Herr Rebetge, Sie wirkten die vergangenen Jahre in Manchester. Wie läuft es in Sachen Kirchenmusik in England. Entspannter als in Deutschland?
Alexander Rebetge: Ich glaube, "entspannt" ist der falsche Begriff. Die Kirchenmusik funktioniert anders in England als in Deutschland. Was jeweils in anderen Vor- und Nachteil mit sich bringt. Und ich finde, aus beiden Welten kann man was voneinander mitnehmen. Mir persönlich hat es viel gegeben, jeden Sonntag zum Gottesdienst zu gehen und zu musizieren, als praktizierender Christ, Organist und vor Allem als Dirigent. An meiner Kirche habe jeden Sonntag zwei Gottesdienste dirigiert und beinahe wöchentlich Orgelkonzerte gespielt; das ist schön und inspirierend, aber auch eine Herausforderung. In Nürnberg werden an St. Sebald natürlich andere Schwerpunkte in den Vordergrund treten. Zum Beispiel der Ausbau unserer Kinder- und Jugendchorarbeit.
Sie sind mit gerade mal 30 Jahren schon recht weit herumgekommen. Wie kamen Sie zur Musik?
Alexander Rebetge: Ja, es ist schon viel passiert. Ich bin sehr dankbar für die verschiedenen Erfahrungen. Wenn ich jetzt nach Nürnberg komme, schließt sich ein bisschen ein Kreis. Der Vater meiner Patentante war evangelischer Pfarrer in Heroldsberg, und begnadeter Kirchenmusiker. Bei ihm saß ich einmal, als ich wirklich noch ganz klein war, auf dem Schoß und durfte auf der Orgel ein paar Tasten drücken. Das hat mich total gepackt, dann wollte ich unbedingt Orgel lernen. Ich habe dann im Alter von elf Jahren mit dem Orgel spielen angefangen, ein bisschen früher Klavier. Und irgendwann hat sich dann bei einem Brahms-Requiem für mich der Wunsch herauskristallisiert, dass ich dirigieren möchte. Dann habe ich Kirchenmusik in Berlin studiert und war zwischendrin auch noch Sänger bei den Münchner Chorbuben, zudem im Jugendchor im musischen Gymnasium. Im Anschluss kam ich nach Windsbach als Chorleitungsassistent unter Martin Lehmann. Nach seinem Weggang habe ich beschlossen, dass für mich die Zeit gekommen ist mir zwei Träume zu erfüllen: Orchesterdirigent werden und ins Ausland zu gehen.
Warum wurde es England?
Alexander Rebetge: Das besondere an der Hochschule in Manchester, dem Royal Northern College of Music ist, dass sie ein kombiniertes Masterstudium im Chor- sowie Orchesterdirigieren anbietet, was es in dieser Form anderenorts nicht gibt. Wir standen fast jede Woche auf dem Podium vor einem Ensemble, mit Chören, Orchestern und Kammerensembles, Amateuren, Profis und Kindern. Dabei wir haben sämtliche Epochen und Genres mit diesen Gruppen studiert: von Barock bis zur Zeitgenössischen Musik, von Oper über Oratorium zur Orchester Symphonik und a-cappella Chormusik. Meine Abschlussprüfung habe ich, unter Anderem, mit den BBC Philharmonic Orchestra machen dürfen, einem Berufsorchester, das einen international anerkannten Ruf genießt. Zudem boten sich weitere fantastische Möglichkeiten wie ein Konzert mit dem berühmten Bariton Roderick Williams oder eine Assistenz bei den BBC Proms in London. Das sind einmalige Erfahrungen, von denen ich sehr profitiert habe. Daneben hatte ich noch eine halbe Kirchenmusikstelle parallel zum Studium. Und jetzt hat es sich ergeben, nach Nürnberg zu gehen.
Vor rund 330 Jahren hieß einer ihrer Vorgänger an St. Sebald kein Geringerer als Johann Pachelbel. Gehört er zu Ihren Favoriten als Komponist oder haben Sie ganz andere Vorlieben?
Alexander Rebetge: Die Liste meiner Lieblingskomponisten ist lang, und sie ist auch sehr vielfältig. Pachelbel ist auch auf der Liste. Seine Choralpartita "Was Gott tut das ist wohlgetan" begleitet mich schon lange und ich höre und spiele sie immer gerne.
