Thomas Mann wird 1875 in Lübeck in der evangelischen Marienkirche getauft und wächst in einem fromm-bürgerlichen Umfeld auf. Selbst formuliert er 1931 sein Verhältnis zur Religion: "Glaube? Unglaube? Ich weiß kaum, was das eine ist und was das andere. Ich wüßte tatsächlich nicht zu sagen, ob ich mich für einen gläubigen Menschen halte oder für einen ungläubigen. Tiefste Skepsis bezüglich beidem ist all mein Ausweis, wenn man mich katekisiert".

Das Religiöse ist für Mann zeitlebens vor allem die Konfrontation mit dem Tod: "Ich sah meinen Vater sterben, ich weiß, daß ich sterben werde, und jener Gedanke ist mir der vertrauteste; er steht hinter allem, was ich denke und schreibe".

Mit 19 Jahren verlässt Mann 1894 das Lübecker Katharineum und zieht nach München, wo bereits seine Mutter mit den vier Geschwistern seit einem Jahr lebt, nachdem der Vater 1891 gestorben war. München wird fast ein halbes Leben lang sein Zuhause – wenngleich das Verhältnis des Norddeutschen zur Bayernmetropole stets schwierig ist. Die lebendige Schwabinger Bohème inspiriert ihn – doch Mann verarbeitet in seinen Werken auch stets das, was ihm aus der Hansestadt vertraut ist.

Thomas Mann und Religion

Seine Münchner Jahre prägen auch sein Privatleben. 1905 heiratet er Katia Pringsheim, deren Familie jüdisch geprägt ist. 1914 kauft die Familie Mann schließlich ein eigenes Haus in der Poschingerstraße im Herzogpark. Das stattliche Anwesen mit Garten und Kastanienallee bekommt bald den Spitznamen "Zaubergarten".

München bleibt für Mann aber immer ein ambivalenter Ort. Er liebt das bayerische Voralpenland, die Literaturkreise und alte Freundschaften, aber scheut sich auch nicht, die Stadt zu kritisieren. 1926 formuliert er in der Münchner Tonhalle eine bittere Abrechnung mit dem Münchner Kulturbetrieb. Die Stadt reagiert und gründet einen Literarischen Beirat, beruft Thomas Mann in dieses Gremium und initiiert auf seine Anregung hin sogar 1928 einen städtischen Dichterpreis. 1929 feiert München dann seinen ersten Nobelpreisträger. Mann hatte ihn für die "Buddenbrooks" erhalten – seinen Debütroman, der zwischen 1897 und 1900 in München entsteht.

Auf Spaziergang mit Dirk Heißerer

Die Spuren Thomas Manns im Münchner Leben erschließt hier seit Jahren Literaturhistoriker Dirk Heißerer. Er bietet literarische Spaziergänge an, die Titel wie "Thomas Mann in München" oder "Der Tod in Venedig – Schreiborte und Schauplätze" tragen. In seinem Buch "Im Zaubergarten. Thomas Mann in Bayern" führt Heißerer zu allen Stationen: von den ersten Schwabinger Wohnungen über das Haus im Herzogpark bis zu den Sommerfrische-Orten am Starnberger und Tegernsee. Diese literarische Topographie zeigt, wie eng Leben und Werk bei Thomas Mann verwoben waren – an jedem Ort, an dem er wohnte oder reiste, spiegeln sich seine Romangestalten und Gedanken.

Publizistisch hat Mann aber wenige Freunde in der Stadt. Gerade die "Münchner neueste Nachrichten", bis zur Einstellung 1945 die größte Tageszeitung in Süddeutschland und Vorgänger der heutigen "Süddeutschen" stellt sich bereits ab 1925 gegen ihn auf und führt eine publizistische Kampagne gegen ihn. Gerade der spätere Präsident der Reichsschrifttumskammer Hanns Johst, ehemaliger Mann-Bewunderer, erklärt ihn schon vor 1933 zum Systemfeind.

"Wo ich bin, ist Deutschland!"

1933 bricht für die Manns eine neue Zeit an. Noch im Februar hält Thomas Mann im Auditorium maximum der Universität München eine Wagner-Rede – danach zieht es die Familie zuerst nach Frankreich und in die Schweiz, schließlich in die USA ins Exil. Ihr Haus in München wird im April von der Bayerischen Politischen Polizei durchsucht und beschlagnahmt.

Am Tag der Bücherverbrennung wird Thomas Mann aus dem Münchner Literaturbeirat ausgeschlossen. München, das ihm lange Kultur geboten hatte, war auf einmal ein Ort der Gefahr. Auch wenn Mann von Amerika aus mit Nazi-Deutschland schwer ins Gericht geht, bleibt er doch so etwas wie ein trotziger Patriot: Auf die Frage eines Reporters, ob er das Exil als Last empfinde, antwortet er: "Wo ich bin, ist Deutschland! Ich trage meine Kultur in mir und betrachte mich nicht als gefallenen Menschen".

Thomas Mann wendet sich in den USA der unitarischen Kirche in Kalifornien zu, die ihre spirituellen Überzeugungen aus mehreren Religionen schöpft. Mann lässt hier sogar seine vier Enkel taufen.

Der literarische Spaziergänger Dirk Heißerer mit seinem Zaubergarten-Buch.
Der literarische Spaziergänger Dirk Heißerer mit
seinem Zaubergarten-Buch.

