Konstantin Wecker ist in Ehren ergraut, die Haut braungebrannt, hinter der Brille blitzen wache Augen hervor. Ein Künstler, der immer noch hungrig ist, "Poesie und Widerstand" und damit seinen lyrischen wie politischen Anspruch in Texten auszudrücken. So lautet auch der Titel seiner aktuellen musikalischen Werkschau, in der er seine liebsten Lieder neu aufgenommen hat.

Allerdings zieht sich das Kokain wie eine Linie durch die neue Biografie "Das ganze schrecklich schöne Leben", in der auch die Weggefährten Roland Rottenfußer und Günter Bauch Episoden aus dem prallen Leben des Künstlers erzählen. Männer, die "viel über mich wissen, was ich nicht weiß". Oder was er eben nicht mehr weiß.

Wecker nahm 1973 seine erste Platte auf. Der Durchbruch gelang 1977 mit "Genug ist nicht genug". Es sind weit über 600 Lieder, die Wecker in 50 Jahren vertont hat. Meist eigene Texte, wie die Ballade "Willy" um einen von Rechtsradikalen erschlagenen Freund, die ihn ab 1977 zum Aushängeschild der intellektuellen Linken machte. Mal sang er solo am Piano, das Wecker für Liedermacher salonfähig machte. Zwischen 1974 und 1985 nahm er seine Stücke in kammermusikalischer Besetzung mit Cello und Synthesizern und seinem "Team Musikon" auf. Konzerte mit Joan Baez, große Jazz- und Rock-Besetzungen mit Musikerkollegen wie Wolfgang Dauner, aber auch Musicals für Erwachsene und Kinder zeugen von der stilistischen Vielfalt Weckers.

Die Hoffnung auf weitere nahe Sommer

Immer zog Wecker die Frauen an, die seine virile Urgewalt bewunderten. Erst seine 27 Jahre jüngere Frau Annik schien ihn ab 1994 zu zähmen und machte ihn zum Vater zweier heute erwachsener Söhne. Zwar gaben sie 2013 ihre Trennung bekannt, im Buch überrascht Wecker aber mit der Nachricht, sie seien wieder zusammen. Der Medien-Hype um die Hochzeit am 3. Februar 1996, als der "Kokser" Wecker und seine Gattin im Boulevard persifliert wurden, steckt noch in den Gliedern.

Wecker haderte nach seiner Verhaftung 1995 mit seinem Selbstverständnis und seinem Bild in der Öffentlichkeit vor dem Hintergrund seines Konsums, rechtfertigte und entschuldigte sich zugleich. Nicht dafür, dass er "eine andere Form von Droge hatte wie die gesellschaftstypische", sondern für sein großspuriges Auftreten mit Pelzmantel und Nobelwohnung, was in Kontrast zu den Texten Weckers stand, der feinsinnig vom Schönen sang und sich für die Ausgegrenzten stark machte. Doch all das gehört zum Gesamtkunstwerk Konstantin Wecker eben mit dazu.

Kurz vor seinem runden Geburtstag am 1. Juni wirkt er im Gespräch vital und geläutert und hat sich wohl das Etikett "Keith Richards der deutschen Liedermacher" verdient. Mit seinem Blog "Hinter den Schlagzeilen" und tagespolitischen Kommentaren betrat Wecker 2005 Neuland. Seine Facebook-Seite strotzt vor Drang, sich einzumischen und aufzurufen. Meist für eine bessere Gesellschaft.

Margot Käßmann und Dorothee Sölle

Die evangelische Theologin Margot Käßmann bewundert er als "radikale Pazifistin" und brachte mit ihr 2015 das Buch "Entrüstet euch" heraus. Auch wenn Wecker 2017 auf dem Evangelischen Kirchentag auftritt: Mit der Kirche hat es der in einem katholischen Elternhaus aufgewachsene Künstler nicht. Dafür aber mit der Zivilgesellschaft. "Menschen, die sich in Pflegeberufen oder im Ehrenamt aufopfern, kommen oft aus dem kirchlichen Bereich. Nur solche Leute können in diesem Land noch etwas verändern", erklärt Wecker.

Christlicher Glaube – da haben für Wecker der mittelalterliche Mystiker Meister Eckhart oder die evangelische Theologin Dorothee Sölle mehr Bedeutung. Eine Gottesbeziehung funktioniere nur in einem mystischen Erkennen.

In seinem 70. Lebensjahr ist Konstantin Wecker nicht altersmilde, aber auch nicht altersstarr. "Ich bin weiterhin fehlerhaft und lernend, närrisch und zornig, liebevoll und verzweifelt", schreibt er im aktuellen Buch und hofft – um einen weiteren großen Hit aus den 1970ern zu zitieren – auf weitere "Sommer, die nicht mehr weit sind". Eine ganze Menge Leben, dieser Wecker.