»Lassen Sie uns die Mitte finden« – beinahe meditativ klingt das Kommando, das die Landesposaunenwartin vom Verband evangelischer Posaunenchöre (VEP) ihren Schülern bei unserem Besuch zu Beginn gibt. Es geht um Wohlklang im Einklang, jeder bläst auf seiner Trompete, Posaune, dem Tenorhorn oder der Tuba ein »F«. »Wenn der gemeinsame Klang nicht mehr vibriert, dann sind Sie alle zusammen«, sagt Höfflin. Und in der Tat: Die Bläser pendeln ihren Tonansatz aufeinander ein – bald hört man das »F« nicht mehr schwingen, sondern sauber stehend den Raum erfüllen. Eine Lektion, wie man einen Chor wie ein Instrument stimmt.

Felix Zettl aus dem oberfränkischen Selbitz hat mit 150 Kilometern die weiteste Anfahrt zum Proberaum, wo der Tubist mit Bläserkollegen aus Mittel- und Unterfranken zusammenkommt. Mit ihnen steckt der 20-Jährige im selben Dilemma: Der Leiter des Posaunenchors hört auf, ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Oft liegt der Altersdurchschnitt bereits dort, wo man normalerweise in Rente geht. »Mach’s du doch, bist noch jung«, hatten seine Mitmusiker gesagt – und er hat eingewilligt, in Nürnberg die Sprache zu erlernen, die ein Dirigent verwendet, um aus seinen Bläsern einen homogenen Klangkörper zu machen.

Lehrgänge für Anfänger und fortgeschrittene Dirigenten

»Jeder repetiert nun ein »C«, nacheinander setzt der Nachbar ein«, gibt Anne Höfflin den Ton an. Überraschend unsanft läuft das zu Beginn ab – der eine wackelt im Rhythmus, der nächste in der Intonation. Erst allmählich lernen die Musiker, aufeinander zu hören und Tonlage wie Tempo des Vor-Bläsers aufzunehmen. »Wenn man sich konzentriert, spielt man den Ton genauso nach«, meint die Ausbilderin.

Für sie gehören solche Kurse schon lange zum täglich Brot, auch wenn die Veranstaltungen ganz unterschiedlichen Charakters sind. Jedes Jahr bietet der VEP zum Beispiel zwei viertägige Lehrgänge an, die in den Oster- oder Herbstferien stattfinden und die jeweils eine Gruppe für Anfänger und Fortgeschrittene beinhalten. So kommen in der Regel – beide Lehrgänge zusammengefasst – zwischen 50 und 60 Teilnehmer jedes Jahr zu Weiterbildungen. Dazu kommt das Chorleitertraining, bei dem durchschnittlich zwischen 12 und 20 Teilnehmende zu verzeichnen sind. Und damit nicht genug: »Daneben bieten wir noch das Format des Chorleiterprojekts an, das immer wieder aus Bezirken und größeren Regionen angefragt wird. Das sind dann drei bis vier Samstage, an denen zwischen 20 und 40 Bläser mitmachen«, sagt Höfflin.

Doch Sandra März und Heike Lechner aus Großgründlach bei Nürnberg sind erst mal froh, wenn sie ihr Chorleitertraining gut absolvieren. Die beiden kennen sich aus dem heimischen Posaunenchor und kommen bei den Übungen, die Anne Höfflin ihnen und dem Rest der Gruppe zeigt, ganz schön ins Schwitzen. Jedoch gibt ihnen die Leiterin das Handwerkszeug mit auf den Weg, wie die Damen zu Hause das im Kurs Erlernte richtig an die Frau oder den Mann bringen. Das sind eindeutige Kommandos, Handbewegungen und andere visuelle Einsätze. Bestimmend, unverwechselbar, verbindlich. »Die werden uns daheim sagen: Euch schicken wir nicht mehr zum Training«, lachen die beiden. Doch Anne Höfflin beruhigt: Klar sei es schwierig, alten, gestandenen Musikern neue Spiel- und Hörweisen beizubringen. Doch es wirkt. »Lassen Sie langsam einfließen, was Sie hier lernen«, empfiehlt sie.

