Es ist der Abend des 31. Dezember 1946, als der Kölner Kardinal Josef Frings in der Kirche St. Engelbert zur Predigt ansetzt. "Wir leben in Zeiten", sagt er, "da in der Not auch der Einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise, durch seine Arbeit oder durch Bitten, nicht erlangen kann."

Was der Kardinal nicht ahnen kann: In diesem Moment ist ein neues Wort geboren - "fringsen", stehlen aus blanker Not. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich anschließend die Nachricht in der Stadt, dass der Kohlenklau von höchster geistlicher Stelle erlaubt worden sei.

Adventszeit: Fringsen gehen

Der Kardinal hält seine Predigt in einer Zeit härtester Entbehrung. Köln ist eine Trümmerwüste, und für jeden Einzelnen geht es nur noch um die elementaren Dinge des Lebens: etwas zum Essen, etwas zum Heizen. Seit ungezählten Jahren hat es keinen so kalten Winter mehr gegeben.

In dieser Notsituation "organisieren" sich viele Kölner aus Güterwaggons und Lastwagen, die aus dem Ruhrgebiet kommen, Kohle zum Heizen. "Was wir geklaut haben", wird sich der Schriftsteller Heinrich Böll (1917-1985) später erinnern: "Fenster, Türen, Ziegelsteine, Brennholz, Bücher."

Man kann 1946 natürlich nicht mit 2016 vergleichen. Der Sozialstaat sorgt für vieles, niemand muss frieren, niemand muss in Deutschland hungern oder auf der Straße leben, es gibt Wärmestuben, Tafeln und Vesperkirchen.

Doch der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Zum Allernötigsten gehören Zuwendung, Wertschätzung, Liebe.

Lassen wir sie uns stehlen? Wir sollten unsere Kirchentüren, Haustüren, Herzenstüren dafür offenhalten. Gerade in der Advents- und Weihnachtszeit. Und in diesem Sinne gelegentlich auch ein wenig "fringsen" gehen.