Ein Sonntagvormittag im August, am Altmühlsee. Es ist ein Ferientag fast wie aus dem Touristenprospekt, und entsprechend hoch ist die Radlerdichte auf dem Uferweg von Gunzenhausen zur Vogelinsel bei Muhr am See. Urlauber haben offene Herzen, heißt es, und tatsächlich haben sich rund 100 von ihnen unter einer stattlichen Eiche versammelt, die auf einem kleinen Hügel am Ufer Schatten spendet, um einen Gottesdienst zu besuchen. Die Bänke sind seltsam abgesägt, das gehört zur Geschichte.

Punkt elf klingt das Gebimmel eines zierlichen Glöckchens über den See.

So mag es sich angehört haben, wenn anno dazumal der Amtsbote mit der Handschelle durchs Dorf zog und die neuesten Nachrichten verlas. Hier aber tönt es aus dem Dachreiter eines knallgelben Schäferwagens, der neben der Eiche geparkt ist. Die Türen des Wagens sind weit geöffnet, vor ihm steht ein Tisch mit Kerzen, einem Holzkreuz, einer Bibel. Der Hirte im schwarzen Talar wartet auf seinen ersten Einsatz.

Die Idee für die Schäferwagenkirche wurde vor Jahresfrist bei der Gunzenhäuser Altmühlschau geboren, einer regionalen Verbrauchermesse. Dort präsentierte der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt seinen zur "Kirche vor Ort" umfunktionierten hellblauen Bauwagen. Weil im Altmühltal die Schäferei lange Tradition hat und im nahen Ries zwei Zimmereien schon seit Jahren die Republik mit individuell-nostalgisch gefertigen Schäferwagen als mobile Gartenhäuschen, Verkaufstheke oder Spielplatzunterkunft versorgen, war der gedankliche Weg zu einer "mobilen Kapelle" (Dekan Gerhard Schleier) auf Schäferwagenbasis nicht weit.

Dass die Idee ganz neu war, erwies ein Blick in die Internet-Suchmaschine "google": Dort war der Suchbegriff "Schäferwagenkirche" trefferfrei. Nun wird sich das ändern.

Nächtelang bastelten Schleier und ein Team um Dekanatsjugendreferent Frank Schleicher im Dekanskeller an einem Modell, tüftelten an technischen Problemen und entwarfen Einsatzmöglichkeiten. Die Gretchenfrage: Was macht einen Schäferwagen deutlich sichtbar zur Schäferwagenkirche? "Eine Kirche hat einen Turm, und unsere Schäferwagenkirche auch", betonte Schleier bei der Präsentation des Modells. Der ist zwar aus statischen Gründen niedlich klein, aber er hat Platz für eine Glocke.

Am 1. Mai feierten 250 Gäste am Brombachsee die Kirchweih der ersten drei Schäferwagenkirchen. Gut 13.000 Euro hat jede von ihnen gekostet - inklusive Inventar. Sonnensegel, Altartisch, Lautsprecheranlage und (abgesägte, weil besser unterzubringende) Bierbänke machen sie zu vollkommen autarken Seelsorgemobilen.

Am Altmühlsee hat der Gottesdienst mit Posaunenmusik begonnen.

Ohne die Bläser, die heute aus dem nahen Muhr kommen, wäre die Veranstaltung nur die halbe Miete - unten am Radweg bleiben die Leute jetzt stehen, schieben hinauf zur Eiche, setzen sich dazu. Andere pfeifen beim Wegfahren den Choral nach. Die Leute singen aus einem landeskirchlichen Liederbüchlein, das den Titel "Lieder für Berggottesdienste" trägt, obwohl der Eichenhügel auch bei nachsichtiger Betrachtung nicht als Berg taugt (wie übrigens fast alle Gottesdienstplätze im fränkischen Grünen). Manche liegen auf Picknickdecken, andere lehnen an ihren Rädern.

Vor den offenen Schäferwagentüren bringt Wolfgang Schulze, Ruhestandspfarrer aus Berlin und zum zweiten Mal Urlauberseelsorger im Seenland, in seiner Predigt über die Wahl der sieben Armenpfleger (Apostelgeschichte 6, 1-7) prompt den Sinn der neuen Form von Kirche unter:

"Wenn die Menschen nicht mehr zu uns in unsere schönen Kirchen kommen, dann müssen wir zu ihnen gehen. Hier gibt es keine Schwellenängste."

Genau darum ging es den Schäferwagenhirten vom Seenland von Anfang an: ein Werbeträger, natürlich, der als Blickfang taugt und die Gäste zum Freiluftgottesdienst lockt, aber eben auch ein rollendes Sprechzimmer, dessen charmant bescheidenes Daherkommen zum Gespräch mit den Urlauberpfarrern einlädt, vor allem dann, wenn die Wagen unter der Woche auf die Campingplätze gefahren werden. Die gelbe Schäferwagenkirche vom Altmühlsee etwa steht montags auf dem Campingplatz in Schlungenhof und dienstags im Seezentrum Wald. Vor allem bei schlechtem Wetter ist dann Urlauberseelsorger Schulze gefragt. "Auf den Campingplätzen kommt man sehr schnell an die Leute ran", weiß er aus mancherlei Erfahrung.

Die rote Kirche, die vor allem als Hauskapelle des Jugendhauses von Ramsberg am Brombachsee dient, war schon in Pappenheim, auf dem Gunzenhäuser Kirchplatz oder beim Kreisfeuerwehrfest im Einsatz. Eine dritte, wieder gelb, dient als logistisch-geistliche Basis für die Seegottesdienste am Brombachsee.

Himmel, Erde, Luft und Meer zeugen von des Schöpfers Ehr

So haben sie am Altmühlsee eben noch gesungen, zum Vaterunser klingt noch mal das Glöcklein, dann verlaufen sich die Teilnehmer wieder in ihren sonnigen Ferientag. Jenseits des Eichenschattens war es zum Schluss recht heiß, aber das haben sie weggesteckt: Hildegard und Bernhard Lerchenmüller etwa aus Kaufbeuren, die sich vom Anblick der frei stehenden Schäferwagenkirche ebenso zum Kommen hatten inspirieren lassen wie Josef und Inge Anetseder aus Passau, übrigens alle Katholiken. "Bei uns gibt's Freiluftgottesdienste nur zur Sportplatzeinweihung", sagt Anetseder. Aber auch die Einheimischen haben ihre jüngsten Dekanatskirchen schon ins Herz geschlossen - Claus Dürsch ist eigens aus Gunzenhausen herübergeradelt, und auch Rita Schneider aus Muhr liebt die "schöne Abwechslung": "Hier geht es so menschlich zu."

Zehn Minuten später sind Bierbänke und Bibel gut verstaut und die Schäferwagenkirche zum Weitertransport bereit. "Jesus ist auch rumgezogen", sagt Urlauberpfarrer Schulze: "Daran sollten wir immer denken."