Wer einmal im Gefängnis saß, so sollte man meinen, ist immun gegen alle Versuchungen, die auf die schiefe Bahn führen. Schließlich gehört es zu den schlimmsten Erfahrungen eines Menschen, der Freiheit beraubt zu sein. Jedoch: Nach drei Jahren landen 35 Prozent aller Haftentlassenen wieder hinter Gittern. Das geht aus einer Untersuchung zur Rückfallquote im Auftrag des Bundesjustizministeriums hervor.

Das Ergebnis wirft die Frage auf, wie ein Ausstieg aus der Kriminalität gelingen kann. Neu diskutiert wird sie unter dem Begriff "Desistance" ("Abstandnehmen"): Wie können Haftentlassene dazu gebracht werden, kriminelles Verhalten hinter sich zu lassen?

Das größte Problem sei, dass nach der Haftentlassung eine lange Liste von "To-Dos" auf einen einströme, meint dazu Mario Andrast (Name geändert), der selbst zwei Jahre wegen gefährlicher Körperverletzung im Gefängnis saß. Viele seien dadurch wie gelähmt.

Haftentlassene müssen sich nach dem Gefängnis völlig "neu erfinden"

Andrast hatte Glück. Über einen Mitarbeiter der Straffälligenhilfe der Würzburger Christophorus-Gesellschaft gelang es ihm, in eine sozialtherapeutische Einrichtung aufgenommen zu werden. Trotz dieser Hilfe sei es für ihn in den vergangenen drei Jahren ein harter und langer Weg zurück in die Freiheit gewesen. "Es gab keinen einzigen Tag, an dem ich hätte verschnaufen können", sagt Andrast.

Viele Ex-Häftlinge seien im Handumdrehen wieder hinter Gittern, weil sie an einer der hundert Klippen auf dem Weg in die Freiheit scheitern, sagt er. Das zentrale Problem ist laut der Würzburger Gefängnisseelsorgerin Doris Schäfer, dass sich straffällig Gewordene nach der Haftentlassung oft völlig "neu erfinden" müssten. "Wer keine verlässlichen Bezugspersonen findet oder keine Unterstützung erfährt, landet schnell wieder bei den alten Freunden, um seiner Einsamkeit zu entgehen", sagt die Katholikin. Mit den falschen Freunden beginne meist alles wieder von vorn.

Nach der Haft: "Die ersten Stunden und Tage" entscheiden

In Haft zu sein - das durchdringt alle Lebensbereiche: Die Wohnung kann nicht mehr gehalten werden, der Job geht flöten, oft zerbricht auch noch die Partnerschaft. Sich nach vielen Monaten der Haft alles neu aufzubauen, ist sehr schwer, bestätigt Kornelia Kamla, Vorsitzende des Landeszusammenschlusses für Straffälligenhilfe in Hessen. Ob es jemand schafft, in der Gesellschaft "draußen" Fuß zu fassen, darüber entscheiden Studien zufolge "die ersten Stunden und Tage".

Dass Strafentlassene an der Flut von Aufgaben beim Übergang in die Freiheit scheitern, bestätigt Gunda Wößner vom Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg. Viele Ex-Knackis beschrieben den Resozialisierungsprozess als "wahnsinnige Überforderung", sagt die Psychologin.

Die Wissenschaftlerin befragte Dutzende Gewalt- und Sexualstraftäter über ihre Zeit nach der Haft. Viele seien höchst motiviert gewesen, straffrei zu bleiben, sagt sie. Umso größer ist angesichts des Problembergs der Frust. So äußerte ihr Interviewpartner Moritz zu seinen Erfahrungen mit der wiedergewonnenen Freiheit: "Die haben uns den Himmel versprochen, und es ist doch bloß ein Haufen Scheiße."

Das Leben in Freiheit sei ohne jede Struktur

Der Ex-Häftling Bodo sagte Wößner in der Befragung: "Wenn man aus der Haft kommt, das ist unglaublich schwer, aus einem wirklich strukturierten Bereich raus, also da ist wirklich alles genau festgelegt, wann, wer, wo." Das Leben in Freiheit sei hingegen ohne jede Struktur: "Da ist nichts, was einen hält." Vor allem, wenn man keine Arbeit hat. Ob man morgens aufsteht, sei "vollkommen rille, interessiert keinen Menschen".

Angst zu nehmen, den Rücken zu stärken und Entmutigung zu verhindern, das ist Aufgabe der Straffälligen- und Bewährungshilfe. Sozialarbeiter müssten es schaffen, eine gute Beziehung zu dem Strafentlassenen aufzubauen, meint Peter Pfister vom Verein "Straffälligenhilfe - Netzwerk im Landgerichtsbezirk Ansbach". "Wir sind Ansprechpartner auf Augenhöhe." Daneben leistet der Verein ganz konkrete Hilfe: "Wir vermieten Wohnraum für die Übergangszeit, um Obdachlosigkeit zu verhindern."