Henrike Weiden ist Professorin für das Recht des Digitalen an der Hochschule in München und Vorsitzende des Beirats beim Digital Service Coordinator (DSC). Zuvor war sie bei Telefónica und beim Bundesverband der Deutschen Industrie tätig. 

Was ist der DSA und warum ist das wichtig für alle Bürgerinnen und Bürger in Europa?

Henrike Weiden: Der DSA ist der Digital Services Act. Dieses Gesetz ist gewissermaßen für ein sauberes Internet zuständig, also ein vertrauenswürdiges Umfeld für die Internetnutzerinnen und -nutzer. Diese sollen sich da frei bewegen können, frei äußern können, frei und geschützt einkaufen können.

Andererseits sollen diese Plattformen bestimmte Regeln einhalten, die solche Schutzziele verwirklichen. Also die Frage: Wie stellen die Plattformen sicher, dass Grundrechte geschützt werden, dass die öffentliche Sicherheit und die freiheitlich-demokratische Grundordnung geschützt werden, dass Verbraucherrechte gesichert sind und geistiges Eigentum.

Der DSC ist der "Digital Services Coordinator" oder "Koordinator für digitale Dienste" oder auch "Koordinierungsstelle für digitale Dienste". Und dieser DSC ist zentrale Anlaufstelle für alle nationalen Belange bei der Anwendung und Durchsetzung der DSA-Verordnung. Und gleichzeitig ist er eben auch zentrale Anlaufstelle für die Europäische Kommission. 

Warum brauchen wir eine Zentrale für beides? 

Weiden: Die Zuständigkeiten bei der Durchsetzung dieses DSA sind zweigeteilt. Da geht es um die großen Tech-Konzerne wie Amazon und Google, X und Meta oder Temu und Shein. Diese werden von der Europäischen Kommission beaufsichtigt. Und die Fälle, wo kleinere Plattformen beteiligt sind, die werden national beaufsichtigt. Eben durch diesen nationalen DSC, den es in jedem Mitgliedstaat gibt. Und dafür braucht es immer auch eine Rückkopplung zwischen der Kommission und dieser nationalen Stelle. Denn die Kommission braucht ja Fälle, die in den Mitgliedstaaten stattfinden – und das muss untereinander abgestimmt werden.

Auf nationaler Ebene ist es für Nutzer wichtig, dass sie einen Ansprechpartner haben, wenn sie Schwierigkeiten haben mit Plattformen, wenn zum Beispiel die Plattformen ihren Account sperren und dann einfach nicht reagieren auf eine Beschwerde. Das heißt, der DSC ist für beide Seiten der Ansprechpartner.

Henrike Weiden und Rieke Harmsen
Henrike Weiden und Rieke Harmsen im Podcast Ethik Digital

Was macht der Beirat des DSC

Sie sind Vorsitzende des DSC-Beirats: Warum gibt es den?

Weiden: Der Beirat ist tatsächlich etwas Besonderes in diesem Ökosystem, weil den nur Deutschland eingerichtet hat. Da hat also der deutsche Gesetzgeber gesagt, wir wollen, dass der DSC einen Beirat zur Seite gestellt bekommt, der ihn berät, der Expertise aus verschiedenen Bereichen mit einbringt. 

Der Beirat setzt sich zusammen aus 14 Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Diese schauen, dass der DSC durchgesetzt wird und die verschiedenen Sichtweisen angemessen berücksichtigt werden.

Woran arbeiten Sie konkret?

Weiden: Wir haben erst im September 2024 unsere Arbeit aufgenommen und mussten uns erst einmal zusammenfinden. Wir haben uns eine Geschäftsordnung gegeben. Das war Pionierarbeit, denn schließlich ist das ein Gremium aus der Mitte der Gesellschaft, das eine oberste Bundesbehörde berät. Das ist jetzt nichts, wo man sagen kann, komm, wir machen das wie alle anderen.

Wir haben geschaut: Wie können wir unsere Arbeit sinnvoll strukturiren? Mit welchen Mehrheitsentscheidungen wollen wir eigentlich ein Positionspapier verabschieden? Wie wollen wir überhaupt Themen auswählen, die wir bearbeiten wollen? Wie wollen wir im Verhältnis zum DSC auftreten? Wie arbeiten wir mit der Geschäftsstelle zusammen? Das hat ein bisschen gedauert, aber dann haben wir erste Themen vereinbart.

