Die Kerze in der Mitte des Raumes brennt, die Deckenlampen sind aus, es liegt noch der schweflige Geruch des Streichholzes in der Luft. Rings um die Kerze liegen geraffte farbige Tücher auf dem Boden, drumherum sitzen Schulkinder im Stuhlkreis. So stellen sich viele den prototypischen Religionsunterricht vor. "Da spricht auch gar nicht dagegen", sagt auch Jens Palkowitsch-Kühl von der Uni Würzburg. Zumindest, wenn es nicht allein dabei bleibt: "Wenn man Lebensweltorientiert arbeitet, gehören digitale Medien mit ins Klassenzimmer." Er leitet ein Forschungsprojekt am Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik, das sich dem Thema "Digitalisierung des Religionsunterrichts" widmet.
Welche digitalen Medien sind überhaupt sinnvoll für den Reli-Unterricht?
Das Projekt hat zwei Ebenen. Zum einen fragt es nach der Methodik: Wie können digitale Medien sinnvoll im Religionsunterreicht eingesetzt werden, also wie kann Schülern digital Wissen vermittelt und zeitgleich eine sinnvolle Nutzung digitaler Inhalte nähergebracht werden. Zudem wollen die Wissenschaftler wissen, wie die Lehrkräfte geschult werden müssen, um digitale Inhalte und technische Geräte im Unterricht auch sinnvoll einsetzen zu können. Zum anderen geht es um digitale Inhalte: Woher kommen sie, was taugt für den Unterricht. Und nicht zuletzt die Metaebene: Wie nutzen Religionen die digitalen Medien, wie stellen sich Religionsgemeinschaften und Kirchen etwa in sozialen Netzen dar?
Im ersten Schritt erstellen Jens Palkowitsch-Kühl und seine Kollegen aus Würzburg und von den Universitäten Siegen und Gießen erst mal selbst digitale Inhalte - konkret: Ein modulares und interaktives eBook für eine Unterrichtssequenz, also etwa acht bis zehn Stunden Unterricht. Das ist deshalb nötig, weil es auf dem Buchmarkt bisher kaum bis keine digitalen Bücher oder andere Angebote für den Religionsunterricht gibt. "Da wir ja vor allem auch wissen wollen, wie Lehrkräfte mit digitalem Lehr- und Lernmaterial umgehen, müssen wir uns selbst welche erstellen", erklärt der studierte Religionspädagoge. Die Materialien sollen bis Ende dieses Jahres erstellt sein, anschließend werden sie Schulen getestet.
Lehrer picken sich das beste heraus
Für den Doktoranden Palkowitsch-Kühl ist ein optimales digitales Lehr- und Lernmaterial eines, das kontinuierlich aktualisiert wird, interaktiv ist und vor allem kompetenzorientiert nach Baukasten-System vom Lehrer eingesetzt werden kann. "Das machen die meisten Lehrkräfte seit jeher so: Kaum jemand verwendet für eine Unterrichtssequenz von Anfang bis Ende fertig vorbereitetes Material eines Verlags zum Beispiel", sagt er: "Man pickt sich das heraus, was man für gut und sinnvoll hält und was zu den eigenen Schülern passt." Das heißt konkret: Aktuell kopiert sich die Lehrkraft eben das ein oder andere Arbeitsblatt, zukünftig stellt sie den Schülern verschiedene Lernmodule digital zur Verfügung.
Erstellt werden die Test-Inhalte von multireligiösen Teams, also nicht nur von Wissenschaftlern mit evangelischem Hintergrund, sondern auch von Katholiken, Muslimen und Juden. In der Testphase an den Schulen sollen Leifragen beantwortet werden: Welches Potenzial hat das? Kommen die Lehrkräfte damit zurecht? Welche Ausbildung oder Schulung braucht die Lehrkraft zur sinnvollen Nutzung? Und: Funktionieren digitale Lerninhalte in der Praxis? "Wir gehen davon aus, dass nie der ganze Unterricht auf digitale Lehr- und Lernmittel umgestellt werden kann. Eine 'hybride' Form etwa mit Tablet, Arbeitsblatt und Stuhlkreis könnte die Lösung sein. Wir forschen aber vollkommen ergebnisoffen", sagt Palkowitsch-Kühl.
Landeskirche unterstützt Digitalisierung
Das Projekt wird auch von der Landeskirche unterstützt. Der für Schulen zuständige Oberkirchenrat Detlev Bierbaum hatte erst Ende November vor der Landessynode seine Digitalstrategie erläutert. Er will, dass das interaktive Lernen mit Tablets, Whiteboards, digitalen Büchern & Co. im Reli-Unterricht Einzug hält und dieser sich an die digitale Wirklichkeit der Schüler annähert. Daher unterstützt er ein Projekt des Claudius-Verlags im Evangelischen Presseverband für Bayern, der digitale Schulbücher entwickelt. Verlagsleiter Martin Scherer: "Das wird keine pdf-Sammlung, sondern soll der digitalen Lebenswelt der Schüler entsprechen." Es soll Links, Videos und interaktive Lernelemente enthalten, kündigte er an.
Projektleiter Palkowitsch-Kühl sagt, es sei seinen Erkenntnissen zufolge keine Frage des Alters, ob ein Lehrer einen Zugang zu digitalen Medien und Lerninhalten hat, oder nicht: "Die Generation der angeblichen Digital Natives, die derzeit auf Lehramt studiert, tut sich manchmal besonders schwer damit, digitale Medien sinnvoll und nicht nur zum Zeitvertreib zu nutzen." Technisch seien sie dazu in der Lage - aber auf die Idee, selbst zum Beispiel eine virtuelle Kirchenführung mit ihren Schülern zu erstellen, kommen nur die Wenigsten. "Den kreativen Umgang mit solchen Medien als Lehr- und Lernmaterial muss man lernen, das muss in Zukunft Teil der Lehrerausbildung werden", ist er überzeugt.
Hier geht es zum vollständigen Interview mit Oberkirchenrat Detlev Bierbaum.