"Ich sehe eine zu enge Verbandelung von Kirchen und Gemeinden mit politisch Mächtigen kritisch"
Herr Hohage, am Donnerstag (28. März) erscheint Ihr Buch "Tief verwurzelt glauben: Wie man heute noch christlich denken kann". Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen für den christlichen Glauben heute?
Gerrit Hohage: Das sind sehr unterschiedliche. Zum einen war es selten so schwierig wie heute, den Glauben öffentlich zur Sprache zu bringen. Dies liegt unter anderem daran, dass unsere postmoderne Gesellschaft immer mehr in Subgesellschaften zersplittert. Diesen fehlt nicht nur ein gemeinsamer sachlicher Bezugspunkt wie "Wahrheit", sondern auch eine gemeinsame Sprache, die alle ansprechen würde.
Hinzu kommt die innere Herausforderung, dass unsere evangelische Kirche über mehrere Jahrhunderte versucht hat, ihre Nähe zur wegdriftenden Gesellschaft durch eine zunehmende Entfernung zu ihren eigenen Glaubensgrundlagen zu erkaufen – eine Taktik, die aus meiner Sicht nicht aufgeht. Außerdem sehe ich auch eine teils zu enge Verbandelung von Kirchen und Gemeinden mit politisch Mächtigen wie beispielsweise bestimmten Parteien kritisch, weil sie immer zu Kompromissen zwingt, die die eigene Glaubwürdigkeit beschädigen.
Viele Dogmen im christlichen Glauben wie der Tod Jesu am Kreuz für die Sünden der Menschen oder die Jungfrauengeburt sind für moderne Menschen schwer verständlich. Sind solche Glaubensüberzeugungen heute überhaupt noch vermittelbar?
Das ist eben die Herausforderung. Es kann aus meiner Sicht aber gelingen, wenn wir dazu einen Zugang finden, der diese Glaubenswahrheiten nicht zerstört, sondern erschließt. Dazu gehört, die Denkvoraussetzungen einer Weltanschauung freizulegen, die diese Themen kategorisch als "unhistorisch", "undenkbar" und darum auch unvermittelbar ausschließt.
Oft haben wir es bereits ganz am Anfang des wissenschaftlichen Denk- und Erkenntnisprozesses mit solchen Glaubensentscheidungen zu tun, die man für sich treffen kann, aber keineswegs so treffen muss. Wenn diese Denkvoraussetzungen als zeitbedingt erkannt werden, ist der Weg frei, die alten Glaubenswahrheiten in das heutige Denken neu zu integrieren.
"Die Gefahr eines nicht gereiften Glaubens ist, dass er irgendwann zusammenbricht"
Welche Tipps haben Sie für Christen, die Glaubenszweifel haben?
Es gibt dafür einen biblischen Begriff: Anfechtung. Und es gibt viele Menschen in der Bibel, die mit Anfechtung zu tun hatten, sogar Jesus. Also wir sind da in guter Gesellschaft.
Ich habe aus der Bibel, von Martin Luther und durch meine eigene Glaubensgeschichte gelernt, dass Glaube reift, wenn er sich in Anfechtung bewährt. Wenn man sie vermeidet, indem man ihr im Schutz der eigenen Gemeinde-Bubble ausweicht, kann der Glaube nicht reifen. Und die Gefahr eines nicht gereiften Glaubens ist, dass er irgendwann zusammenbricht und es zur "Entkehrung" kommt.
Anfechtungen sind Grenzsituationen, in denen wir vor der Entscheidung stehen, uns entweder von Gott zu distanzieren oder uns entschlossen "auf Gott zu werfen", wie Luther sagt. Meine Erfahrung ist, dass wir, wenn wir an Gott festhalten, ihn und uns selbst immer tiefer kennenlernen. Dazu möchte ich Mut machen.
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