Ganze vier Seiten umfasste das erste Sonntagsblatt vom 6. November 1945, doch dafür stand Interessantes drin: Der damalige Landesbischof Hans Meiser, der sich sehr früh um eine Lizenz der Militärregierung zur Herausgabe einer Wochenzeitung bemüht hatte, begrüßt die Leser.

Eine Auslegung der Jahreslosung 1945 und die Bibellese dienen der geistlichen Erbauung, ein Aufruf für das Evangelische Hilfswerk und ein Fürbittgebet für die vermissten Soldaten zeugen von der notvollen Nachkriegszeit. Der Bericht vom Jahresfest der Gesellschaft für Innere und Äußere Mission in München ist das einzige journalistische Stück.

Der Preis damals: stolze 40 Pfennige. Das Sonntagsblatt erscheint 14-tägig, zu den Mitarbeitern der ersten Stunde gehörten Gerhard Hildmann, später langjähriger Leiter der Evangelischen Akademie Tutzing, der Schriftsteller Rudolf Alexander Schröder, Adolf Sommerauer und der junge Vikar Robert Geisendörfer, später langjähriger Direktor des Evangelischen Presseverbands.

Drittes Reich: Zwischen kirchlichem Widerstand und Treue zum NS-Staat

Für die evangelische Publizistik in Bayern markierte die Herausgabe des Sonntagsblatts einen Neubeginn. 1941 mussten die bis dahin zahlreich vorhandenen Gemeinde- und Sonntagsblätter in Bayern auf Verordnung der Reichspressekammer ihr Erscheinen einstellen. "Menschen und Material" wurden "für andere kriegswichtige Zwecke" gebraucht, hieß es. Bis dahin hatten die Blätter zwischen kirchlichem Widerstand und Treue zum NS-Staat laviert.

Über die Barmer theologische Erklärung vom 31. Mai 1934 wurde zum Teil ausführlich mit eigenen Korrespondenten berichtet, Adolf Hitler wurde jedoch gleichzeitig als "Werkzeug der göttlichen Vorsehung" im Kampf gegen den Bolschewismus begrüßt.

Nach Georg Elsers gescheitertem Bürgerbräu-Attentat schrieb das Münchner Gemeindeblatt im November 1939: "Der ruchlose Anschlag … ist misslungen. Gottes Hand hat gnädig eingegriffen." Die Herausgabe des Sonntagsblatts durch die bayerische Landeskirche war ein Novum.

Bis 1941 erschienen zahlreiche Gemeindeblätter in bayerischen Dekanaten, in einem Privatverlag das Rothenburger Sonntagsblatt. Die Landeskirche besorgte also bei der amerikanischen Militärregierung die Lizenz, delegierte den Auftrag zur Herausgabe jedoch sofort an den Evangelischen Presseverband für Bayern (EPV). Dieser wichtige Schritt garantierte zwar nicht die absolute journalistische Unabhängigkeit, aber mindestens eine räumliche und personelle Distanz zum Landeskirchenamt.

Nach dem Krieg: Bedürfnisse eines "geistlich ausgehungerten Volkes"

Auch verlegerisch war Meisers Neugründung ein Coup: Die ab 1949 mit einer Generallizenz erscheinenden Gemeindeblätter wurden nach und nach in das neue bayerische Sonntagblatt integriert.

"Das neue Blatt sollte ein Band werden, das alle Gemeinden unserer Landeskirche umschließt und Stadt und Land, Einheimische und Heimatvertriebene miteinander verbindet", begründete EPV-Direktor Robert Geisendörfer die verlegerische Zielrichtung.

Wirft man einen Blick auf die vergangenen 75 Jahre, so hat sich diese Zeitung in jedem Jahrzehnt neu profiliert: In den 40er-Jahren war das Sonntagsblatt ein Besinnungsblatt und traf damit nach dem Krieg die Bedürfnisse eines "geistlich ausgehungerten Volkes", wie Meiser in seinem Grußwort in der Nr. 1/1945 schrieb.

1. Ausgabe Sonntagsblatt 6. November 1945
Sonntagsblatt Ausgabe vom Advent 1947
Sonntagsblatt Ausgabe vom 8. Februar 1970
Sonntagsblatt Ausgabe vom 11. Juni 1972
Sonntagsblatt Ausgabe vom 14. November 1982
Sonntagsblatt Ausgabe vom 8. Februar 2004
Sonntagsblatt Ausgabe vom 17. Oktober 2004
Sonntagsblatt Ausgabe zum 60. Jubiläum vom 16. Oktober 2005

In den 50er-Jahren nahm der Anteil an journalistischen Stücken gegenüber den rein verkündigenden Texten auffällig zu. In dieser Phase wurde das Sonntagsblatt zum journalistischen Forum des bayerischen Protestantismus. In den 60er-Jahren öffnete sich das Sonntagsblatt für aktuelle gesellschaftspolitische Themen.

