Milch, etwas Salz, Muskatnuss, ein Lorbeerblatt, eine Gewürznelke, dazu Eigelb, Sahne, Brot und etwas Butter – eine gute Handvoll Zutaten, mehr braucht es nicht für die »Kappeler Milchsuppe«. Entscheidend ist zudem der Hinweis, gemeinsam aus der gleichen Schüssel zu essen. Nur die Brotwürfel bleiben auf der eigenen Seite.

Mit diesem Rezept ist man mittendrin auf der Spurensuche nach dem Schweizer Ulrich (Huldrych) Zwingli (1484-1531), der wie später Johannes (Jean) Calvin (1509-1564) den reformatorischen Gedanken Martin Luthers (1483-1546) im 16. Jahrhundert bei den Eidgenossen verbreitete. Nach seiner Ausbildung erhielt Zwingli mit 22 Jahren die Priesterweihe. In Zürich wirkte er ab 1519 als Prediger am Großmünster, als Sozialreformer und Politiker und schob so die Zürcher Reformation an, die ab 1523 in der deutschsprachigen Schweiz ihren Durchbruch fand – mit Ausnahme der Innerschweizer Kantone.

Musikalisch wie Luther

Zwingli starb im Zweiten Kappeler Krieg in der Albis-Bergkette, der aufgrund der Erfolge der protestantischen Bewegung entbrannt war. »500 Jahre Reformation« sind daher auch in der Schweiz ein bedeutendes Thema. Mit vielfältiger Aufbereitung: Das Rezept der Milchsuppe ist ein kleines Detail der Ausstellung über Zwinglis Weg zum Theologen und seine Wirkung auf die reformatorische Bewegung. Die Schau im Zwingli-Zentrum Toggenburg ist Teil der Erinnerung an den Reformator in seinem Geburtsort Wildhaus. Sie widmet sich dem Leben und Wirken Zwinglis, der Zürcher Reformation und der Familienforschung.

Zwinglis Geburtshaus wurde vom Vater, einem Kaufmann und Ammann, mit großem Lagerraum um 1450 in aufwendiger Holzbauweise errichtet. Es wird heute als Museum liebevoll gepflegt, wenn auch teils karg eingerichtet – es scheint der Persönlichkeit Zwinglis angemessen und wirkt eindrucksvoll.

Programmatische Spielerei mit dem Vornamen

Die Handelsreisen seines Vaters Johann Ulrich führten bis in die Lombardei. Ihren Sohn ließen er und seine Frau Maria im Gedenken an den Augsburger Heiligen Ulrich taufen. Erst später änderte Zwingli selbst seinen Vornamen in Huldrych (auch Huldreich oder Huldrich) – vermutlich in einer volksetymologischen Spielerei des humanistisch gebildeten Reformators und entgegen der sprachwissenschaftlichen Etymologie, wonach Ulrich von althochdeutsch uodal »Erbbesitz« und rich »mächtig« abgeleitet ist.

Die Zwinglis waren eine kinderreiche Familie, teilweise lebten in dem Haus in Wildhaus bis zu 13 Personen. Aber schon im Alter von nur sechs Jahren verließ es Zwingli: Vier Jahre lang sorgte sein Onkel, Dekan Bartholomäus Zwingli, in Weesen für seine Ausbildung. 1494 wechselte er an die Lateinschule in Basel und später an die Lateinschule in Bern.

Wegen seiner großen Musikalität hätten ihn dort die Dominikaner gern in ihr Kloster aufgenommen, doch sein Vater war dagegen. So begann Zwingli mit 15 ein Studium an der Universität Wien; dort schrieb er sich als »Udalricus Zwinglij de Glaris« ein.

Von 1502 bis 1506 studierte er an der Universität Basel und legte dort das Magisterexamen ab. Danach studierte er noch sechs Monate Theologie und wechselte danach wie viele seiner Zeitgenossen ohne abgeschlossenes Theologiestudium in die kirchliche Praxis. Im September 1506 wurde er zum Priester geweiht.

