"Manchmal finde ich mich selbst schlimm. Wenn ich auf mein Leben blicke, fällt mir nicht viel Positives dazu ein. Ich hatte eine schreckliche Kindheit, zeitlebens bin ich gemobbt worden - und auch deshalb psychisch krank und erwerbsunfähig. Ich verachte mich ein Stück weit selbst, dass ich es nicht auf die Reihe bekommen habe, aus meinem Leben etwas zu machen. Aber zugleich sehe ich die Schuld dafür nicht wirklich bei mir. Unsere Gesellschaft ist respektlos und macht immer mehr Menschen krank.

Ich lebe aus dem Müll. Ich sammle Pfandflaschen, fische Essbares aus Mülltonnen, manchmal finde ich dort sogar Handtaschen, Geldscheine oder andere kleine Schätze.

Neulich habe ich am Bahnhof in Würzburg eine Bäckertüte mit zwei Schokocroissants geangelt. Die waren noch warm. Seit 2012 bin ich offiziell erwerbsunfähig und bekomme eine Mini-Rente. Die reicht hinten und vorne nicht, darum erhalte ich aufstockende Sozialhilfe. Ich bin arm. Ich habe zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel.

Mein Vater war ein angesehener Arzt in Hessen. Radiologe mit eigener Praxis in vierter Generation. Aber er war ein Trinker und Spieler. Seine großbürgerliche Familie hat meine Mutter für den Verfall ihres Sohnes verantwortlich gemacht. Meine Mutter kam aus einfachen Verhältnissen, war nicht die Klügste, aber konnte sich durchschlagen.

Als mein Vater sich das Leben nahm, war ich acht Jahre alt. Das Familienvermögen hatte er durchgebracht. Mutter, Schwester und ich verarmten blitzschnell.

Ich war eine schlechte Schülerin. Ich wurde von den meisten gemobbt, obwohl ich weder pummelig noch hässlich war. Bis heute weiß ich nicht, weshalb mich viele Menschen mein ganzes Leben lang immer wieder ausgegrenzt und fertiggemacht haben. Klar, das liegt immer auch mit an einem selbst. Aber vor allem doch an den anderen - und am System der Ellenbogengesellschaft. Trotzdem kämpfte ich mich durchs Abitur. Ich studierte schließlich, sogar ein Stipendium für die USA hatte ich ergattert.

Doch dann hat mich meine kranke Seele eingeholt. Ich bekam Psychosen. Für ein Jahr war ich in den USA. So wohl wie dort habe ich mich vorher und nachher nie wieder gefühlt. Ich wurde gemocht, ich wurde angenommen. Natürlich war das oberflächlich - aber es war egal. Diese deutsche Einsamkeit war weg. Weil ich solche Angst vor einer Rückkehr hatte, wurde ich krank. Besser: Die Krankheit kam wieder.

Psychosen hatte ich seit dem Tod meines Vaters. Zurück in Deutschland kam ich in die Klinik.

Danach folgte die typische Karriere: Umschulungen, Arbeitsamt-Maßnahmen, kurzzeitige dann wieder Arbeitslosigkeit. Immer und immer wieder Demoralisierungen. Ich bin irgendwie schon auch eine starke Persönlichkeit. Ich bin noch am Leben. Trotz all der Nackenschläge. Trotz der Ablehnung. Ich bin mein Leben lang vor mich hin gestolpert. Nicht wegen meiner psychischen Erkrankung, nicht wegen fachlicher Defizite im Job oder bei meiner Ausbildung. Sondern wegen sozialer Ausgrenzung.

Ich habe Anglistik studiert mit US-Hochschulabschluss und bin Fremdsprachenkorrespondentin.

Dass mir andere vorwerfen, ich sei nur zu faul zum Arbeiten und ich soll mich halt mal zusammenreißen, das trifft mich. Auch, weil ich es ein Stück weit verstehen kann, dass Menschen im Hamsterrad der Arbeit so etwas denken. Aber eigentlich bräuchte ich Verständnis, Unterstützung und Hilfe. Aber ich falle oft durch das sogenannte soziale Raster. Und mit Würde behandelt werde ich sowieso kaum.

Dass ich keine Alkoholikerin oder Drogenabhängige geworden bin mit dieser Vita, das erstaunt mich schon auch immer wieder. Vor allem, weil ich ein "Sensations-Seeker" bin, immer auf der Suche nach geistiger Herausforderung, nach dem Kick. Ab und zu nehme ich mal ein Näschen Speed. Aber nicht so oft. Außerdem bin ich seit etwa sechs Jahren viel zu oft in Spielhallen unterwegs.

Ich brauche den Dopamin-Ausstoß, wenn ich spiele. Mindestens 50.000 Euro habe ich seither verzockt, glaube ich.

Natürlich kann ich mir das von meiner Rente und der Sozialhilfe nicht leisten. Deshalb gehe ich ab und zu schwarz putzen, sammle Pfandflaschen, suche Fahrkartenautomaten nach Restgeld ab. Und ab und zu prostituiere ich mich. Ich suche keine Freier, das nicht. Aber wenn mich beispielsweise in der Spielhalle jemand anspricht, sage ich meistens nicht Nein. Viel bekomme ich dafür nicht. Mal 20, mal 30 Euro. Dabei ist das harte Arbeit. Und ich bekomme so wieder ein bisschen Geld zum Zocken.

Wütend macht mich, dass die Politik uns Arme so im Stich lässt. Wir werden übersehen.

Es ist doch nicht in Ordnung, wenn die Armut in Deutschland durch Angebote wie die Bahnhofmissionen, durch die Tafeln und Kleiderkammern und Sozialkaufhäuser zementiert wird. Unsere Regierung kann ja einfach sagen: Läuft doch, auch mit dem wenigen Geld pro Person. Aber dass ich im Müll wühlen und meinen Körper verkaufen muss, das sehen sie eben nicht. Vielleicht haben sie aber auch keinen Plan.

Armut macht einsam. Für ein geselliges Tierchen wie mich ist das ein Problem.

Armut ist vor allem auch ein kulturelles Problem. Nicht nur eines von zu wenig oder zu schlechtem Essen und kaputter Kleidung. Wer kein Geld hat, nimmt nicht am Leben teil. Ich persönlich würde gar nicht ins Kino oder ins Theater wollen. Aber ich kann mir nicht mal einfach eine Zeitschrift kaufen, wenn mir danach ist. Oder ein Buch. Das muss sich ändern. Ich bin stark trotz meiner Defizite. Und ich habe eine Würde."

* K.s Name ist der Redaktion bekannt. Wir haben zum Schutz der Persönlichkeit auf die Nennung des Namens verzichtet.