75 Jahre Sonntagsblatt: Politik und Zeitgeschehen aus christlicher Warte

Das Sonntagsblatt fing an, Politik und Zeitgeschehen aus christlicher Warte zu deuten. Diese Entwicklung war nicht schmerzfrei – es gab heftige innerkirchliche Widerstände. Herausgeber Richard Kolb erhob eine "faire Darstellung" der innerkirchlichen und allgemeinpolitischen Probleme zum Redaktionsprinzip. Dagegen regte sich heftiger Widerspruch aus konservativen Kreisen.

So bildete sich in München ein "Arbeitskreis Gemeindeblatt", der mehrfach mit ausgeschnittenen Sonntagsblatt-Artikeln in der Redaktion erschien und von den Journalisten verlangte, derart "zersetzende Beiträge" künftig nicht mehr zu veröffentlichen.

Intensiv wurde zwischen Herausgeber, Redakteuren, konservativen Theologen und Laien diskutiert, wie viel Pressefreiheit einem Kirchenblatt zugestanden werden könne. In den 70er-Jahren erfuhr das Sonntagsblatt einen Modernisierungsschub.

Mit großen Fotos nahm der illustrative Charakter zu, längere Reportagen kamen ins Blatt – die zeitgemäße Form der Beschreibung dessen, was in Kirche und Gesellschaft geschah. Es war die Zeit der Kontroversen innerhalb der bayerischen Landeskirche.

Das Sonntagsblatt war mit seinen Berichterstattern und Redaktionsleiter Helmut Winter dabei, als die Theologinnen um ihre Gleichberechtigung kämpften. Es war spannend, wie junge Engagierte als "kritische Begleitung der Synode" (kribs) im Frühjahr 1969 erstmals bei der Synodaltagung in Bayreuth auftauchten.

Unter den kribs-Aktivisten war auch der spätere Landesbischof von Loewenich. In den 80er-Jahren ragten die kommentierenden Stücke heraus. Der gelernte Kulturjournalist Friedrich Kraft stärkte das Feuilleton. In den 90er-Jahren war es die besondere Form des theologischen Essays, die das Sonntagsblatt auszeichnete. Chefredakteurin war Johanna Haberer.

Sonntagsblatt ab 1995 im Internet

1995 war das Sonntagsblatt als erste kirchliche Publikation im Internet präsent. In den 2000er-Jahren wurde das Sonntagsblatt zu einem Wochenmagazin weiterentwickelt. Beobachter bemerken eine leichte Boulevardisierung, auf jeden Fall eine starke Personalisierung der Themen. Menschen mit ihren Glaubens- und Lebensgeschichten prägen das Profil.

2005 startete die erfolgreiche THEMA-Reihe mit monothematischen Magazinen. Die 2010er-Jahre schließlich brachten neue Rubriken und Serien, wie etwa die Reihe "Kreative Gemeinde" mit Reportagen von der Kirchenbasis. Mit den Glaubenskursen "Basiswissen Christentum" konnten neue Leserinnen und Leser gewonnen werden.

Seit 2009 ist das Sonntagsblatt auf Facebook präsent. Wohin führt der Weg? Die Publizistik der Zukunft wird von einigen Megatrends bestimmt: der rasanten Revolution der Informations- und Kommunikationstechnik, der Globalisierung – und ihrem Gegentrend, der Regionalisierung, und das zunehmende Bedürfnis nach Sicherheit und Werteorientierung in einer komplexer werdenden Gesellschaft. Diese Trends bedingen und verstärken sich gegenseitig.

Im gegenwärtigen Wandel der Medienwelt liegen die Chancen einer evangelischen Wochenzeitung in den Begriffen "Beheimatung" und "Wertevermittlung".

Fragen zum Verständnis der Bibel und theologische Fragen stehen im Leserinteresse ganz oben. Kontroverse Debatten kommen in Gang, sobald es um Abendmahl und Eucharistie geht, Schöpfung und Evolution, oder wie der Tod Jesu zu verstehen ist. Hier bietet das Sonntagsblatt Orientierung und Anregungen, den eigenen Horizont zu erweitern.

Manchen Leserinnen und Lesern ist dieser Horizont zu weit, dann wird der Chefredakteur an Schrift und Bekenntnis erinnert. Die heftigen Rückmeldungen auf Glaubensfragen verraten natürlich auch etwas über unsere Leser: Sie suchen Orientierung und schätzen es – wenn das christliche Menschenbild bedroht ist –, dass dann das Sonntagsblatt auch einmal zum christlichen Kampfblatt wird.

Presselizenz Nr. 7: Eine unabhängige Publizistik

Was bei anderen Medien ein Zielgruppenproblem ist, ist beim Sonntagsblatt durchaus erwünscht: Progressive diskutieren mit Evangelikalen, Ökumeniker mit orthodoxen Lutheranern, Israelfreunde mit den Unterstützern der christlichen Palästinenser. Was sie an unserem Blatt schätzen?

Dass sie sich auch ab und zu über die jeweils andere Seite so richtig ärgern können. Es war eine gute Entscheidung, dass der Landeskirchenrat 1945 die Presselizenz Nr. 7 der Militärregierung zur Herausgabe einer evangelischen Wochenzeitung an den Evangelischen Presseverband weitergegeben hat. Es ist eine großartige Sache, dass die evangelische Kirche eine strukturell unabhängige Publizistik bejaht und fördert.