Die Geburt Graubündens

Beinahe wäre Zwinglis baufälliges Geburtshaus im 19. Jahrhundert abgerissen worden. Doch 1848 sorgten die »Zwinglianische Gesellschaft Wildhaus-Alt St. Johann« und der »Zürcher Zwingliverein« für seine Rettung vor dem Abriss. Neben der Architektur aus Fichtenholz und Decken-Schnitzereien sind auch Bibelausgaben zu betrachten, darunter die Faksimile-Edition der Zürcher Bibel von 1531.

Zudem verdeutlicht einfaches liturgisches Abendmahlsgerät – Becher und Schale aus Holz – die puristische, am Wort der Bibel allein orientierte Ausrichtung Zwinglis. Seit vergangenem Jahr ist auch ein historischer Garten mit Kräutern und Gemüse angelegt.

Ortswechsel: Die Stadt Chur ist ein wichtiger Handels- und Bahnknotenpunkt im Südosten der Schweiz, Bischofssitz damals wie heute und Hauptort des Kantons Graubünden. Die Altstadt mit ihren vielen Gassen, Geschäften und Restaurants lässt sich auch im Geist der Kirchengeschichte erkunden, historisch-klassisch oder szenisch in Kostümierung, mit einem Stadtführer wie Peter Laube, dem ehemaligen Tourismusdirektor.

Für die Churer Reformation ist vor allem Johannes Comander (1484-1557) wichtig: »Gemeinsame Studienjahre in Basel verbinden ihn mit Zwingli, 1523 wurde er an die Hauptkirche St. Martin in Chur berufen und schloss sich bald darauf der reformatorischen Bewegung an«, berichtet Laube.

Reformation im »Städtli«

Dass in den drei Bünden – Grauer Bund, Zehngerichtebund und Gotteshausbund als Keimzelle des heutigen Kantons – ein spürbarer Wille zur Reform der kirchlichen Ordnung bestand und sich unter der Mitwirkung politisch-weltlicher Instanzen zu artikulieren begann, zeigt sich auch in der »Reformationsstadt« Ilanz.

In Ilanz wartet Marianne Fischbacher, Kuratorin des dortigen Museum Regiunal Surselva, am Rathaus, oberhalb des Landsgemeindeplatzes: »Hier beginnt ein Spaziergang durch die Stadt zur Orts- und Reformationsgeschichte.«

Hier verteidigte Comander 1526 seinen reformatorischen Glauben in einer Disputation, die »Ilanzer Artikelbriefe« (1524 und 1526) ebneten dann den Weg für die Reformation, zuerst durch die Isolation des Churer Bischofs von weltlicher Macht, dann durch den Erwerb des Rechts, die Pfarrer selbst zu wählen und zu entlassen. Im Ilanzer Regionalmuseum läuft noch bis Ostern 2018 die Sonderausstellung »Kreuz oder Hahn« zu den Ereignissen der Reformationszeit und zum Zusammenleben der Konfessionen.

Erzählt wird anhand von Fotografien und Exponaten auch, wie eine Marienfigur der Sage nach um 1530 von den reformierten Duvinern ins Tal geworfen und von katholischen Bewohnern in Peiden aus dem Bach Glenner gefischt wurde.

 

