Das vergangene Wochenende waren sie in den Familien ihrer deutschen Austauschpartner. Nun geht es für eine Gruppe lutherischer Jugendlicher aus El Salvador in den Endspurt ihres Aufenthalts in Bayern und Deutschland: zunächst ins "Außenministerium" der evangelischen Kirche in Bayern, das Partnerschaftswerk "Mission EineWelt" in Neuendettelsau, anschließend weiter nach Wittenberg, weil bei einem Deutschlandbesuch im Reformationsjubiläumsjahr 2017 die Lutherstadt nicht fehlen darf.
25 Morde – jeden Tag
Bis in die Zeit des blutigen Bürgerkriegs reichen die Wurzeln der Partnerschaft zwischen der Evangelischen Jugend München (EJM) und der lutherischen Jugend in El Salvador. Über 70 000 Menschen wurden damals, zwischen 1981 und 1992, getötet.
Der Bürgerkrieg liegt lange zurück, aber Frieden herrscht noch immer nicht im kleinsten Land Zentralamerikas. Kriminelle Banden – sogenannte Maras – und die Polizei bekämpfen sich erbittert. Experten sprechen von dem Land bereits als "gescheitertem Staat".
Die Zahlen verschlagen einem die Sprache: In Deutschland mit über 80 Millionen Einwohnen gibt es jährlich rund 350 Morde. In El Salvador, so groß wie Hessen mit rund 6,5 Millionen Einwohnern, sind es 25 – pro Tag. Im kleinen El Salvador fallen also in zwei Wochen so viele Menschen Gewaltverbrechen zum Opfer wie in Deutschland in einem ganzen Jahr.
Mord und Totschlag sind nicht normal
Kein Wunder, dass die Jugendlichen aus beiden Ländern sehr unterschiedliche Alltagserfahrungen mitbringen. Betroffenheit herrscht, als Laura (20) erzählt, wie ihre Großeltern – beide lutherische Pfarrer – ermordet wurden. Und Ricardo (24) musste die Wohnung wechseln, weil er vor Bandenmitgliedern seines Lebens nicht mehr sicher war.
Offiziell besteht die Partnerschaft mit El Salvador seit 1992, seit inzwischen 25 Jahren. 2011 wurde sie bestätigt und ausgeweitet. Zuletzt war 2014 eine Gruppe von Münchner Jugendlichen in dem mittelamerikanischen Land. Nun sind neun salvadorianische Jugendliche mit Jugendpfarrer Vladimir Hernandez zum Gegenbesuch da, begleitet von neun deutschen Jugendlichen und jungen Erwachsenen wie Vanessa (25) aus München.
"Wir haben geheult, als wir ihren Geschichten zuhörten", berichtet Vanessa, die 2014 in El Salvador dabei war. "Da erst haben die ›Salvos‹ realisiert, dass ein solches Leben nicht normal ist." Charlotte (18), auch aus München, stellt fest: "Ich glaube, wir können uns das gar nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, in solcher Unsicherheit zu leben."
Freundschaft auf Augenhöhe
"Ich habe einige Tage gebraucht, um zu begreifen, dass ich hier in Sicherheit bin und auch nachts draußen sein kann", bestätigt Fernando (23), der ebenfalls zur Gruppe gestoßen ist. Fernando ist der erste Freiwillige, der über Mission EineWelt aus El Salvador nach Deutschland kommt – er arbeitet als Freiwilliger im Kindergarten der Münchner Innenstadtgemeinden Kreuzkirche und St. Markus.
Umgekehrt erleben auch die "Salvos", dass in Deutschland längst nicht alles paradiesisch ist. Aber wenn sich Salvadorianer und Deutsche in der Gruppe vorstellen und über drei Wochen hinweg immer besser kennenlernen, offen, persönlich, mitunter intim von ihren Familien, Freunden und Lebensentscheidungen erzählen, dann begegnen sich – trotz der verschiedenen Welten, aus denen sie kommen – ganz einfach junge Menschen auf Augenhöhe, die zu Freunden geworden sind.
EL SALVADOR
Das mittelamerikanische Land El Salvador ist etwa so groß wie Hessen (21.040 km2). Es hat rund 6,5 Millionen Einwohner, von denen gut eine Million in der Hauptstadt San Salvador leben. Über zwei Millionen weitere Salvadorianer leben in Mexiko und den USA, viele von ihnen illegal.
Das kleinste der mittelamerikanischen Länder ist römisch-katholisch geprägt. Nur mehr gut die Hälfte der Salvadorianer ist heute allerdings noch katholisch. Rund ein Drittel der Bevölkerung gehört einer der schnell wachsenden evangelikalen Freikirchen an.
El Salvador gehört zu den Ländern mit den meisten Morden weltweit. Die Rate gewaltsamer Tötungen lag im Jahr 2015 bei 105 Menschen pro 100.000 Einwohner. Der weltweite Durchschnitt bei Tötungsdelikten liegt bei 6,2 pro 100.000.
LUTHERISCHE KIRCHE EL SALVADORS
Charismatischer Übervater
Medardo Gómez, Bischof der "Iglesia Luterana Salvadoreña" (ILS), ist ein Symbol der Bürgerkriegszeit: Nach der Ermordung des katholischen Erzbischofs Oscar Romero 1980 zog der lutherische Theologe als "prophetische Stimme des Volkes" immer mehr Aufmerksamkeit auf sich, auch international. Als Gómez 1983 von rechten Todesschwadronen verschleppt wurde, löste dies eine weltweite Welle von Protesten aus. Gómez kam frei und wurde Bischof der kleinen lutherischen Kirche, die nach eigenen Angaben heute in 62 Gemeinden rund 20 000 Mitglieder zählt. Gomez ist inzwischen 72 Jahre alt, aber ein Nachfolger ist im Schatten des charismatischen Übervaters nicht in Sicht.