Natürlich wird die Arbeit des Beirats auch von außen getrieben: Was in Brüssel gerade heiß diskutiert wird, rutscht natürlich in der Prioliste auf der Agenda automatisch etwas nach oben. Oder der DSC kommt auf uns mit konkreten Fragen zu und sagt, bitte, Sie sind mein Expertenberatungsgremium!

Und bei manchen Themen knirscht es auch so ein bisschen inhaltlich. Aber gerade, wenn es ein bisschen ruckelt und man sich zusammenfinden muss, um eine Position zu finden, dann zeigt das, dass der Gesetzgeber alles richtig gemacht hat mit der Zusammensetzung der Gruppe.

Welche Themen stehen an?

Wir haben gerade zwei Arbeitsgruppen. Die eine befasst sich mit dem Thema Altersverifikation und dem Online-Schutz Minderjähriger und die andere Gruppe mit den Auswirkungen der US-Politik auf die Anwendung des DSA. 

Wie gehen Sie da vor, das ist ja nicht ganz einfach, wenn der Beirat so verschieden ist.

Weiden: Richtig, die Durchmischung ist da, was ja auch das Wesen und den Wert dieser Beratungstätigkeit ausmacht, weil eben verschiedene Sichtweisen in kompakter Form dargestellt werden sollen. Die Gruppen erarbeiten einen Entwurf, der in den gesamten Beirat geht und im Idealfall verabschiedet wird. Aber es kann auch sein, dass einzelne Mitglieder das nicht mittragen können, und dann geht es um die Frage, welche Mehrheiten wir benötigen. Das ist ein Prozess, den wir noch nicht bis zum Ende durchgespielt haben, aber das probieren wir gerade aus. 

Wie wollen Sie dafür sorgen, dass die Dokumente pointiert bleiben und nicht nur der kleinste gemeinsame Nenner übrig bleibt? 

Weiden: Wir beabsichtigen keine Positionspapiere im Sinne von politischer Einflussnahme. Wir sind ein Expertengremium, das den DSC berät. Das heißt, uns geht es nicht darum, dass wir eine politische Agenda durchsetzen, sondern wir wollen auf eine möglichst sachgerechte Anwendung des DSA hinwirken. Uns geht es um sachgerechte Information und Beratung.

 

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Altersverifikation für Jugendliche

Die EU möchte eine bessere Alterskontrolle einführen im Netz, über eine App oder über den Ausweis. Wie stehen Sie dazu? 

Weiden: Im DSA sind diese widerstreitenden Interessen schon angelegt. Natürlich ist es wahnsinnig schwierig, auf diesem schmalen Grat eine Lösung zu finden. Auf der einen Seite nicht schon an der Eingangstür einen Ausweis zeigen zu müssen, sondern sich frei im Internet bewegen zu können. Hier müssen wir Bürgerrechte berücksichtigen, denn jeder soll sich frei bewegen können, frei informieren können, ohne dass alles getrackt und kontrolliert wird.

Auf der anderen Seite gibt es aber das ebenso berechtigte Interesse daran, dass unsere Kinder und Jugendlichen geschützt werden vor Inhalten, die sie verstören können. Oder wo sie noch nicht entscheiden können, wie die Shoppingfunktionen bei Tiktok, wo Kinder und Jugendliche mit Sicherheit deutlich anfälliger dafür sind, solche Funktionen auszuprobieren und Geld auszugeben, das sie gar nicht haben

Und ja, da geht es jetzt darum im Beirat, dass Erfahrungen schon mal zusammengetragen werden, was funktioniert und was funktioniert nicht, oder wir fragen, bringt das die Sicherheitsarchitektur des Netzes in Gefahr. Wir sind gerade dabei, dazu eine Handreichung zu erarbeiten, damit der DSC eine hoffentlich breite und gute Grundlage hat, in die Diskussionen auf EU-Ebene mit einzusteigen.

Der DSC gehört zur Bundesnetzagentur und soll 48 Stellen erhalten, gesetzlich vorgeschrieben sind eigentlich 70 Stellen. Reicht denn das überhaupt? 