Porträt Ulrich Zwinglis von Hans Asper, um 1531 (mit hinzumontierter Unterschrift des Reformators).
Porträt Ulrich Zwinglis von Hans Asper, um 1531 (mit hinzumontierter Unterschrift des Reformators).
Das Heimattal Ulrich Zwinglis: Blick aufs Toggenburg mit dem Wildhauser Schafberg und dem Säntis (links oben).
Das Heimattal Ulrich Zwinglis: Blick aufs Toggenburg mit dem Wildhauser Schafberg und dem Säntis (links oben).
Zwinglis Geburtshaus in Wildhaus wurde im 15. Jahrhundert erbaut.
Zwinglis Geburtshaus wurde im 15. Jahrhundert erbaut. Die Butzenscheibenfenster sind nicht original. Sie wurden eingebaut, als die Stube zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Schulzimmer für die Kinder von Wildhaus verwendet wurde.
Das Zürcher Großmünster mit abendlichem Blick ins Gebirge.das Zürcher Großmünster mit Blick ins Gebirge.
Hier wurde Ulrich Zwingli 1519 Prediger - der eigentliche Auftakt der Reformation in der Schweiz: das Zürcher Großmünster mit abendlichem Blick ins Gebirge.
»Die Kappeler Milchsuppe«, Gemälde von Albert Anker, 1869.
»Die Kappeler Milchsuppe«, Gemälde von Albert Anker, 1869: Auch in der Eidgenossenschaft sorgte die Reformation für blutige Konflikte. Ulrich Zwingli starb am 11. Oktober 1531 in der Schlacht von Kappel am Albis im Krieg zwischen zwischen dem reformierten Zürich und den katholischen Kantonen Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug. Der erste »Kappeler Krieg« war noch unblutig zu Ende gegangen. Der Legende nach teilten sich Zürcher Reformierte und Innerschweizer Altgläubige einträchtig eine Milchsuppe, statt zu kämpfen. Später wurde die »Kappeler Milchsuppe« zur Metapher für friedliche Konfliktlösung in der Schweiz.
Blick auf Chur im oberen Rheintal.
Blick auf Chur im oberen Rheintal.
Die Churer Altstadt: Blick vom Platz Arcas auf den Kirchturm der reformierten Martinskirche.
Die Churer Altstadt: Blick vom Platz Arcas auf den Kirchturm der reformierten Martinskirche. Churs Reformator war der Theologe Johannes Comander (1484-1557), ein Basler Studienfreund Zwinglis.
Die reformierte Kirche St. Margareta mitten im »Städtli«, der Altstadt von Ilanz in Graubünden.
Die reformierte Kirche St. Margareta mitten im »Städtli«, der Altstadt von Ilanz in Graubünden. Hier verteidigte 1526 der Churer Reformator und Zwingli-Freund Johannes Comander (1484-1557) den reformatorischen Glauben in einer Disputation. Die »Ilanzer Artikel« hatten eine völlige Neuordnung des Landesrechts im Freistaat der Drei Bünde zur Folge und prägten die Geschichte Graubündens dauerhaft.
Das Ilanzer Museum Regiunal Surselva (Graubünden).
Im Ilanzer Museum Regiunal Surselva ist noch bis Ostern 2018 die Sonderausstellung »Kreuz oder Hahn« zu den Ereignissen der Reformationszeit zu sehen.
Fresko an der Außenwand der reformierten Kirche St. Martin in Ilanz.
Fresko an der Außenwand der reformierten Kirche St. Martin in Ilanz.
»R-City Guide« heißt die App des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds, die auf die Spuren der helvetischen Reformation führt.
»R-City Guide« heißt die App des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds, die auf die Spuren der helvetischen Reformation führt.

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Schweizer »R-City Guide« - Rundgänge mit Audioguide

»R-City Guide« heißt die App des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds, die auf die Spuren der helvetischen Reformation führt.

GPS-geführte Rundgänge zeigen den Standort des Besuchers an und führen ihn zu wichtigen Stationen Schweizer Reformationsorte: Basel, Bern, Chur, Genf, Ilanz, Lausanne, Neuenburg, St. Gallen, Schaffhausen, Wildhaus und Zürich sind derzeit im Programm. Vom Geburtshaus Zwinglis in Wildhaus über das Disputationfenster in der Kathedrale von Lausanne oder die Churer Hasenstube im Pfarrhaus St. Martin bis zur größten Kirchturmuhr Europas in Zürich: es gibt viel zu entdecken, alles in Wort, Bild und Ton erläutert.

Die App gibt es gratis im Apple Store und bei Google Play.

500 Jahre Reformation

Dossier

Vor 500 Jahren hat der Theologe Martin Luther (1483-1546) mit der Veröffentlichung seiner 95 Thesen die Reformation angestoßen, die zur Spaltung von evangelischer und
katholischer Kirche führte. Wie haben Gemeinden, Dekanate und Kirchenkreise das Reformationsjubiläum 2017 gefeiert? Was ist für den Reformationstag am 31. Oktober geplant? Und warum ist der dieses Jahr ein Feiertag? Erfahren Sie mehr in unserem Dossier unter www.sonntagsblatt.de/reformation!

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