In meiner Tätigkeit als Organist und Dirigent lernt man Musiksparten mit jedem neuen Stück noch besser kennen und ich verliebe ich jedes Mal aufs Neue in die Musik. Derzeit beschäftige ich mich viel mit Alter Musik. Hier in Manchester habe ich versucht, Bach in meine akademische Arbeit hineinzustreuen. In England wird Bach leider nicht so oft aufgeführt, da habe ich versucht, neue Akzente zu setzen. Ich habe in meinem zweiten Prüfungskonzert eine Bachkantate dirigiert, die ich neu ebenfalls editiert habe. In meiner Chorarbeit ist mein großes Steckenpferd ein reicher, warmer A-Capella-Chorklang. Dieser Klang ist sehr ausdrucksstark und das will ich unbedingt in meine Arbeit mitnehmen.
Auf welche ungewohnten Klänge darf man sich denn freuen?
Alexander Rebetge: Die übliche Chorsymphonik ist natürlich fantastisch. Chor und Orgel zusammen, wird in der Musikwelt, meiner Meinung nach immer ein bisschen belächelt. Ich dachte auch lange, das will ja keiner hören. Aber diese Musik hat nicht nur eine Tiefgründigkeit, für sie sprechen auch pragmatische Gründe. Man kann sie in den Gottesdienst gut einbauen, weil man kein Orchester benötigt, und es gibt dafür sehr viel Literatur, die einfach grandios ist. In meiner Arbeit an St. Sebald möchte ich ein breiteres Spektrum an Kirchenmusik abbilden, angefangen beim Oratorium über A-cappella Musik, aber dann eben auch mit Orgelbegleitung. Dazu Messvertonungen. Oder es gibt eben auch Passionen für Orgel und Chor, romantische Werke, die wirklich auch was hermachen. Zudem habe ich mir ein besonderes Ziel gesetzt: eine Gesamteinspielung der Pachelbel-Werke. Es ist ein hoch angesetztes Ziel. Aber wenn man es nicht an St. Sebald macht, wo dann?
Mit Ihrem Kommen soll auch die Nachwuchsarbeit intensiviert werden. Mit Matthias Stubenvoll haben Sie einen erfahrenen Mann für die Jugendkantorei an Ihrer Seite. Was haben Sie sich da vorgenommen?
Alexander Rebetge: Ich denke, es ist wichtig und eine große Chance für die klassische Chormusik, dass wir als Kantorei oder als Singschule dafür eintreten, Kinder, Jugendliche und Erwachsene intensiv im Gesang auszubilden: hochqualitativ und hochkarätig. Auf der anderen Seite wollen wir trotzdem für Alle zugänglich sein und jedem die bestmögliche Ausbildung, abgestimmt auf das eigene Können, anbieten. Mit diesem Bildungsspektrum können wir dann der Stadtgesellschaft entgegenkommen und mit der musikalischen Ausbildung einen bedeutsamen Beitrag leisten. Als kirchliche Einrichtung stellen wir unser Musizieren aber auch unter ein gemeinsames Motto: Singen zum Lobe Gottes. Dabei darf und muss man aber auch anspruchsvoll sein. Die Kinder und Jugendlichen sind es meiner Erfahrung nach ja auch: Sie wollen am Ende stolz auf Ihre Leistung sein, die sie sich hart erarbeitet haben. Das ist in etwa wie beim Sport. In jedem professionellen Verein gibt es Teams für Anfänger, Amateure und viele mehr. Es gibt ebenfalls eine Ausbildungsschiene, für Alle, die weiterkommen wollen und für die Fußball eine Leidenschaft ist, Spielen die Leistung bringen wollen. Dann gibt es aber auch ein paar Leute, die wie ich auf dem Rasen eher ein Hindernis sind. Aber das muss nicht heißen, dass jemand wie ich nicht genießen darf, in der Gruppe Fußball zu spielen. So ähnlich sehe ich das mit dem Singen im Chor und so ist auch meine Vision für das Singen mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen an St. Sebald. Ich bin daher sehr dankbar mit Matthias Stubenvoll einen erfahrenen Kollegen in der Kinder- und Jugendchorleitung an meiner Seite zu haben, mit dem wir diesen Aus- und Aufbau weiter vorantreiben können.
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