In meinem Bekanntenkreis haben sich alle etwas fürs neue Jahr vorgenommen, die üblichen Sachen: weniger trinken, nicht mehr rauchen, mehr für den eigenen Körper tun. Manche wollen auch einfach nur freundlicher mit sich selbst umgehen, was immer das bedeutet. Mich beeindruckt das. Ich versuche das auch immer, aber ich merke, es geht nicht.
Ich bin jemand, der sich selbst nicht viel zutraut. Wenn ich einmal etwas anfange, kommen schnell die Gedanken: Das schaffst du nicht... Das kreist dann in meinem Kopf wie ein Kettenkarussell.
Jetzt habe ich mir gedacht: Eigentlich wäre mein wichtigstes Vorhaben für dieses Jahr, aus diesem Karussell auszusteigen – aber wie soll ich das machen? Ich habe schon überlegt, ob es sich um Depressionen handelt, aber mein Arzt hat mich beruhigt: Es sei nur "Overthinking", zu viel Denken. Trotzdem: Auf Dauer ist das kein Zustand so.
Die Fähigkeit zu denken, auch über sich selbst nachzudenken, ist ja eigentlich nicht so schlecht. Aber "Overthinking" kann einen ziemlich fertigmachen. Die anderen, denken wir bei uns, sind erfolgreicher; der Chef, denken wir, hat uns gerade im Treppenhaus so komisch angeschaut; diese komischen Bauchschmerzen bedeuten sicher etwas ganz Schlimmes …
Aber man kann es auch anders sehen: "Die Stimme in meinem Kopf", hat mir neulich jemand erklärt, "das bin nicht ich. Das ist nur einer, der ständig kommentiert, was ich erlebe".
Mir hat das gefallen – weil das bedeutet: Dieser Kommentator hat möglicherweise nicht recht. Die Realität ist anders. Und man kann sie überprüfen: mit dem Chef reden, sich überlegen, was Erfolg bedeutet, beim Arzt etwas abklären lassen.
Die Realität abklären – das ist eine Möglichkeit, aus dem Gedankenkreisen herauszukommen. Eine andere geht so: Stellen Sie sich jeden einzelnen Ihrer kreisenden Gedanken bildlich vor, wie die fliegenden Sitze in einem Kettenkarussell oder wie die Wagen einer Geisterbahn oder wie große, hässliche, rostige, stinkende Autos – und fragen Sie sich, ob Sie da jetzt gerne einsteigen würden?
Falls nicht (und wer mag schon in so ein Auto steigen?!), lassen Sie diesen Gedanken einfach vorbeiziehen. Womöglich kommt er dann früher oder später wieder – und dann lassen Sie ihn wieder vorbeiziehen, ohne einzusteigen. Wenn Sie das immer wieder bewusst üben, gewinnen Sie mit der Zeit ein bisschen Abstand zu diesen Gedanken und müssen nicht automatisch "einsteigen und mitfahren".
Und schließlich: Oft ist es nur der Gedanke, nicht die Erfahrung der Sache selbst, die uns das Leben schwer macht. Die Gedanken, die Sie über sich haben, sind eben nicht Sie selbst, so wie Sie sind. Es ist wichtig, sich daran immer wieder zu erinnern. Ein Bekannter hat sich einen Zettel an seinen Computer gehängt. Da steht nur drauf: "Denken."
Und im Reformationsjahr fällt mir natürlich auch noch Martin Luther ein. Der soll, sagt man, damit ihn die düsteren Gedanken nicht bezwingen konnten, sich auf die Tischplatte geschrieben haben: Baptizatus sum. Ich bin getauft. Ihm hat’s geholfen.