Ganz am Rand des Bauernhofs steht eine Holzhütte auf Stelzen. Sie sieht irgendwie lustig aus, fast wie ein Hexenhäuschen, doch ihr spitzes Dach mit Türmchen erinnert an eine Kirche. Es ist das Übernachtungsquartier für Pilger, die auf dem Jakobsweg unterwegs sind. Eine kuschelige Ein-Raum-Herberge, die der Bauer für die erbaut hat, die mit sich und ihren Gedanken unterwegs sind.
Abends kommen die Pilger dann oft zu ihm ins Wohnzimmer. Essen, trinken, lachen und reden über Gott und die Welt. Es kann ein langer Abend werden, so lange, dass manche beschließen, am nächsten Tag nicht gleich wieder aufzubrechen. "Einer blieb sogar zwei Wochen und hat mitgearbeitet", lächelt Norbert Fischer. Das stört ihn überhaupt nicht. Gäste hatte er schon immer gerne um sich, die Gründung einer christlichen Gemeinschaft mit Gleichgesinnten gehört bis heute zu den ganz großen Träumen seines Lebens.
Die erste Gemeinschaft, die ihn erfüllte, war die von Taizé. Ein junger Kaplan aus der Katholischen Jugend hatte ihn 1975 dorthin gebracht. "Es hat mein Leben verändert", sagt Norbert Fischer. Seither ist die Suche nach Gott das Wichtigste für ihn, er war sogar kurz davor, ganz in Taizé zu bleiben. Der heutige Prior Alois wurde sein wichtigster Gesprächspartner in jenen Tagen.
Doch dann will er noch mehr wissen vom Glauben und entschließt sich, Theologie zu studieren. An der katholischen Universität Eichstätt schreibt er sich ein, vergräbt sich in Bücher und Theorien und spürt doch bald, dass das spirituelle Leben für ihn wichtiger ist als die Lehre.
Ein Buch weckt in ihm den Traum, Landwirt zu werden
Er geht zur "Gemeinschaft der Kleinen Brüder Jesu" nach Hamburg und arbeitet bei Airbus in der Flugzeugproduktion. "Ziemlich hart", sagt er heute, aber die Brüder wohnen in keinem Kloster, sondern wollen wie Jesus mitten unter den Menschen ihre Arbeit tun. Norbert Fischer probiert vieles aus, selbst bei den streng schweigenden Trappisten lebt der gebürtige Franke mehrere Wochen lang mit.
Gleichzeitig begegnen ihm in jenen Tagen zwei Menschen, die sein Leben verändern: seine spätere Ehefrau Berit und der nicaraguanische Befreiungstheologe Ernesto Cardenal. Bei Letzterem ist es nicht der persönliche Kontakt, sondern der mit seinen Schriften und Ideen, der ihn erfüllt. Als er "Das Evangelium der Bauern von Solentiname" liest, steht für ihn fest: "Ich will Landwirt werden." Ein einfaches Leben im Einklang mit der Natur führen und von den Dingen leben, die man selbst angebaut hat.
Ein zölibatäres Klosterdasein ist durch die Beziehung zu Berit hingegen kein Thema mehr. 1984 heiraten die beiden. "Außerdem hat mich gestört, dass es in den Klöstern damals noch keine ökologische Landwirtschaft gab", sagt Norbert Fischer rückblickend. Die setzt er mit seiner Frau dann selbst in die Tat um: Nach mehreren Praktika und einer landwirtschaftlichen Ausbildung finden die Fischers 1984 in dem Weiler Atzenrodt bei Langenburg endlich ihren Hof.
Es soll ein eigenes kleines Kloster werden, ein Ort der Gemeinschaft und der Selbstversorgung. Ein stilles, einfaches Leben auf dem Land, ein offenes Haus für alle, die dort eintreten mögen.
Ein Ort, um sich die Dinge von der Seele zu reden
Die ersten Jahre sind ein Traum. Der Hof ist groß genug, dass darin viele Gäste Platz haben. Drei Kinder werden den Fischers geboren, auch die Nachbarskinder lieben es, dort herumzutollen. Ein kleines Backhäuschen erwecken sie zu neuem Leben, viele werden sagen, dass es dort war "wie in einem Beichtstuhl".
Zur Unbeschwertheit trägt auch die Tatsache bei, dass die Fischers mit keinerlei Schulden belastet sind. Ein Hof, der nicht ihr Eigentum ist, und eine Lebensführung ohne Luxus sind der Garant dafür, dass das Geld immer reicht. Mit zwei Milchschafen und einem Hektar Grund fangen sie an. Anfangs belächelt von den konventionellen Bauern, weil die Zeit für alternativen Landbau noch nicht reif war.
Doch die Fischers lassen sich nicht beirren. Berit töpfert, und Norbert bringt die Tiere raus. Und bald schon weiß man, wie gut der Käse ist, der von dem natürlich bewirtschafteten Bauernhof kommt. Die Jahre gehen ins Land, und die Herde wird größer. Der alte Betrieb beginnt aus allen Nähten zu platzen, und immer öfter wünschen sie sich nun ein neues Haus, das nicht so alt und kalt ist.
Als sie 2003 in Langenburg fünf Hektar Grund angeboten bekommen, den man auch bebauen darf, entwerfen sie einen kühnen Plan: den Neubau eines Hofs nach ganz eigenen ökologischen Vorstellungen. Die Zeit ist günstig, denn immer mehr Menschen fragen nun nach natürlichen gesunden Lebensmitteln. Mit Tieren aus artgerechter Haltung, deren Futter weder gedüngt noch genmanipuliert ist. Als sie die Geldgeber finden und die einverstanden sind, sich ihren Zins per Genussrecht in Schafskäse ausbezahlen zu lassen, kann es losgehen: Es entstehen ein Wohnhaus, eine Schaf-Scheuer, ein Verkaufsraum und eine neue Käserei.
Ein ganz großer Traum ging 2015 in Erfüllung
Der Betrieb ist jetzt 75 Hektar groß, und die Herde zählt 200 Tiere. Ein bekannter Demeter-Hof mit einem deutschlandweiten Vertrieb, doch er bringt Norbert Fischer auch ein Stück weit weg von jenem einfachen Leben, das er so zu schätzen wusste. Von der "kaufmännischen Phase seines Lebens" spricht er, und dass er sie möglichst bald wieder verlassen möchte. Doch das ist nicht ganz so einfach, wenn man seinen eigenen großen Bauernhof zu führen hat.
Immerhin: Der Sohn ist in den Betrieb mit eingestiegen und hat sich zum Meister für ökologischen Landbau ausbilden lassen. Dafür haben sich nach 31 Ehejahren die Wege von Norbert und Berit Fischer getrennt. Das ist ein Einschnitt, doch Norbert Fischer ist bereit, Veränderungen zu akzeptieren. "Es gibt jetzt eben neue Wege", sagt er, "und immer noch Träume."
Ein ganz großer Traum ging für ihn in Erfüllung, als er 2015 endlich den Mann persönlich kennenlernen konnte, der ihn wie kaum ein anderer beeinflusst hat: Als der 90-jährige Ernesto Cardenal zu einer Veranstaltung in Hohenlohe weilt, kommt er auch auf dem Hof von Norbert Fischer vorbei. Eine berührende Begegnung mit einem überzeugten Christen, der auf seine Art so unkonventionell ist wie Norbert Fischer selbst.