Eigentlich wollte die Kirchengemeinde den Menschen mit dem Glockenläuten doch nur eine Freude machen, sagt der evangelische Pfarrer Roland Thie. Beim gemeinsamen Public Viewing der EM-Spiele in der Kirche St. Jakob im mittelfränkischen Feucht sollte jeder deutsche Treffer mit einem kurzen Glockengeläut begleitet werden.
"Nach zweieinhalb Jahren Renovierung des Glockenstuhls haben die Menschen diesen Klang vermisst", berichtet Thie. Inzwischen hat die Gemeinde das Experiment jedoch beendet. Offenbar war der kirchliche Torjubel - immerhin hat Deutschland gegen Schottland fünf Tore geschossen - einigen zu viel.
Landeskirche zeigt EM-Geläut die Rote Karte
Nach dem Spiel gegen Schottland hinterließ jedenfalls ein anonymer Anrufer eine Beschwerde sowohl auf dem Anrufbeantworter des Pfarramts in Feucht als auch bei der Landeskirche. Von "Aprilscherz" und "Blasphemie" sei die Rede gewesen, sagt Thie. Kurze Zeit später meldete sich auch schon die Landeskirche. Das Ergebnis: Sie zückte die rote Karte und erteilte dem EM-Geläut einen Platzverweis. "Ich wurde gebeten, die Gemeinde und Lokalpresse über das Verbot zu informieren. Das habe ich dann getan", schildert Thie.
Die Landeskirche begründet ihren Einwand mit Verweis auf die Läuteordnung, die besagt, dass Kirchenglocken nur zum Gebet und Gottesdienst läuten dürfen. Auf Anfrage des Sonntagsblatts teilt die Landeskirche mit, dass die Läuteordnung durch ein Dekanatsrundschreiben im Jahr 2018 konkretisiert wurde. Liturgisches Glockenläuten sei gesetzlich geschützt, ein Läuten "zu anderen Zwecken" bedürfe der "sorgfältigen Abwägung". Diese "anderen Zwecke" sollten jedoch eine Ausnahme bleiben.
"Es wurde weder argumentiert noch nachgefragt, sondern eine Dienstanweisung ausgesprochen", bedauert Thie. Einen Austausch habe es nicht gegeben. Er versichert, dass er keinen "Klamauk" mit dem Glockengeläut veranstalten wollte, er kenne die Läuteordnung.
Läutverbot: Kleinlich oder sinnvoll?
Eine Frau aus der Gemeinde bezeichnet das landeskirchliche Verbot als "kleinlich". "Die Glocken hätten mit dem vergangenen EM-Spiel innerhalb von neun Tagen insgesamt achtmal geläutet", sagt sie. Das sei ihrer Meinung nach keineswegs blasphemisch.
"Die Kirchenmitglieder laufen uns weg. Da braucht es eine Kirche, die auf sie zugeht."
Dekanin Veronika Zieske aus Altdorf äußert ebenfalls Verständnis für das Grundanliegen, Kirche "offen" und auch mal "locker" in die Lebenswelt der Menschen zu bewegen. Den Hinweis auf die Regeln zum Kirchenläuten hält sie aber für nachvollziehbar und sachlich angebracht. "Die Läuteordnung hat ja durchaus ihren Sinn", betont Zieske. Sonst gerate man schnell in Erklärungsnot, warum bei dem einen Anlass geläutet werde und bei einem anderen nicht.
Martin Pudelko, Vertrauensmann im Kirchenvorstand, zeigt sich überrascht über die hitzige Debatte ums EM-Geläut. "Das ist einfach schade", sagt er.
"Die Kirche sollte sich besser durch positive Schlagzeilen hervorheben, gerade nach den Negativmeldungen der letzten Jahre."
Die Gemeinde habe das Läuten schließlich befürwortet. Die Aktion habe in einem sozialen Rahmen stattgefunden und sei von den meisten Menschen als positiv empfunden worden, sagt Pudelko. Auch wenn Kirche "keine Spaßveranstaltung" sei, habe das EM-Geläut die grundsätzliche Ordnung nicht infrage gestellt.
Dekanin Zieske appelliert, das Thema nicht aufzubauschen. Sie räumt ein, dass sie die Entscheidung zum Glockenläuten bei der EM selbst nicht so getroffen hätte. Das Tore-Läuten habe lediglich die Freude der Feuchter Gemeinde über ihre frisch renovierten Glocken zum Ausdruck bringen sollen. Womit offenbar niemand in Feucht gerechnet hatte: dass Deutschland in drei Spielen acht Tore schießt - und das Glockengeläut entsprechend oft zu hören war.
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