Nach der Beerdigung ihres Bruders fühlte sich Juliane Berger (Name geändert) aus Hannover wie ein Hacker. Ihr Bruder, 33 Jahre alt und Vater von zwei Kindern, kam im Februar 2015 bei einem Autounfall ums Leben. Schnell war klar: Juliane würde den digitalen Nachlass verwalten. Digitaler Nachlass, das bedeutet: Facebook-Profil, Abonnement beim Online-Dating oder offene Versteigerungen bei Ebay. Alles eben, was ein Mensch auf seinem Computer oder im Internet hinterlässt, wenn er stirbt.
Mehrere Wochen saß Juliane vor dem Rechner ihres Bruders, probierte Passwörter aus, nahm Kontakt zu Facebook und Co. auf. "Ich habe das gemacht, weil es niemand anderes aus der Familie konnte", sagt die 32-Jährige.
IT-Unternehmen "Columba"
Inzwischen bieten auch Firmen ihre Dienste für Angehörige wie Berger an. Das Berliner IT-Unternehmen "Columba" etwa, das automatisiert Datenbanken abgleicht und nach Nutzerkonten im Internet sucht. Oder der Blog "digital-danach", der wichtige Infos zum Thema "Digitaler Nachlass" gibt und sämtliche Dienstleister dazu auflistet. Eine Pionierin auf dem Gebiet "digitaler Nachlass" ist die Theologin Birgit Janetzky, die in der Nähe von Freiburg das Unternehmen "Semno" (altgriechisch: würdevoll) betreibt. Als eine der Ersten knackte sie Passwörter und löschte die Geisterprofile von Verstorbenen aus dem Netz.
Oftmals eine emotionale Aufgabe, erinnert sich die 53-Jährige. So sei einmal eine Mutter zu ihr gekommen, deren Tochter Suizid begangen hatte. "Plötzlich kam ich im Internet mit den Träumen eines jungen Mädchens in Berührung, das Model werden wollte." Und mit einer Mutter, die online so gerne etwas gefunden hätte, um diesen Suizid zu verstehen.
Schnittstelle von Mensch, Tod und Internet
Seit gut zwei Jahren sucht Janetzky nicht mehr selbst, sondern gibt ihre Erfahrungen von "der Schnittstelle von Mensch, Tod und Internet" an Firmen weiter, die sich darauf spezialisiert haben. Ob Angehörige den digitalen Nachlass selbst verwalten oder eine Firma beauftragen, hänge vor allem davon ab, ob derjenige vorgesorgt habe, sagt die Beraterin.
Sie rät, früh genug an digitale Vorsorge zu denken und eine Passwortliste anzulegen oder einen Nachlassverwalter zu bestimmen. "Ansonsten ist das ein enormer Aufwand." Nicht jeder möchte, dass nach seinem Tod jemand Drittes oder Firmen den kompletten Computer mit persönlichen Daten analysieren. Die Verbraucherzentralen warnen indes davor, einem Unternehmen Passworte anzuvertrauen, und empfehlen, eine Person des Vertrauens zum digitalen Nachlassverwalter zu machen.
Technische Altlasten
Juliane Berger hätte den technischen Aufwand gerne abgegeben. Doch Anfang 2015 habe sie schlichtweg keinen Dienstleister gefunden, sagt sie. Also musste sie selbst ran: Als Erstes bestellte sie alle Abos ihres Bruders ab. "Außerdem sollten die Fotos aus dem Netz entfernt werden, weil er die nicht selbst als Überbleibsel ausgesucht hat." Als besonders aufwühlend empfand sie die Rekonstruktion des Browserverlaufs: "Ich konnte mir genau ansehen, was er die vergangenen Wochen gemacht hat, von der Suche nach Bratenrezepten bis Weihnachtsgeschenken." Es sei aber auch schön gewesen, zu sehen, dass ihr Bruder ein zufriedenes Leben geführt habe.
Mittlerweile ergibt die Google-Suche nach seinem Namen kaum noch Treffer. Ungeklärt ist bis heute der Umgang mit dem Facebook-Profil. Juliane Berger würde es gern in eine Gedenkseite umwandeln. Doch die Freundin des Verstorbenen möchte das Profil aktiv belassen. Das Problem in solchen Fällen: Es kann vorkommen, dass Facebook weiterhin an den Geburtstag des Verstorbenen erinnert oder ihn anderen Nutzern als neuen Freund vorschlägt. Berger hat festgestellt: "Ein Stück Kontrolle gibst du ab."
INFO: www.digital-danach.de