Religiöse Motive ziehen sich wie ein roter Faden durch sein Werk. Das wird bereits 1918 in den "Betrachtungen eines Unpolitischen" deutlich, in denen Mann während des Ersten Weltkriegs eine konservativ-deutsche Haltung einnimmt und eine kulturelle Linie zwischen deutschem "Kulturprotestantismus" und dem französisch-westlichen Rationalismus zieht. Hier zeigt sich eine gewisse Nähe zu katholischem Denken im Sinne von Ganzheitlichkeit und ästhetischer Geschlossenheit, da er den eigenen Protestantismus eher als "geistig" und "abstrakt" beschreibt.

Religiöse Themen spielen in den späteren Jahren aber eine weitaus größere Rolle. Im Exil entsteht das vierteilige, von einer Palästina-Reise und den Weltreligionen inspirierte Epos "Joseph und seine Brüder" (1933 bis 1943), in dem Mann die Josephsgeschichte zu einem Drama über Schuld, Vergebung und Mitgefühl formte. Mann nähert sich dem Religiösen aus humanistischen Perspektive, in der der "ewige Mensch" eine zentrale Rolle spielt. Hier zeigt sich eine tiefgehende theologische Reflexion, in der Thomas Mann versucht, den Mythos als universales Narrativ zu begreifen, das über konfessionelle Grenzen hinausweist. Er erklärt sogar 1942, dass er damit den "jüdischen Mythos […] aus den Händen des Faschismus" genommen und für die Menschheit neu gestaltet habe.

Sünde, Schuld und Gnade im "Doktor Faustus"

In seinem Roman "Doktor Faustus" (1947) verarbeitet Mann in einer fiktiven Biografie des "deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn" nicht nur die Charaktere von Arnold Schönberg, Friedrich Nietzsche oder Theodor Adorno vor dem Hintergrund des deutschen Schicksals, sondern verwebt in dem monumentalen Werk theologische Begriffe: Hier geht es um Sünde, Schuld und Gnade, in denen neben Musik und Dialektik auch erlösungsbedürftige Herzen mitschwingen. Hier wird zudem der Protestantismus als ernst, asketisch, aber auch seelenzerreißend dargestellt – ein religiöses Milieu, das der geistigen Überforderung Vorschub leistet.

Nach Kriegsende sind die neu erschienenen Zeitungen zwar weitgehend entnazifiziert, Schriftsteller wie Erich Kästner werfen Mann aber nicht nur hinter vorgehaltener Hand vor, während der Hitler-Jahre Deutschland von einem bequemen Platz aus in einer US-amerikanischen Villa aus betrachtet zu haben. Während dieser sich in den USA bald den Vorwurf aussetzen muss, Kommunist zu sein. Nicht zuletzt ein Grund, weshalb Thomas Mann seine letzten Lebensjahre in der Schweiz erlebt.

Spuren in Nürnberg

Ausgerechnet in der "Stadt der Reichsparteitage" findet Thomas Mann nach dem Krieg Freunde und Gönner. Der Journalist und Schriftsteller Heinz Stroh gründet schon 1940 in Nürnberg eine Thomas-Mann-Gesellschaft gegründet. Schon Anfang der 1920er-Jahre hatte Mann in Nürnberg die Buchhändlerin Ida Herz kennen gelernt. Der Briefwechsel mit ihr, der in diesen Tagen im S. Fischer Verlag erscheint, gilt als der umfangreichste seiner Art des umtriebigen Literaten. Dirk Heißerer ist sich sicher: Die Sammlung, welche die 1984 verstorbene Ida Herz rund um Thomas Mann pflegte, ist das Herzstück des sich in Zürich befindlichen Archivs.

In den letzten Lebensjahren Thomas Manns bis zu seinem Tod im Jahr 1955 treten dann persönliche, politische und geistige Fragen in den Vordergrund. Nach dem Krieg leben die Manns weiterhin in Pacific Palisades, Kalifornien, wo sie sich gegen den Faschismus engagieren und zunehmend kritisch mit den Entwicklungen in den Vereinigten Staaten – etwa der McCarthy-Ära – auseinandersetzen. Die politische Entfremdung trägt dazu bei, dass Mann 1952 wieder in die Schweiz übersiedelt, wo er bis zu seinem Tod in Kilchberg bei Zürich bleibt. Eine dauerhafte Rückkehr nach Deutschland lehnt er ab, obwohl er 1949 mit seiner berühmt gewordenen Goethe-Rede in Frankfurt öffentlich auftritt und sich mit der deutschen Kultur versöhnlich zeigt.

Theologischer Literat

Bis zu seinem Lebensende bleibt Thomas Mann kein explizit sich zu einer Religion Bekennender, aber ein ernsthafter Denker über das Religiöse und ein theologischer Literat. Ihn interessiert keine Konfession, sondern vielmehr die Spiritualität des Glaubens als eine Menschheitsthematik – eine überkonfessionelle Haltung, wie sie als überpolitische gleichsam auch Kriege überwinden könnte. Dazu kommt noch der Begriff der Gnade – am deutlichsten spürbar im Spätwerk "Der Erwählte" (1951). Hier wird ein aus dem Inzest gezeugter Sohn, der wiederum seine Mutter heiratet, letztlich zum Papst. Aus größter Sünde heraus erwächst am Ende also etwas Gutes.

Und wie würde Thomas Mann sich wohl heute an die Leserschaft wenden? Immerhin hatte er sich bereits aus dem Exil zwischen Oktober 1940 und Mai 1945 mit insgesamt 55 Radioansprachen Thomas Manns, die das deutsche Programm der BBC ausstrahlte, an sein Volk gewandt. Dirk Heißerer ist sicher: "Wenn Thomas Mann heute Instagram und Tik-Tok hätte, er würde voll durchstarten."

Thomas-Mann-Villa
Die Thomas-Mann-Allee an der Isar im Münchner Stadtteil Bogenhausen mit dem Nachbau der Thomas-Mann-Villa rechts.

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