Ian, Sie sind das einzige Gründungsmitglied von Judas Priest, das ohne Unterbrechung Teil der Band geblieben ist. Was hat Sie über all die Höhen und Tiefen hinweg motiviert, immer weiterzumachen?
Ian Hill: Ich habe nie wirklich darüber nachgedacht, aber wenn du nochmal etwas anderes machen willst, musst du wirklich ganz unten anfangen und dich hocharbeiten. Als Bassist müsstest du dir eine neue Band suchen. Und warum sollte man das tun, wenn man alles hat, was man braucht – zumindest auf professioneller Ebene. Wir machen das, was wir lieben. Ich war damit immer vollkommen zufrieden. Abgesehen von ein paar kleinen Sachen, wenn Freunde mich bitten, mal dies oder das zu machen – aber ansonsten hatte ich nie Solo-Ambitionen.
Wie haben Sie persönlich den Wandel von Judas Priest über die Jahre erlebt – musikalisch, menschlich, vielleicht sogar spirituell? Gab es Momente, in denen Sie ans Aufhören gedacht haben?
Wie gesagt, ich war immer erfüllt von dem, was ich mit Judas Priest mache. Wir arbeiten unglaublich viel – im Studio oder auf Tour – und das war immer so. Jede freie Zeit, die ich bekomme, ist für mich sehr kostbar – besonders als Familienmensch. Ich habe mich nie dafür entschieden, woanders zu arbeiten, wenn Judas Priest mal Pause hatte. Ich habe mich immer mit der Band verbunden gefühlt – seit über 50 Jahren. Und wie gesagt, freie Zeit ist für mich wertvoll. Wenn andere Bandmitglieder, wie Rob Halford, eigene Projekte gemacht haben – klar, ich hätte auch etwas machen können. Aber wenn alle anfangen, sich aufzuspalten, wie soll man dann wieder zusammenfinden? Ich war der Band immer treu und habe darin meine berufliche Erfüllung gefunden.
In den 1980er Jahren wurde Judas Priest gelegentlich von Kritikern als "satanisch" bezeichnet. Wie sind Sie persönlich mit dieser öffentlichen Wahrnehmung umgegangen – gerade auch in Bezug auf Ihre eigenen Werte oder spirituellen Überzeugungen?
Keiner von uns ist besonders religiös, denke ich. Ich auf jeden Fall nicht. Klar, ich gehe zu kirchlichen Beerdigungen, Hochzeiten und Taufen. Aber ich lebe eher nach christlichen Werten, die im Grunde menschliche Werte sind. Ich brauche kein Buch, das mir sagt, was richtig und falsch ist. Diese Etikettierungen – vor allem in den USA – kamen oft von fanatischen christlichen Gruppen. Anfangs dachten wir, das sei ein Witz. Aber als sich dann die Politik einmischte, wie bei den "Washington Wives" in den 80ern, wurde es ernster. Es ging nicht nur um Metal – selbst Popmusik wurde kritisch betrachtet.
Sie landeten wegen angeblicher versteckter Botschaften in Ihren Texten ja sogar vor Gericht. Wie war das?
Dann kam der Prozess in Reno, Nevada, nach dem tragischen Selbstmord zweier junger Männer. Das war schlimm. Plötzlich wurde aus Spaß Ernst. Es war institutionalisierte Unterdrückung. Die Anklage: angeblich subliminale Botschaften in unserer Musik. Völliger Unsinn – wenn du etwas hören kannst, ist es nicht subliminal, und wenn es subliminal ist, kannst du es nicht beweisen. Es war ein Zirkus. Nach ein paar Tagen merkte sogar der Richter, wie absurd das Ganze war. Der Fall wurde schließlich aus Mangel an Beweisen – oder besser gesagt, an Realität – abgewiesen. Danach haben wir Painkiller veröffentlicht und weitergemacht. Aber wenn die Regierung dich als "böse" hinstellt, wird es schwierig. Wir sind nur normale Leute, die etwas Außergewöhnliches tun.
Kommen wir zur Musik selbst. Judas Priest sind bekannt für großartige Gitarrenarbeit und Rob Halfords Gesang. Aber es gibt ja auch einen Bassisten und einen Drummer. Wie sehen Sie Ihre Rolle in dieser musikalischen Maschine?
