"Propaganda" wird gemeinhin als eine für den aufgeklärten Bürger durchschaubare und eher krude Strategie der Manipulation der Gesinnung verstanden. Sie findet selbstredend nur in totalitären oder autoritären Staaten statt. Und ohne sie könnten diese ja auch gar nicht bestehen.
In Demokratien wie in den USA oder in Europa herrscht dagegen Meinungsfreiheit. Gut, da wäre vielleicht die Werbung, die mit ihren Möglichkeiten Einfluss auf das Kaufverhalten der Menschen nehmen will. Kurz, die gängige Lesart geht so: Propaganda ist schlecht, weil sie manipuliert, weil sie lügt. Demokratie dagegen ist das Gute, weil sie Freiheit verheißt, weil sie "wahr" ist.
Zählt nur noch der Glaube an Fakten?
Was aber, wenn alle Wahrheit keine Wahrheit mehr ist? Wenn jeder auf seiner Meinung beharrt und die veröffentlichte Meinung nicht die öffentliche ist? Wenn zwischen "Lügenpresse" und "Twitter" nur noch der Glaube zählt, aber man wegen der zweifelhaften Faktenlage niemandem mehr glauben mag? So weit die gesellschaftspolitische Voraussetzung und Anlass genug für das Münchner Lenbachhaus und seine Kuratorin Stephanie Weber, das Thema "Propaganda im 21. Jahrhundert" aufzugreifen und diesem Verwirrspiel mit der Ausstellung "After The Facts" einen fulminant neuen, künstlerischen Zugang zu geben.
Raumarchitektur an Komplexität des Themas angepasst
Ein gelungener Coup, der im glanzlosen "Kunstbau" im Zwischengeschoss des U-Bahnhofs Königsplatz im Münchner Museenviertel ideal platziert wurde. Symbolik allerorten, sinnlich erfahrbar in einer austarierten Raumarchitektur zwischen dunklen Groß- und weißen, schmalen Zwischenräumen, die permanent den Blick verstellt, bevor er sich auf die Kunstwerke konzentrieren kann. Willkommen im komplex postfaktischen Zeitalter! So muss man sich die erhellenden Videoinstallationen, Fotoprojektionen, seriellen Konstruktionen und Malereien in labyrinthisch anmutenden, durch abgehängte Decken und schwarze Stellwände verbauten Abteilungen vorstellen.
Die Künstler und Künstlerinnen produzieren darin immer wieder überraschende Einsichten und machen das, was in all der Faktenhuberei politische Kunst auszeichnet: Sie nehmen Haltung ein. Die Titel, die die sechs "Darkrooms" markieren, wie "Das Spiel spielen" oder "Die im Dunkeln sieht man nicht", beschreiben deutlich, dass Kunst hier nichts Tröstendes oder ästhetisch Konsumierbares meint. Man bezieht sich auf die Gegenwart, und die ist ernüchternd brutal, wie auf dem Wimmelbild à la Breughel von Sandow Birk, "Triumph der Angst", das die Folgen von "9/11" meint.
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Sarkastische und kabarettreife Installationen
Oder der sarkastisch zugespitzte "Maibaum" von Nancy Spero, an dessen bunten Bändern die Künstlerin malträtierte Gefangenenköpfe als Pappmascheescheiben aufgehängt hat, Symbol für immer wiederkehrende Kriege, Folter und Gewalt, obwohl doch dauernd von Frieden die Rede ist.
Oder, fast kabarettreif, von Marge Monko die Nachstellung einer Podiumsdiskussion im estnischen Fernsehen mit fünf Frauen anstelle der fünf männlichen Repräsentanten über das Thema "Lockerung des Arbeitnehmerschutzes", während auf dem zweiten Monitor dieselben Frauen über ihre eigene desaströse, persönliche Arbeitssituation sprechen. – Überhaupt geht es um Kommunikation und dabei besonders um die durch die neuen, digitalen Medien geprägten Widersprüche und Missverständnisse, die Manipulation bewirken.
Alte Fragen, neuer Antwortversuch
Video-Arbeiten wie die von Harun Farocki, der eine Unternehmensberatung bei Vodafone ein Jahr lang begleitet hat, entlarven auch ohne Ton die Absurdität dieses Berufszweigs. Sichtbar wird in dieser Ausstellung, dass der als freiheitlich gepriesene Kapitalismus tatsächlich viel subtiler und massiver Menschen manipuliert, als die platte Gesinnungsmanipulation autoritärer Staaten es vermag.
Jede Beobachtung der Welt, so hatte es der Direktor des Lenbachhauses, Matthias Mühling, in seiner Einführung konstatiert, beschränke sich schließlich auf die enge Interpretation von "uns" bornierten weißen Menschen des Westens. Im "Kunstbau" hat man daher Neues versucht anhand alter Fragen: Ist Kunst politisch? Setzt sie Maßstäbe? Wirkt sie aufklärend? Trägt eine Ausstellung dazu bei, aus den Besuchern wenn nicht gute, dann doch wenigstens ein bisschen klügere zu machen? Wenn es so einfach wäre, sähe unsere Geschichte anders aus. Aber einen Selbstversuch ist "After The Facts" auf jeden Fall wert.
INFO
"After The Fact – Propaganda im 21. Jahrhundert": bis 17. September im Lenbachhaus Kunstbau. Geöffnet Di 10-20 Uhr, Mi-So 10–18 Uhr.
Zur Ausstellung ist ein Reader in deutsch und englisch mit Texten von Hannah Arendt bis Armand Mattelart erschienen (420 Seiten). Außerdem gibt es zu "After The Fact" ein umfassendes Begleitprogramm u.a. in Zusammenarbeit mit den Münchner Kammerspielen.
Mehr Infos unter: www.lenbachhaus.de