Jeder dirigiert anders

Und das sind beispielsweise korrekte Schlagfiguren beim Dirigieren: »Runter – raus – rauf«, heißt jetzt das nächste Kommando, als die Lehrlinge abwechselnd den Choral »Lobe den Herren, alle, die ihn ehren« vor den anderen dirigieren sollen und dabei erfahren, wie direkt die Bläser auf ihre Hand- und Armbewegungen ansprechen. Erstaunlich: Bei jedem Dirigenten klingt das Lied komplett anders, obwohl die Besetzung des Chors identisch ist. Anne Höfflin weiß, warum: »Ein Chorleitungsanfänger muss erfahren und dann darauf vertrauen, dass seine Bewegung eine Wirkung hat – zum Beispiel dass die Musiker wirklich anfangen zu spielen. Wir lernen und üben, wie man Einsätze gibt, wie man die Musik durch die Bewegung gestalten kann.«

Es sind Feinheiten, auf die im Kurs geachtet wird: wie verbindlich ein Dirigent in die Runde blickt, wie klar strukturiert seine Signale sind, wie konkret die Körperhaltung. »Das ist zuerst echte Knochenarbeit an sich selbst; wenn es dann funktioniert, macht es aber Spaß«, meint Manfred Binder aus Burg bei Dinkelsbühl. Er ist zuversichtlich, mit seinem Engagement hier im Kurs langfristig dazu beizutragen, dass sein Posaunenchor weiter besteht. Mit sechs Jahren kam er dazu, die meisten seiner 58 Lenze hat er also im Posaunenchor verbracht. »Man wächst da einfach rein. Und wenn ein Chorleiter mit über 70 Jahren sagt, er will jetzt nicht mehr, dann muss man das akzeptieren und weiter machen«, so der Schichtarbeiter, der trotz Arbeit sich auf den weiten Weg gemacht hat, um sich schulen zu lassen. Denn letztlich ist dies für alle Teilnehmer am Chorleitertraining der Ansporn: der Spaß an der Musik, der Erhalt der Gemeinschaft.

Höfflin bildet seit 17 Jahren Bläser aus

Wie beides vermittelt wird und funktioniert, das hat sich im Lauf der Zeit geändert. Zunächst habe es Kurse von mehreren Tagen am Stück gegeben, sagt Höfflin, die seit 17 Jahren Bläser ausbildet. »Weil bald deutlich wurde, dass ein Wochenende für echte Fortschritte zu kurz ist, haben wir zum einen das Chorleiterprojekt und später dann auch das Chorleitertraining angeboten. Damit berücksichtigen wir, dass für viele Arbeitnehmer die mehrtätigen Termine in den Schulferien schwierig zu realisieren sind«, erklärt sie. Was dagegen gleich geblieben ist, ist der Inhalt der Chorleiterausbildung. »Das sind so grundlegende Dinge, dass sich daran eigentlich nichts ändert«, meint Höfflin.

Daneben ist ein Anliegen der Kursleiter, die Bläser immer wieder in Inhalte der Musiklehre hineinschnuppern zu lassen. »Ein Chorleiter sollte den Bläsern möglichst eine Nasenlänge voraus sein oder wenigstens wissen, wo man nachschlagen oder wen man fragen kann«, ist Anne Höfflin überzeugt.

Der Grundkurs schließt mit einem Bläsergottesdienst, bei dem die Teilnehmer natürlich selber musizieren und abwechselnd dirigieren, aber auch alle Teile des Gottesdiensts übernehmen, die sonst Sache des Liturgen sind. Wissen sollte aber jeder, dass die Ausbildung zum Chorleiter niemals mit einem Kurs oder Lehrgang getan sein kann.

Die »Franken-Auswahl« hat sich aber der Herausforderung gestellt. Und geht mit stolz vom Spielen geschwellten Lippen nach Hause.