Robb geht zu jedem Song den Entstehungsprozess durch, schildert Umstände der Studioarbeit, persönliche Lebensumstände der Bandmitglieder und wie diese in Texten und Klangwelten anklingen. 

Schon das Album "Songs of Faith and Devotion" trägt im Titel eine offene Anspielung: "Lieder von Glaube und Hingabe". Es markiert in der Werkstätte Depeche Modes die Phase, in der musikalisch und thematisch Gospel-, Soul- und Rockelemente zusammenfließen – was nur konsequent ist, wenn man die spirituellen Spannungen betrachtet, mit denen sich die Band (insbesondere Gahan) in dieser Zeit auseinandersetzt. 


Beispiele aus Songs mit religiösen oder christlichen Motiven

Einige Lieder stechen besonders hervor, weil sie religiöse Sprache nicht nur metaphorisch streifen, sondern sie als Spannungsfeld nutzen – zwischen Nähe und Ablehnung, zwischen Trost und Zweifel.

  • Blasphemous Rumours (Album Some Great Reward, 1984) ist ein Klassiker in dieser Hinsicht. Hier erzählt der Song von einem jungen Mädchen, das zunächst einen Selbstmordversuch überlebt, dann aber später – nach vermeintlicher Nähe zur Religion – durch einen Autounfall stirbt. Die Texte provozieren nicht nur durch die Frage, warum Leid existiert, sondern auch durch eine gewisse Ironie in der Darstellung göttlicher Macht oder göttlichen Handelns. So der Refrain:

    "I don’t want to start / Any blasphemous rumours / But I think that God’s got a sick sense of humour"
    Damit wird Gott nicht einfach als Abwesender, sondern als jemand dargestellt, der – ob bewusst oder unbewusst – Teil eines schmerzhaften, absurden Spiels ist. 

  • Personal Jesus ist ein anderes zentrales Lied: Es spielt mit der Idee eines persönlichen Erlösers, einer Figur, die für jemanden Trost, Nähe und Verbindung sein kann – ganz anders als eine ferne, abstrakte Gottesfigur. Das Bild des "Personal Jesus" ist in seiner religiösen Bildsprache stark, ohne dogmatisch zu sein.

  • Condemnation auf Songs of Faith and Devotion verwendet Formulierungen und Stilmittel, die an kirchliche Liturgie oder Gospel erinnern – Schuld, Urteil, moralische Anklage, das Gefühl, verurteilt zu werden oder von anderen und sich selbst beurteilt zu sein.

  • Weitere Songs wie Judas, Sacred, The Sweetest Condition etc., in denen Begriffe wie Opfer, Verrat, Schuld, Heilige, Treue, Hingabe oder auch Verräter ("Judas") auftauchen, dienen weniger der Verherrlichung eines religiösen Glaubens als der Inszenierung innerer Kämpfe: zwischen Vertrauen und Enttäuschung, zwischen dem Bedürfnis nach Erlösung und der Erfahrung des Versagens.

Robb geht in seinem Buch laut Verlagsbeschreibungen auch darauf ein, wie diese Texte entstanden sind — unter welchen psychischen Belastungen, Einflüssen und persönlichen Krisen — und wie diese Krisen, gerade bei Gahan, den kreativen und lyrischen Ausdruck geprägt haben. 

Martin Gore
Martin Gore bei einem Konzert 2009 in Nürnberg.

Dave Gahan: Glauben, Zweifel und spirituelle Wege

Dave Gahan ist die Person in der Band, die immer wieder in Interviews angedeutet hat, wie sehr Religion und Glaube, oder zumindest spirituelle Sehnsucht, in sein Leben hineinspielen – aber stets ambivalent und ohne klaren religiösen Dogmatismus.

Ein bekanntes Zitat, das häufig zitiert wird, lautet:

"My mother was in the Salvation Army. So she sent me to the church every Sunday till my 18th birthday … I’m by the way not anti-religious at all! I only oppose a certain kind of religion that was forced upon me when I was young."
— Dave Gahan über seine Kindheit und die religiöse Prägung durch seine Mutter.

Damit spricht er an, wie Religion in seiner Kindheit präsent war, verpflichtend oder normativ, und wie er später Abstand suchte – nicht indem er das Spirituelle ablehnt, sondern indem er eine persönlichere und kritischere Haltung dazu einnimmt.

Ein weiteres oft zitiertes Paradox:

"Ich glaube nicht an Jesus, aber ich bete trotzdem."
— Mit diesem Satz bringt Gahan auf den Punkt, wie er religiöse Rituale, das Gebet oder spirituelle Praktiken sieht: nicht als Ausdruck eines festen Glaubensbekenntnisses, sondern als menschliches Bedürfnis, als Suche. (Sinngemäß in mehreren Interviews über Gahan)

Robbs Buch beleuchtet, wie diese Haltung in Gahans Leben und Songs reflektiert wird: In Krisen, Nahtoderfahrungen, Drogenabhängigkeiten, dem Gefühl von Schuld und Erlösung — oder auch in dem Wunsch, über sich selbst hinaus etwas Größeres zu spüren. Diese persönlichen Erfahrungen fließen in viele Songs ein, und Robb zeigt auf, wie die metaphorische Sprache – religiöse Begriffe – instrumentalisiert wird, um diese inneren Prozesse auszudrücken. Beispielsweise Songs, in denen Gahan das Gefühl hat, "gerichtet" zu werden – sei es durch andere Menschen oder durch die eigene Moral.

Brian J. Robbs Depeche Mode – Alle Alben, alle Songs
Brian J. Robbs Depeche Mode – Alle Alben, alle Songs ist im Hannibal-Verlag erschienen.

Der neue Konzertfilm "M" – Ein spiritueller Rahmen?

Als Hinweis noch auf etwas ganz Aktuelles: Depeche Mode haben ihren neuen Konzertfilm, "Depeche Mode: M", beim Tribeca Film Festival gezeigt. Er wurde mit drei Konzerten in Mexiko-Stadt aufgenommen und soll im Herbst weltweit in ausgewählten Kinos starten. 

Interessant im Zusammenhang mit der religiösen / spirituellen Dimension: Der Film zieht bewusst Verbindungen zur mexikanischen Kultur, insbesondere deren Motiv für Tod und Erinnerung, und verbindet die Live-Energie mit "den Bedeutungen hinter den Kulissen". Wie Depeche Mode selbst und der Regisseur bei der Premiere sagten, gebe es viele Schichten und Texturen, die gezeigt werden – also nicht nur ein Konzertmitschnitt, sondern eine filmische Reflexion dessen, was die Band bewegt, darunter auch existentielle Fragen und visuelle Symbolik. 

Damit dürfte der Film eine gute Ergänzung sein zu dem, was Robb in seinem Buch auffächert: Wie Lieder, Leben und Symbolik bei Depeche Mode verwoben sind. Wer das Buch gelesen hat, wird im Konzertfilm vermutlich die vertrauten Themen wiederfinden—die Schattenseiten des Ruhms, die Spirituelles und Mystisches, die Suche nach Sinn und die Musik als Brücke zwischen innerer Welt und äußerer Wirkung.