Folk-Sänger" – "Protest-Ikone" – "Rock-Poet" – "Endzeitprediger" – "Egozentriker": Bob Dylan musste schon viele Etiketten ertragen. Gegen sie alle setzt er sich bis heute erfolgreich zur Wehr. Wer Bob Dylan wirklich ist, wie er tickt und warum er genial und gleichzeitig sonderbar verschroben wirkt: Das bleibt ein Mysterium. Was feststeht: Mit seiner Musik prägt Dylan seit den 1960er-Jahren die Popwelt wie kaum ein anderer. Seine Texte sind so tiefsinnig, dass er dafür 2016 den Literaturnobelpreis bekam.
Bob Dylan hat seine Zeit der Selbstfindung in jungen Jahren sehr dramatisch verbracht. Nach abgebrochenem Studium war er 1961 nach New York gekommen. Das Ziel des 19-Jährigen: Musik zu machen. So wie sein Vorbild, der politische Folk-Musiker Woody Guthrie (gespielt von Scoot McNairy). Berührend stellt der Film Dylans Besuch an dessen Krankenbett nach. Auch sein Idol Pete Seeger (Edward Norton) trifft er hier.
"Love and Peace"
Dylan wird erfolgreich, mit seinen Songs trifft er das Lebensgefühl und die Sehnsüchte seiner Generation, die sich gegen Vietnamkrieg und Rassendiskriminierung wendet, stattdessen "Love and Peace" zelebriert. Schauspieler Timothée Chalamet spielt und singt Dylan umwerfend gut: als näselnden, leicht narzisstischen jungen Mann, dessen ganze Leidenschaft der Musik gilt.
Zwei Frauen lassen sich auf ihn ein, binden können sie ihn nicht: Suze Rotolo (Ellen Fanning) lehrt ihn zu lesen; die Sängerin Joan Baez (Monica Barbaro) stellt ihn einem großen Publikum vor. Stark die Szene, in der Dylan ihr an den Kopf wirft, ihre Lieder seien so beliebig "wie Ölgemälde in einer Zahnarztpraxis" – und sie dann mit dem neu geschriebenen "Blowin in the Wind" betört. Überhaupt, Joan Baez: Mit ihr singt er vor Hunderttausenden beim "Marsch auf Washington", neben Martin Luther King. Doch die friedensbewegte hübsche Sängerin macht Druck auf: Er solle doch weiter seinem Ruf als Protestsänger nachkommen. Dylan geht es aber um Musik, nicht um Politik –
deswegen trennt er sich von ihr. Wie ein Abschiedsständchen baut der Film den Song "It’s all over now, Baby Blue" ein.
Darf er seiner musikalischen Vision folgen?
"Like a Complete Unknown" nimmt das Publikum mit hinein in eine schwierige Entscheidung: Soll Dylan seinen Vorbildern treu bleiben und weiter mit der Westerngitarre Folksongs spielen? Oder darf er seiner musikalischen Vision folgen? Letzteres nimmt er sich heraus und stößt damit seiner Plattenfirma, seinem Publikum und auch seinem Vorbild Pete Seeger vor den Kopf: 1965 wechselt er zur E-Gitarre und spielt mit einer Band laute Rockmusik. "Like a Rolling Stone" wird seine persönliche Reifungshymne – und ein Welthit. Bewundernd steht Johnny Cash (Boyd Holbrook) hinter der Film-Bühne, tatsächlich haben die beiden sich zeitlebens über alle Musikgrenzen hinweg unterstützt.
Viele Filmszenen sind bewundernswert echt den historischen Szenen nachgestellt, die aus Fotos und Videos bekannt sind. Kunstvoll und kenntnisreich spitzt Regisseur James Mangold die Dylan-Story an. Am Ende ein herziger dramatischer Kniff: Nach seinem Wandel zur E-Gitarre besucht Dylan noch einmal sein Idol Woody Guthrie am Sterbebett und verabschiedet sich von ihm.
Dylan bleibt ein "Complete Unknown"
Dylans Weg führte ihn durch viele weitere Phasen: Er gründete Familie, nach Depressionen und Drogen bekehrte er sich zum wiedergeborenen Christen, danach näherte er sich wieder dem Judentum an. Heute, mit 83 Jahren, tourt er noch immer und mit sichtlicher Freude über die Bühnen in Europa und den USA. Es gibt also viel Stoff für eine Fortsetzung des Biopics.
Das Rätsel, wer Dylan nun wirklich ist, was er denkt und warum er seine Fans immer wieder herausfordert, würde auch eine Fortsetzung nicht lüften. Dylan bleibt ein "Complete Unknown". Gleichzeitig verschafft der Film dem reifen Künstler einen neuen Hype: Auf TikTok ahmen Jugendliche den coolen Gang Dylans nach, zudem gibt eine große Jeansfirma eine Dylan-Kollektion heraus. Wenigstens die Kleidung ist bekannt.
Filmtipp
Like a Complete Unknown
USA 2024: ab dem 27. Februar, 140 Minuten Länge.
Mit Timothée Chalamet, Regie: James Mangold
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