Man ist, was man ist. Bass ist kein "Ego"-Instrument. Es gibt nur wenige Bassisten, die im Vordergrund stehen. Deine Rolle ist es, den Rhythmus zusammen mit dem Schlagzeuger so eng wie möglich zu halten, damit alles andere darauf aufgebaut werden kann. Ich hatte nie Illusionen darüber. Man spielt das, was ein Song braucht. Wenn du etwas Auffälliges spielen willst, musst du dich fragen: Dient es dem Song oder lenkt es ab? Macht es ihn schwerer oder leichter? Gelegentlich hat man als Bassist mal einen Moment zum Strahlen, aber meistens hält man das Fundament. Und das ist vollkommen okay für mich. Ich bin bodenständig und habe keine Größenwahnvorstellungen.
Touren empfinden viele Musiker über die Zeit als Belastung. Was ist es, das Sie immer wieder zurück auf die Bühne zieht?
So haben wir doch angefangen – wir spielen Musik, weil wir sie lieben. Wir lieben es, Menschen zu unterhalten. Und das ist bis heute der Hauptantrieb. Wir müssen es finanziell nicht mehr tun – wir sind etabliert –, aber wir lieben es einfach. Und wir lieben unsere Fans. Ohne sie wären wir nichts. Es macht uns einfach Freude. Wenn Bands das Touren nur noch als Pflicht empfinden, sollten sie vielleicht aufhören. Für uns ist es das Herzstück – den Fans etwas zu geben, auf der Bühne zu stehen.
Im Juni und Juli kommen Sie wieder nach Deutschland. Deutschland war ja schon immer ein wichtiger Markt für Judas Priest. Was für eine Verbindung haben Sieu den deutschen Fans oder zur deutschen Kultur?
Wir haben eine sehr lange Geschichte mit Deutschland – etwa mit dem Zoom Club in Frankfurt, ganz am Anfang. Ich denke, wir sind uns mental ähnlich – diese nordwesteuropäische Einstellung. Vielleicht näher an den Deutschen als an Italienern oder Spaniern. Auch unser Humor ist ähnlich. Deutschland hat uns früh angenommen, sogar noch vor anderen Ländern, abgesehen vielleicht von Belgien und Holland. Wir haben sehr viel in Deutschland gespielt – auch an Orten, die wir heute leider nicht mehr besuchen, wie Regensburg oder andere Städte. Deutschland ist nach den USA unser zweitwichtigster Markt – sogar wichtiger als Großbritannien, was britische Fans vielleicht nicht gern hören, aber es ist so. Wir fühlen uns willkommen, vor allem nach der Wiedervereinigung. Da kamen neue Aspekte dazu, besonders mit den ersten Shows im Osten. Ja, wir haben eine enge Verbindung zu Deutschland.
Sie spielen bald auch mit beim 60. Geburtstag der Scorpions. Meinen Sie, Judas Priest könnte auch 60 Jahre zusammen spielen? Musiker gehen ja selten in Rente, sie spielen, bis sie von der Bühne fallen, oder?
Ja, 60 Jahre – da fehlen uns noch ein paar. Ich glaube, wir sind bei 53 oder so. Aber es gibt keine Pläne, aufzuhören – jedenfalls noch nicht. Natürlich merken wir, dass wir älter werden, gesundheitliche Dinge tauchen auf. Aber wir sind realistisch. Wir wissen, dass wir nicht mehr ewig weitermachen können. Aber was noch vor uns liegt, werden wir genießen. Und wie gesagt, es gibt keine Pläne, jetzt schon aufzuhören. Es ist ein neues Album in Planung, das bringt wieder eine Tour mit sich – also ja, wir machen weiter. Warum aufhören? Musiker tun, was sie lieben.
INFO: Judas Priest kehren im Zuge ihrer "Shield Of Pain Tour 2025" für vier Headline-Shows nach Deutschland zurück. Darunter am 17. Juni in die Stuttgarter Schleyerhalle und am 13. Juli in die Münchner Olympiahalle. Mit im Gepäck haben sie ihr aktuelles Album Invincible Shield, das im März 2024 erschienen ist. Als Special Guests begleiten sie Accept und Phil Campbell and the Bastard Sons.
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