Die USA haben die Wahl. In wenigen Tagen findet die US-Präsidentschaftswahl statt. Schon jetzt haben viele Wähler ihre Stimmen abgegeben. Sonntagsblatt.de sprach mit Reverend John C. Dorhauer, dem Präsidenten der United Church of Christ (UCC).

Im Interview beschreibt Dorhauer ein gespaltenes Land mit verhärteten Fronten zwischen den politischen Lagern. Er spricht über die aufgeheizte Stimmung und wie seine Kirche eine Wiederwahl Trumps sieht. Darüber hinaus verrät er, wie die UCC mit der Corona-Pandemie umgeht.

Wie würden Sie die aktuelle Situation in den USA kurz vor den Präsidentschaftswahlen beschreiben?

John C. Dorhauer: Es gibt zwei Schlagwörter, mit denen ich die aktuelle Situation in den USA in den Wochen vor den Präsidentschaftswahlen beschreiben würde.

Zum einen ist da Spannung. Für viele, die an die Grundwerte unserer Demokratie glauben, besteht die Befürchtung, dass sie für immer verloren gehen könnte, wenn die derzeitige Regierung wiedergewählt wird. Zum Beispiel haben wir heute die Nachricht erhalten, dass die Trump-Regierung beabsichtigt, die Zahl der anerkannten Flüchtlinge für die USA im Jahr 2021 auf null zu setzen - was bedeutet, dass die USA keinen einzigen Flüchtling aufnehmen würden.

Andere Stellen sprechen von bis zu 15.000, doch es gibt keine verlässlichen Zahlen bisher. Die Beziehungen zu wichtigen Verbündeten auf der ganzen Welt wurden beschädigt. Beziehungen zu Verbündeten, mit denen wir unserer Meinung nach sofort beginnen müssen, wieder Vertrauen aufzubauen. Wenn dieses aber weitere vier Jahre erschüttert wird, befürchten wir einen irreparablen Schaden. Außerdem haben wir wertvolle Jahre der Bekämpfung des Klimawandels verloren und können uns keine weiteren vier Jahre Verzögerung leisten. Das alles hat ein hohes Maß an Spannung bei den Menschen erzeugt, die jetzt vor der Wahl stehen.

Das zweite Schlagwort ist Wut. Die Demokraten sind nicht nur mit republikanischen Wählern in politischen Fragen nicht einverstanden, sie verachten sie und sind wütend. Republikanische Wähler sind auch wütend auf die Demokraten. Vor Kurzem war eine Kirche in New Hampshire von einem Mob auf Motorrädern umgeben, der Obszönitäten rief und Waffen trug. Diese Leute wussten, dass dort liberale Christen ihren Glauben ausleben.

Kirchen, die die "Black Lives Matter"-Bewegung unterstützen, werden zerstört oder mit rechtsradikaler Propaganda besprüht. Menschen, die Masken oder MAGA-Kappen tragen (Make America Great Again), werden in der Öffentlichkeit allein deshalb beschimpft, weil sie diese Sachen tragen.

Ich kann mich nicht erinnern, dass die Menschen je so offen ihren Zorn zeigten.

Wie sieht die United Church of Christ den Wahlkampf beider Kandidaten?

Dorhauer: Die United Church of Christ ist eine sehr offene Gruppe von Christen. Wir füllen das politische Spektrum von links nach rechts aus. Zu sagen, wir hätten eine universelle Perspektive auf die Kampagnen beider Kandidaten, wäre eine grobe Übertreibung.

Trotzdem identifizieren wir uns mit einigen Grundwerten, die für unser Verständnis des Evangeliums wesentlich sind. Wir sind eine Kirche, die volle Inklusion praktiziert. So haben wir die Berufung von Frauen in Kirchenämter und LGBTQ-Mitglieder lange akzeptiert - lange vor anderen Kirchen in den Vereinigten Staaten. Wir unterstützen die Gleichstellung der Ehe, sind starke Befürworter von Umweltgerechtigkeit und Gesundheitsfürsorge für alle, unterstützen die Rassengerechtigkeit und die "Black Lives Matter"-Bewegung. Das sind alles Verpflichtungen, die sich aus unserem Verständnis des Glaubens ergeben.

Wir in der United Church of Christ würden niemals einen der Kandidaten bei der Wahl öffentlich unterstützen.

Unsere einzige Aufgabe besteht darin, die Grundwerte zu zeigen, die uns als Menschen des Glaubens begründen. Wir überlassen es jedem Mitglied, selbst zu entscheiden, welcher Kandidat seine Erwartungen an das Amt besser erfüllt.

Wie wirkt sich das Coronavirus im Moment auf die United Church of Christ aus? Wie war es in den vergangenen Monaten?

Dorhauer: Das Coronavirus nimmt weiterhin einen Großteil unserer Zeit und unserer Aufmerksamkeit in Anspruch, von der örtlichen Kirche bis hin zu unseren nationalen Ämtern. In den vergangenen Monaten haben wir uns darauf konzentriert, sinnvolle neue Wege im virtuellen Raum bezüglich Gottesdiensten oder kirchlichen Angeboten zu schaffen.

Es gab Debatten darüber, unter welchen Umständen eine Ortskirche in ihren Gebetsraum oder ihre Kirche zurückkehren kann oder sollte. Und man stellte sich auch die Frage, wie man die Arbeit in einer Gemeinde durchführt, in der öffentliche Versammlungen gefährlich sind.

Viele kreative Ideen sind in unseren virtuellen Begegnungen entstanden.

Jeden Tag werden neue Wege gefunden und neue Möglichkeiten entstehen. Wir veranstalten jeden Dienstag auf unserer Homepage Webinare für Gemeindearbeiter. Dort erfahren sie von neuen Anpassungen oder Regeln, die uns allen helfen sollen, mit den bevorstehenden Veränderungen fertig zu werden. Auf der einen Seite ist es sehr traurig zu sehen, wie viele Gottesdienste oder kirchliche Veranstaltungen abgesagten werden mussten.

Gleichzeitig freut es mich, dass sich so viele Menschen in virtuellen Räumen versammeln. Wir lernen auch viel Neues kennen, denn die virtuellen Räume schaffen Möglichkeiten, die wir vorher nicht genutzt haben - und das hat uns alle sehr erfreut.

United Church of Christ

Die United Church of Christ (UCC) ist ein Zusammenschluss der ältesten protestantischen Kirchen in den Vereinigten Staaten. Nach eigener Aussage gehören rund 5000 Gemeinden und knapp eine Million Mitglieder der UCC an. Aktueller Präsident ist Reverend John C. Dorhauer.

Im Jahr 2014 vollzog er als Reverend die erste gleichgeschlechtliche Hochzeit zwischen zwei Männern in Arizona. Seit 2015 ist er im Amt.