Weiden: Das ist ein wichtiges Thema bei der Anwendung und Durchsetzung des DSA. Wie bekommen wir hin, dass die Koordinierungsstelle so ausgestattet wird, dass alles abgearbeitet werden kann. Das ist ein wirklich bunter Strauß an Aufgaben und alles ziemlich aufwendig. Dass diese Stellen jetzt noch nicht so besetzt sind, wie sie vorgesehen sind, das liegt vor allem daran, dass der Haushalt noch nicht verabschiedet ist.

Die Europäischen Kommission hat schon ziemlich aufgestockt und hat eine Sondereinheit eingerichtet, die sich um die Durchsetzung des DSA kümmert, da sing gerade auch 60 neue Stellen ausgeschrieben. Dass der Personalbedarf da ist in diesem Themenkomplex, das ist unbestritten. Ich hoffe sehr, dass die neue Bundesregierung zügig alles einleitet, damit dieser Personalaufbau auch stattfinden kann.

Was erhoffen Sie sich denn von der neuen Bundesregierung, abgesehen von mehr Personal?

Weiden: Die neue Bundesregierung sollte ein stabiles Umfeld schaffen, also denjenigen den Rücken stärken, die dazu beitragen, den DSA anzuwenden und durchzusetzen. Und das fängt an bei jedem einzelnen Nutzer, der Meldung macht über rechtswidrige Inhalte, oder gegen gesellschaftlich schädliche, aber nicht rechtswidrige Inhalte vorgeht. 

Wir müssen auch dagegenhalten, wenn Desinformation und Hate Speech unterhalb der Strafrechtsschwelle verbreitet wird. Die sozialen Medien sind ein Abbild unserer Gesellschaft. Und diese spiegeln wider, wie die Menschen ticken und was sie bewegt. Deshalb sollten wir diejenigen, die sich überhaupt zu Wort melden und den Mut haben, stützen. Sie sollten wissen, dass sie sich in einem Umfeld befinden, wo ein gesellschaftlicher Konsens im Sinne eines gemeinsamen Wertekompass existiert. Aber das funktioniert nur, wenn das politisch entsprechend angelegt ist, gelebt und verbreitet wird. 

Genauso muss die Bundesregierung dafür sorgen, dass diejenigen bestärkt werden, die als Trusted Flagger, als Schiedsstellen oder als Beamte an der Durchsetzung des DSA beteiligt sind, dass sie Rückenwind bekommen und auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht alleine dastehen. 

Das ist vor allem deswegen wichtig, weil wir nicht nur Angriffe von innen beobachten, wie wir das zum Beispiel bei der ersten Benennung eines Trusted Flagger erlebt haben, sondern auch die Angriffe von außen dazukommen, gerade aus den USA.

Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart ist, dass der DSA weiterentwickelt werden soll. Das halte ich wiederum für das falsche Signal. Denn es gibt in Deutschland eine Menge kleiner Plattformbetreiber, die von dem DSA betroffen sind und damit viel Arbeit haben. Das ist ein Riesenaufwand. Es wäre wichtig, dass wenigstens in diesem Teilbereich dieser EU-Datenregulierung mal Ruhe einkehrt und wir das umsetzen können und dann sehen, was das alles bewirkt, wenn einmal Compliance sichergestellt ist bei der Mehrheit der Unternehmen.

Rennen wir den aktuellen Entwicklungen nicht immer nur hinterher?

Weiden: Es ist meistens so, dass die technologische Entwicklung schnell voranschreitet, und dann kommt der Gesetzgeber und reguliert das. Bei der KI-Verordnung lief das ein bisschen anders, da hat die Europäische Union sehr zügig gesagt, wir regulieren jetzt, bevor das Ganze aus dem Ruder läuft. Beim DSA haben wir ein Feld, das sich sehr dynamisch entwickelt. Der DSC hier in Deutschland erhält zunehmend Beschwerden von den Nutzenden. Und das ist eine sehr positive Entwicklung. Ende April waren es 1.400 Beschwerden. Das finde ich eine Menge. 

 

Dies ist eine gekürzte und redigierte Version des Podcasts "Ethik Digital" mit Henrike Weiden. Das Gespräch wurde im Mai 2025 geführt.

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