschen, zumal die Professoren ja auch großen Einfluss auf die Prägung der jungen Theologen haben.

Und ich würde mir wünschen, dass die Pfarrer einklagen, Vorgesetzte zu haben, die selbst führungstechnisch fortgebildet sind und sich für ihr Motivations- und Leistungspotenzial interessieren. Das klingt trivial, passiert auch durchaus schon, aber es wäre schön, wenn dies zur systematischen Routine werden würde. Hier gute Beispiele zu identifizieren, diese zu kommunizieren und damit positive Zeichen zu setzen, wäre prima.

Wirtschaftswissenschaftler und EKD-Beauftragter Peter Barrenstein

Gibt es Unterschiede beim Führen und Leiten zwischen Kirche und Diakonie?

Barrenstein: In Fragen von Führung und Leitung scheint mir die Diakonie vielerorts schon viel weiter, was sicherlich auch damit zu tun hat, dass sie sich vielfach schon viel länger näher am Markt und an guten Wettbewerbern orientieren muss. Auf der anderen Seite weist bei Diakonie der Bereich "Geistliche Leitung" oft viel Verbesserungspotenzial auf. Deshalb die Idee, Kirche und Diakonie auch im Thema der Weiterentwicklung von Führen und Leiten zu verknüpfen. Derzeit definieren wir das Curriculum. Kirchliche Zielgruppen sind dabei zunächst die obersten Führungsebenen sowie die Superintendenten und vergleichbare Führungsebenen.

Wie soll das Programm der künftigen Führungsakademie aussehen?

Barrenstein: Die derzeitige Führungsakademie in Berlin soll der Nukleus für das zukünftige gemeinsame Kompetenzzentrum Führen und Leiten von Kirche und Diakonie sein. Das bisherige Programm wird dazu ganz grundlegend verändert werden. Im Rahmen des Reformprozesses der Evangelischen Kirche wurde das Thema des Führens und Leitens als eines von zunächst vier strategischen Handlungsfeldern für die Kirche definiert. Wir haben dann nach einer Verortung gesucht und dazu die bestehende Führungsakademie/FAKD in Berlin ausgewählt. Diese Akademie verfügt über erste einschlägige Erfahrungen und eine Infrastruktur; außerdem kann hier die Arbeit mit der Diakonie und ihren Einrichtungen verknüpft werden.

Was wünschen Sie sich von Kirche im Unterschied zu Unternehmen?

Barrenstein: Ich bin kein Theologe, sondern Wirtschaftswissenschaftler. Mein Anspruch an meine Kirche ist es, gemeinsam das Evangelium zu leben, von Hoffnung und Vertrauen zu sprechen und diese Botschaft zu vermitteln. Dabei muss die Institution Kirche - wie es ja zunehmend geschieht - auch neue Wege gehen, um die Menschen zu erreichen, also zum Beispiel das Internet oder soziale Netzwerke nutzen.

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