Die Insel Borkum stand wegen ihres Festes "Klaasohm", das traditionell in der Nacht vom 5. bis 6. Dezember gefeiert wird, zuletzt stark in der Kritik. In der Dokumentation "Das Schweigen der Insel - Wenn Borkum Klaasohm feiert" von STRG_F und Panorama wurde ein Bild des Brauchs gezeichnet, das viele Menschen schockierte.
Reporter waren beim Klaasohm 2023 vor Ort und konnten mit ihren Kameras festhalten, wie Frauen von verkleideten Männern verfolgt, festgehalten und geschlagen werden. Seit dem Erscheinen der Doku ist der Aufschrei, vor allem in den sozialen Medien, groß. Zurecht?
Klaasohm: Die Hintergründe des Festes
Klaasohm ist eine abgewandelte Form der Nikolaus- bzw. Krampus-Tradition. "Klaas" leitet sich von "Klaus" ab, und "ohm" bedeutet auf mittelhochdeutsch Onkel.
Im reformierten Teil Ostfrieslands feiert man sonst kaum noch Heiligenfeste, doch der Nikolausbrauch hat sich bis heute durchgesetzt. Vielleicht auch, weil der Heilige Nikolaus von Myra unter anderem der Schutzpatron der Seeleute ist und dies für die Insel Borkum größere Bedeutung hat.
Das Fest Klaasohm ist mit den Walfängern verknüpft, die damit traditionell den Abschluss einer anstrengenden Saison feierten. Seit fast 200 Jahren wird diese Tradition auf Borkum praktiziert, und seitdem gibt es auch den Verein Borkumer Jungens e.V. 1830. Das Fest soll als Symbol des Zusammenhalts und als Feier der Gemeinschaft stehen.
Wie läuft das Fest ab?
Der Legende nach liegt der Klaasohm (eine Art Knecht Rupprecht) unter einem Denkmal auf Borkum vergraben. Jedes Jahr am 5. Dezember kommt er jedoch hervor. Sechs junge Männer des Vereins Borkumer Jungens verkleiden sich dann als Klaasohms. Sie tragen dabei einen weißen Kittel mit roten Streifen und den "Skebellenkopp" – einen hohen Helm aus Schafspelz, mit Federn und Möwenflügeln.
Ein junger Mann verkleidet sich zusätzlich als Wiefke, also eine Frau, und trägt eine weiße Schürze sowie eine Maske aus Seehundfell. Welche Männer des Vereins sich verkleiden dürfen, bleibt streng geheim und wird ihnen erst kurz zuvor mitgeteilt. Zunächst haben die Männer dann untereinander in einer Halle Ringkämpfe, um zu bestimmen, wer die Führung übernehmen darf. Zuschauen dürfen bei diesen Kämpfen nur auf Borkum geborene Männer. Anschließend beginnt der Zug über die Insel.
In drei Gruppen ziehen sie durch die Straßen, kehren in Wirtshäuser ein, besuchen aber auch Altenheime und Krankenhäuser. Jeder Klaasohm hat mehrere Fänger dabei, die versuchen, alle Frauen, die sie erwischen, festzuhalten. Diese bekommen dann mit Kuhhörnern Schläge auf das Gesäß (auch hier zeigt sich eine Analogie zum Krampus).
Kinder und Mütter sowie alte Frauen sind normalerweise davon ausgeschlossen. Während des Fangens und Schlagen der Frauen werden die Männer meist von den Zuschauenden angefeuert. Das Fest endet in der Ortsmitte, wo alle noch einmal gemeinsam die Klaasohms feiern, die danach in ihr Vereinslokal zurückkehren und ihre Verkleidung ablegen.
In den Wochen vor Klaasohm gibt es auch den "Kinder-Klaasohm", bei dem einheimische Jungen die Mädchen jagen und schlagen.
So reagiert Borkum auf den Eklat
Nach all der Kritik wehrt sich die Stadt Borkum nun und erklärt, die Panorama-Reportage sei "tendenziös und einseitig". Dabei geben sie später zu, den Redakteur*innen gegenüber Zurückhaltung gezeigt zu haben. Der NDR sagt dazu, dass alle Presseanfragen von offizieller Stelle abgelehnt wurden und alle Interviews mit positiven Stimmen zum Fest im Nachhinein zurückgezogen wurden.
Der Verein Borkumer Jungens gab ebenfalls ein Statement ab. Darin heißt es:
"Wir distanzieren uns ausdrücklich von jeder Form der Gewalt gegen Frauen und entschuldigen uns in aller Form für die historisch gewachsenen Handlungen der vergangenen Jahre, insbesondere für die Gewaltausübung der jüngeren Vergangenheit."
Sie wollen die Schläge in Zukunft gänzlich aus der Tradition streichen; in jüngster Vergangenheit sei dies aber ohnehin nur noch ein "minimaler Bestandteil" gewesen.
Auf der Website der Stadt heißt es weiter, dass die intransparente Kommunikation nicht zur Vertuschung dienen sollte, sondern aus dem Schutz vor Kommerzialisierung. Klaasohm sei ein Fest für die Insulaner*innen und "kein touristisches Event", deshalb seien auch weiterhin keine Außenstehenden, "weder Kritiker noch Befürworter", dort erwünscht. Dies wird vom Vorstand des Vereins in seinem Statement an verschiedenen Stellen immer wieder erwähnt, was einen gewissen faden Nachgeschmack hinterlässt.
Verwendete Quellen
Andrea Akkermann (Kulturwissenschaftlerin): Traditionen und Brauchtum auf den Wattenmeerinseln von Texel bis Borkum 1997
Borkumer Zeitung: Moje Stünden an de hochste Fierdag – Börkums Klaasohm 2006
Spiegel.de: Nikolaus der Frauenfänger von Jan Rübel 2013
Weser Kurier: Klaasohm geht um von Justus Randt 2015
Welt: Wenn die Borkumer ihre Frauen verprügeln von Christina Brüning 2019
NDR: Nach der NDR-Recherche: Klaasohm-Fest auf Borkum künftig ohne Schläge? 2024
Stadt Borkum: Wie ist das Klaasohms-Fest auf Borkum wirklich? 2024 (stadt-borkum.de)
NDR/Panorama und STRG_F 2024: Das Schweigen der Insel – wenn Borkum Klaasohm feiert
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Vielleicht ist es…
Vielleicht ist es Gemeinschaft und auch ekelige Gewalt. Man scheint zudem eine Art Gesetz des Schweigens etabliert zu haben, was in dem Kontext besonders schädlich ist und die zaghaften Aenderungsversprechen sind wenig glaubhaft. Wenn die Insel ihr Image wieder verbessern will, dann braucht es jetzt vor allem eins: Transparenz und Beobachtung von aussen. Erschreckend ist, dass offenbar auch staatlich Verantwortliche geschwiegen haben, was ja kein reines Gewissen zeigt. Polizei vom Festland und ein neuer Bürgermeister sowie Einladung von Medienvertretern wären erste Schritte. Der Verein sollte auch einmal etwas durchleuchtet werden. Vor allem sollte aber das Bewusstsein wachsen, das Tradition keine Ausrede für Gewalt ist. Als Kirchen haben wir ja da leider auch Erfahrung.