Ausstellung "Schätze in Schachteln" im Spielzeugmuseum Nürnberg zu sehen
"Deutschland braucht Kolonien" - ein Brettspiel mit diesem Namen hätte heute keine Chance, hierzulande vertrieben zu werden. Koloniegeschichte, so ist es heute unzweifelhaft Konsens, gehört zu den dunklen Kapiteln europäischer Geschichte. Nicht so aber in den 1930-er Jahren, als das Spiel auf den Markt kam. Aktuell ist es im Spielzeugmuseum Nürnberg im Rahmen der Ausstellung "Schätze in Schachteln" zu sehen, die vom Deutschen Spielearchiv Nürnberg konzipiert wurde und noch bis 6. Oktober zu sehen ist.
Der Ausstellungstitel übergeht allerdings die gewaltverherrlichende Dimension, die als Spiegel der Zeit in manche der gezeigten Spielideen Eingang gefunden hat. Die menschenverachtende Ideologie der Nationalsozialisten kommt etwa als harmlose Würfel- und Gesellschaftsspiele daher. Gerade die Exponate aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges "sind aus heutiger Sicht brutal", sagt Spielesammler Dieter Mensenkamp, Jahrgang 1944. Der Detmolder hat im Laufe der Jahre über 5.000 Gesellschaftsspiele zusammengetragen und sie vor drei Jahren dem Deutschen Spielearchiv in Nürnberg geschenkt. In der Ausstellung ist nun eine Auswahl zu sehen.
So blendet etwa das koloniale Brettspiel "Deutschland braucht Kolonien" den Völkermord an den südwestafrikanischen Herero und Nama aus. Dabei war das Massaker ab 1904 der traurige Höhepunkt an Gräueltaten durch die deutsche Kolonialmacht. Heute gilt es als der erste Genozid des 20. Jahrhunderts. Die Spieleerfinder der damaligen Zeit lassen diesen Aspekt aber aus. Stattdessen wird der Bedarf des Deutschen Reiches an Rohstoffen, wie etwa Kaffee, Kautschuk oder Baumwolle, positiv inszeniert.
"Schätze in Schachteln" präsentiere einmalige Zeugnisse des kulturellen Wandels
Aus heutiger Sicht wirkt auch das Laufspiel "Jungwolf auf Fahrt" verharmlosend. Gleiches gilt für das Exponat "Fliegeralarm" mit dem Untertitel "Unterhaltungsspiel für Jung und Alt". Es sollte die Zeit im Luftschutzkeller spielerisch überbrücken, sagt Stefanie Kuschill, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Spielearchivs. Es sei absurd, mit welcher Ruhe und Gelassenheit - wie auf dem Spielecover abgebildet - eine Familie sich im Treppenhaus geordnet auf den Weg nach unten begibt. Von Todesangst sei nichts zu sehen.
Der paramilitärischen NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps) wurde 1939 mit dem Würfel-Brettspiel "NSKK und HJ-Verkehrsspiel" (Hitlerjugend) gehuldigt. Und in dem Frage- und Antwort-Spiel "Kennst du die Daten der Deutschen Geschichte" ist die militärische Annexion des Sudetenlands durch Adolf Hitler 1938 angeblich eine "Befreiung". "Die Spielesammlung Mensenkamp ist einmalig", ist sich Kuschill aus archivarischer Sicht sicher. Die Ausstellung präsentiere einmalige Zeugnisse des kulturellen Wandels - von der Industrialisierung bis zum Zweiten Weltkrieg.
Neue Alltagserfahrungen werden in Brettspiele umgewandelt
Auch damals neue Alltagserfahrungen, wie Reisen und Mobilität, finden Eingang in Brettspiele, etwa im Laufspiel "Die verlorene Fahrkarte" aus dem deutschen Kaiserreich. Für Abenteuerlust und Fernweh stehen etwa das "Reisespiel durch Franken", "Der kühne Ozeanflieger" oder die "Reise durch die Welt". Andere Spiele zeigen frauenfeindliche Rollenbilder, etwa im Brettspiel "Das kleine Hausmütterchen" aus der wilhelminischen Zeit. Und in dem Komponisten-Quartett von 1920 finden sich nur männliche Tondichter, während auf dem Cover eine sinnliche Muse prangt.
"Gesellschaftliche Innovationen finden immer schnell Eingang in das Spiel"
, sagt Mensenkamp mit Verweis auf die Themen Elektrizität oder das Radio. Aber auch das Thema "religiöse Spiele" sei in seiner Sammlung mit etwa 60 bis 70 Varianten vertreten. Die "Reise in das Himmelreich" ist ein Laufspiel, bei dem etwa Ereignisse aus dem Leben Jesu abgefragt werden. Dieses Spektrum lagert wie weitere rund zwei Drittel der Schenkung noch wohlverpackt im Spielearchiv und ist nicht Teil der Ausstellung. Die Spiele sollen nach und nach digital inventarisiert werden. Mensenkamp hatte alles in einem Zettelkatalog erfasst und in einem Koffer - ebenfalls Teil der Ausstellung - aufbewahrt.
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